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UN-BehindertenrechtskonventionInklusion ist anderswo

Ein Bericht kritisiert, dass es im Bildungsbereich bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention noch kräftig hapert.

Flashmob zur Inklusion im Jahr 2012 in Mainz Bild: dpa

BERLIN taz | „Inklusion heißt: Alle Menschen sind von Anfang an überall dabei. Kein Mensch darf ausgeschlossen werden.“ So liest sich die Erklärung des Inklusionsbegriffs in einfacher Sprache. Und so in etwa steht es auch in der UN-Behindertenrechtskonvention, der die Bundesrepublik im Jahr 2009 beigetreten ist. Das Problem: Bei der Umsetzung hapert es in Deutschland gewaltig.

Das ist das Ergebnis des Berichts der Monitoringstelle zur UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), der diese Woche vorgelegt wurde.Ende März wird sich der Fachausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen mit der Frage beschäftigen, wie weit Deutschland bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention fortgeschritten ist. Als Basis dafür soll auch der nun vorliegende Bericht der Monitoring-Stelle dienen.

Zwar gäbe es eine gewisse Dynamik zugunsten der Umsetzung der Konvention, heißt es in dem Papier der Monitoringstelle. Der nötige Paradigmenwechsel in der Politik hin zu mehr Selbstbestimmung und gleichberechtigter Teilhabe von Menschen mit Behinderungen sei jedoch ausgeblieben. Dass immer noch oft an gesonderten Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen festgehalten wird, stehe dem Ziel der Inklusion entgegen.

Im Bereich Bildung kritisiert der Bericht, dass von den etwa 500.000 SchülerInnen mit Behinderung immer noch 72 Prozent auf Sonder- und Förderschulen gehen. Zwischen den Bundesländern bestehen dabei große Unterschiede, der Anteil der SchülerInnen mit Behinderungen, die eine allgemeine Schule besuchen, variiert zwischen 15 und 63 Prozent. Einige Länder verweigern sich dem Auftrag, Inklusion strukturell zu begreifen, und halten an der Doppelstruktur Regelschule und Sondereinrichtung fest.

Die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Verena Bentele, kritisiert das oft mangelhafte Zusammenspiel von Bund, Ländern und Kommunen bei der Umsetzung der Konvention, gerade im Bereich inklusive Bildung. „Das wird nicht in allen Bundesländern mit der gleichen Energie und Konsequenz vorangetrieben“, so Bentele.

Nordrhein-Westfalen etwa ist bei der Inklusion schon verhältnismäßig weit. „Wir sind auf dem Weg, aber auf einem Mittelweg“, sagte die Sprecherin des Ministeriums für Schule und Weiterbildung der taz. Das Bundesland hat ein eigenes Inklusionsgesetz, alle Kinder mit Behinderungen haben das Recht, eine allgemeine Schule zu besuchen. Letztlich können jedoch weiter die Eltern entscheiden, ob ihr Kind nicht doch auf eine Förderschule gehen soll.

Die Kultusministerkonferenz hat sich noch nicht zu dem Bericht geäußert.

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4 Kommentare

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  • Bei den menschenrechtlichen "Experten" der "Monitoring-Stelle" handelt es sich übrigens um das "Deutsche Institut für Menschenrechte e.V.". Wer sich von deren Verständnis von Menschenrechten ein Bild machen will, mag sich folgende Sätze aus der Studie „Inklusive Bildung: Schulgesetze auf dem Prüfstand“ auf der Zunge zergehen lassen:

     

    "Der Grundsatz "Wohl des Kindes" verbindet sich mit der Vermutung, dass das Kindeswohl im inklusiven Regelschulzusammenhang am besten verwirklicht werden kann. (…) Die in einigen Ländern vorgesehene Einführung des genannten Wahlrechts der Eltern, zwischen Regel- und Sonderbeschulung zu entscheiden, ist nur übergangsweise vertretbar: Sollte die Existenz eines Elternwahlrechts nachweislich den Aufbau eines inklusiven Bildungssystems verzögern oder untergraben, beispielsweise weil es die erforderliche Reorganisation von Kompetenzen und Ressourcen für das Regelschulsystem erschwert und in diesem Zuge das Sonderschulwesen stärkt, ist das Elternwahlrecht mit dem Gebot der progressiven Verwirklichung des Rechts auf inklusive Bildung nicht in Einklang zu bringen."

     

    Die zitierten Sätze offenbaren ein erschreckend autoritäres Gesellschaftsverständnis, für das eine herbeizuführende Änderung des "Systems" Vorrang hat vor den Bedürfnissen und Rechten der einzelnen Menschen. Vereinfacht heißen die Sätze: "Liebe Eltern, wir Experten wissen besser als Ihr, was für Euer Kind gut ist. Ihr seid frei in Eurer Schulwahl-Entscheidung, aber nur so lange, wie Ihr Euch so entscheidet wie es unserer Expertenwissen als geboten ansieht. Denn die Quote muss erfüllt werden."

  • "Und so in etwa steht es auch in der UN-Behindertenrechtskonvention…" Was für ein Unsinn! Es ist vollkommen sachwidrig, "Inklusion" als Schlüsselbegriff und dazu einzigen Schlüsselbegriff der UN-BRK zu behaupten. Das Wort kommt im englischen Original eine Hand voll mal vor und meint umgangssprachlich "Einbeziehung", und zwar in selbstgewählte Gemeinschaft. Die UN-BRK beschreibt eine Vielzahl von miteinander in Beziehung stehenden (= unteilbaren) Menschenrechten. In Artikel 24 geht es ausdrücklich um das Recht auf BILDUNG. Zu den Menschenrechten gehört z.B. auch grundsätzlich die autonome Entscheidungsfähigkeit, wo und mit wem mal als Mensch leben, arbeiten, zur Schule gehen will usw.

     

    Aus diesem differenziert konstruierten Rechtsdokument ableiten zu wollen, dass bestimmte Strukturen wie etwa Förderschulen abzuschaffen oder zu benachteiligen oder als minderwertig zu betrachten seien, ist eine absurde Frechheit, wo es nicht aus Unkenntnis geschieht.

     

    Diese Unkenntnis ist allerdings erschreckend verbreitet. Ich beschäftige mich seit Jahren mit dem Thema und habe bisher keine 10 Leute getroffen, die die UN-BRK komplett und aufmerksam gelesen haben. Davon abgesehen, ist es leider so weit gekommen, dass diejenigen, die das traurige Spiel durchschauen, ihre Klappe öffentlich nicht mehr aufkriegen: "Inklusion" (nicht als wohldefinierter soziologischer Fachbegriff, sondern) als das Gute schlechthin, gegen das keine Widerrede erlaubt ist. Solche Begriffe sind immer zerstörerisch.

  • "Im Bereich Bildung kritisiert der Bericht, dass von den etwa 500.000 SchülerInnen mit Behinderung immer noch 72 Prozent auf Sonder- und Förderschulen gehen. Zwischen den Bundesländern bestehen dabei große Unterschiede, der Anteil der SchülerInnen mit Behinderungen, die eine allgemeine Schule besuchen, variiert zwischen 15 und 63 Prozent."

     

    Na, und wo ist wohl PEGIDA-Land (sprich Sachsen mit LHS Dresden) beim Thema Inklusion einzuordnen?

     

    In NRW gibt es nicht nur mehr "Ausländer" im Alltag und in der Öffentlichkeit, sondern auch mehr "Behinderte" an sog. Regelschulen als in Sachsen.

  • Wer definiert denn "Behinderung"?

    Das deutsche Recht kennt nur Schwerbehinderung gem SGB IX oder Schulfähigkeit im Sinne der Landessschulgesetze.

    Wenn sich die UN nichtmal an deutsche Begriffe halten kann, bedeutet das Ganze eben.. nichts.

    "Behindert" ist irgendwie jede/r.

    Das ist schon eine Brille oder eine Legasthenie.

    In den Schulgesetzen gibt es den "Sonderpädagogischen Förderbedarf".

    Kommt hier auch nicht vor.

     

    So kann keine sinnvolle Diskussion geführt werden.

    Das ist "bullshit-bingo".

     

    "Alle Menschen sind von Anfang an überall dabei"

    Na, dann müssen auch die Bobby-Cars auf die Autobahn und schwer geistig Behinderte an die Unis und zur Deutschen Bank - oder was?

     

    NRW nutzt das Ganze als Politische Propaganda - in der Regelschule sind die Ex-Förderschüelr viel billiger - und wie die dann gefördert werden, ist nicht garantiert.

    Eine billige und wohlklingende Möglichkeit, Geld zu sparen.

    Auf Kosten aller Kinder.

    Wer darauf reinfällt, dass NRW sich hier schönredet, der ist wirklich ein "Opfer" dieser Propaganda.

     

    Dass viele Eltern aus guten Gründen die Förderschule vorziehen, ist natürlich keine Erwähnung wert.

    Damit ist bei der "Inklusion" die Grenze zur Ideologie überschritten - die Betroffenen werden nicht gehört und ihre Entscheidungsfreiheit durch Liquidierung der Fördersschulen beschnitten.

    Das deutet klar darauf hin, dass die UN-Resolution nur den "nützlichen Idioten" für eine große Sparwelle macht.

     

    Wer das kapiert, dessen/deren Kinder sind eh bald auf privaten Schulen.

    "Inklusion" nach deutscher Art spaltet.

    Und ruiniert die öffentlichen Schulen.