Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft: Wer ist Hanna?
Unter dem Hashtag #IchbinHanna ist eine Debatte über prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft entbrannt. Drei Wissenschaftlerinnen erzählen.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) erklärte in einem Video, was das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) ist. Ein Gesetz, das dafür sorgt, dass vor allem Promovierende und Postdocs befristete Stellen unterschreiben. Damit das „System nicht verstopft“ werde, wie es in dem Video heißt. Die Protagonistin in dem Erklärvideo heißt Hanna.
Wissenschaftler:innen initiierten deshalb den Hashtag #IchbinHanna, unter dem sie berichteten, was die dauerhaften Befristungen für sie bedeuten: Druck, Planungsunsicherheit, unerfüllte Kinderwünsche und das Verlassen der Wissenschaft gehören dazu. Für einige ist auch klar: Sie sind nicht Hanna, weil sie auf ein Visum angewiesen sind oder als BPoC Diskriminierungsstrukturen ausgesetzt sind, die auch andere Auswirkungen haben als prekäre Arbeitsverhältnisse. Mittlerweile wurde das Video vom BMBF offline genommen und per Stellungnahme auf die Kritik reagiert.
„Ich habe schon Videokonferenzen aus dem Krankenhaus heraus gemacht“
Ich schreibe meine Doktorarbeit über Zeitlichkeit und Behinderung in der zeitgenössischen amerikanischen Literatur. Ich habe Mukoviszidose, eine chronische Stoffwechselerkrankung. Mit Mukoviszidose hat man eine reduzierte Lebenserwartung. Als ich angefangen habe zu studieren, war es teilweise so, dass ich gesagt habe: „Ich erreiche das Rentenalter ja gar nicht.“ Und dachte mir: „Na ja, was soll’s, dann habe ich halt nicht so die Mega-Karrierechancen, ich weiß eh nicht, wie alt ich werde. Dann kann ich auch in die Wissenschaft.“ Ich habe Glück, dass es ein neues Medikament gibt, mit dem es mir viel viel besser geht. Das normalisiert meine Lebenserwartung ein Stück weit, aber jetzt muss ich mich doch mit diesem schrecklichen Arbeitsmarkt auseinandersetzen.
Gerade arbeite ich in meinem dritten Vertrag, der im Juli ausläuft. Ich weiß, dass die Verlängerung beantragt ist, aber die ist noch nicht durch. Meine Chefin will mich zwar weiterbeschäftigen, aber dass ich nicht weiß, ob und wann mein Arbeitsvertrag verlängert wird, nimmt mir die Motivation.
Es erzeugt diese völlig paradoxe Situation: Natürlich will ich schnell fertig werden mit der Diss, aber in dem Moment, wo ich mit der Diss fertig werde, habe ich keinen Job mehr. Das ist eine Qualifikationsstelle und die muss ich wieder freimachen. Das hat einen Einfluss auf die Lebensplanung. Und der Druck macht total was mit einem. Du vergleichst ständig Lebensläufe mit anderen, die viel veröffentlicht haben und hier noch mal eine Konferenz organisiert haben. Dadurch entsteht ein Zwang zur totalen Hyperproduktivität. Du musst immer noch ein bisschen besser sein als die anderen.
Manchmal kollidiert dieser Zwang zur Überproduktivität aber mit meinem Körper: Ich muss regelmäßig ärztlich kontrolliert werden, Medikamente nehmen, ich muss inhalieren. Das kostet alles Zeit. Und oft habe ich einfach nicht so viel Kraft. Weil: für meinen Körper ist alles – das ganz normale Funktionieren, rumlaufen, Treppensteigen, Essen – anstrengender. Und ich kann mich nicht immer rausziehen: Ich habe schon Videokonferenzen gemacht aus dem Krankenhaus heraus, um den Anschluss nicht zu verlieren. Und klar, das ist noch mal ein extra Druck, ich muss es eben auch besonders gut machen, um zu beweisen, dass ich ja trotz und wegen der Behinderung immer noch hier mitreden darf.
Dorothee Marx (32) promoviert an der Uni Kiel zu chronischen Erkrankungen und Behinderungen in Comics und Literatur
„Zurück an eine deutsche Uni möchte ich nie mehr“
Ich habe meinen Magister in Deutschland gemacht und bin nach einem Jahr als wissenschaftliche Hilfskraft weggegangen. Meine Erfahrung ist die, wie es für jemanden mit einer sozialen Herkunft in der Arbeiter:innenklasse und mit „Migrationshintergrund“ an der Uni war. Das ist nur ein Faktor, warum ich mich entschieden habe, nicht in Deutschland an der Uni zu bleiben, aber auch Finanzen und mein Forschungsinteresse hängen damit zusammen. 2017 habe ich in Edinburgh promoviert über die postkoloniale Situation der Stadt Brüssel. Jetzt arbeite ich als Wissenschaftlerin in den Postcolonial und Decolonial Studies. Zurück an eine deutsche Uni möchte ich nie mehr.
Meine Sicht ist eine privilegierte: Ich hatte eine großartige Mentorin. Dazu kommt, dass ich keine Kinder oder keine Pflegeverantwortung für irgendjemanden habe. Ich konnte gehen. Das ist selbst, wenn man in Deutschland bleibt, ein Problem mit den sehr kurzfristigen Verträgen. Dass man immer in der Position sein muss, seine Koffer zu packen und nächstes Jahr woanders zu arbeiten. Das ist für viele unmöglich.
Was mich so wahnsinnig daran frustriert, ist diese Vorstellung: Wer ist diese Person, für die diese Stellen geschaffen werden? Wenn das Bildungsministerium sagt, dass dass Wissenschaftszeitgesetz tatsächlich in irgendeiner Weise eine gute Sache sein soll, dann kann sie ja nur eine gute Sache sein für jemanden, der:die total unabhängig ist, der:die keine Verpflichtungen in irgendeiner Art hat. Ich kann ja auch diese Kurzfristigkeit psychisch nur aushalten, wenn ich ein Sicherheitsnetz habe. Wenn ich weiß: Ach, wenn ich keinen Job kriege, dann zieh ich einfach wieder bei Mama und Papa ein.
Was in der Debatte um das Wissenschaftszeitgesetz untergeht, ist auch das System der deutschen Uni. Doktorand:innen, vor allem die, die mit einem Arbeitsvisum an einer deutschen Uni angestellt sind, haben ein problematisches Abhängigkeitsverhältnis zu ihrer:ihrem Gutachter:in. Es kommt in diesem System zu vielen Situationen, die ich auch so nicht mehr erlebt habe, seitdem ich in Großbritannien arbeite. Zum Beispiel wie Lehrende in höher gestellten Positionen sich über Studierende äußern, über deren Hintergrund, Interessen, Ausdrucksfähigkeit, und auf sie eingehen. Äußerungen, die latent rassistisch, klassistisch, sexistisch sein können. Momente, in denen ich mir gedacht habe: Das ist kein Umfeld, in dem ich mich wiederfinden will. Wo ich das Gefühl hatte, dass ich wahnsinnig viel erklären muss – auch meine Existenz in diesem Raum ständig erklären muss.
Dann kommt hinzu, was und wie in Deutschland unterrichtet wird. Gerade in so recht traditionsverwurzelten Fächern wie der Romanistik. Es ist ein relativ weißer Kanon – es findet wenig statt, was Dekolonialisierung angeht. Es gibt zwar positive Ausnahmen, aber wir brauchen einen langfristigen Wandel. Wenn sich jemand denkt: Okay, bin ich drin, aber fühle mich als Arbeiter:inkind und/oder als nichtweißer Mensch trotzdem fehl am Platz. Ich denke, das ist das Hauptproblem.
Sarah Arens (35) hat in Saarbrücken Romanistik studiert, in Edinburgh ihre Promotion in Postcolonial und Decolonial Studies verfasst und arbeitet heute als Wissenschaftlerin in St. Andrews, Großbritannien
„Gerade arbeite ich auf meinem elften Vertrag“
Ich bin seit ungefähr zehn Jahren in der Wissenschaft. Promoviert habe ich in der Naturwissenschaft, nun forsche ich im Bereich der Medizin. Gerade arbeite ich auf meinem elften Vertrag. Mir wurde gesagt, dass das der letzte Vertrag ist. Das Interessante ist, dass mir das nie aufgefallen ist, weil es bei allen Kollegen so ist. Das ist total normal, dass man sowohl während als auch nach der Promotion nur ganz kurze Verträge bekommt und die dann auslaufen und man dann auf irgendwelchen Drittmitteln sitzt, wo man mit den Projekten auch gar nichts zu tun hat. Einfach, um irgendwie angestellt zu sein. Ich habe das nie hinterfragt. Jetzt habe ich gemerkt: Oh Gott, was sind das wirklich für prekäre Bedingungen, dass ich mich noch nicht mal darauf verlassen kann, dass das funktioniert. Mir ist bewusst geworden, dass das sehr endlich ist. Dass ich nicht lange dort bleiben kann.
In meinem Umfeld haben alle einen Back-up-Plan. Viele von uns sind Psychologen oder auch Ärzte. Die meisten haben mit der Psychotherapie-Ausbildung oder mit der Psychiater-Fachausbildung angefangen, weil sie sagen: Mit der Wissenschaft wird es bei ihnen ja sowieso nichts. Ich war aber bisher erfolgreich. Ich habe nach meiner Promotion mehrere Preise bekommen und habe auch eine Publikation, die in einem sehr hoch angesehenen Journal veröffentlicht wurde. Davon war ich motiviert, ich habe gedacht: Bei mir könnte es doch vielleicht klappen.
Aber ich habe zwei kleine Kinder, und ein langfristiger Weg in der Wissenschaft ist eigentlich wenig familienkompatibel. Ich müsste jetzt eigentlich noch mal unbedingt ins Ausland. Wie mache ich das mit meinem Mann und den kleinen Kindern? Ich brauche eigentlich in den nächsten zwei Jahren eine Juniorprofessur. In Berlin ist das quasi unmöglich zu bekommen. Ich habe mich schon viel beworben, habe das nie bekommen, es ist einfach unglaublich kompetetiv hier. Ich kann mir nicht aussuchen, wo ich wohne, wenn ich weiter in meinem Feld arbeiten möchte. Wir waren neulich kurz davor, ins Ausland zu ziehen, weil es da eine Stelle für mich gibt. Das haben wir doch nicht gemacht, weil die Kinderbetreuung 1.500 Dollar pro Kind kostet.
Sich auf eine Professur zu bewerben ist nichts, was ich neben meinem Vollzeitjob schaffe. Das mache ich wirklich in meinem Feierabend. Ich habe auch noch zwei kleine Kinder, die fordern mich. Dazu Beziehungspflege und Freunde. Es ist ein sehr ungesunder Arbeitsstil. Ich habe dadurch keine Sekunde für mich. Der Druck ist extrem. Und gleichzeitig will ich es wirklich noch mal versuchen.
Bis Dezember probiere ich es noch mal volle Kanne, das alles in die Bahn zu lenken, in die ich es lenken möchte, und dann, das habe ich meinem Mann versprochen, ziehe ich auch wirklich Alternativen außerhalb der Wissenschaft in Erwägung. Ich bin leidenschaftliche Wissenschaftlerin, ich liebe, was ich mache, deswegen ist es für mich umso trauriger, dass für mich dieser Traum, in diesem Bereich zu bleiben, nicht ermöglicht wird.
Die Naturwissenschaftlerin (36) möchte anonym bleiben, da sie befürchtet, dass eine Veröffentlichung unter ihrem Klarnamen ihr Arbeitsverhältnis gefährden könnte. Ihre Identität ist der taz bekannt.
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