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Arbeitsbedingungen an HochschulenForschen bleibt prekär

Befristung und Unsicherheit dominieren die Beschäftigung von Wissenschaftler*innen an den Hochschulen. Seit 2005 hat sich wenig geändert.

Lehren in der Arbeitszeit, Forschen in der Freizeit, so sieht der Alltag vieler Promovierenden aus Foto: Ralf Hirschberger/dpa

Berlin taz | Lucas von Ramin hat gerade seine Promotion an der Technischen Universität Dresden eingereicht. Geschrieben hat er sie hauptsächlich in seiner Freizeit. Ramin ist seit 2016 mit einer halben Stelle am Institut für Philosophie angestellt. Bezahlt wird er vor allem für Lehrveranstaltungen und Verwaltungsarbeiten, die im Idealfall nur die Hälfte seiner Zeit einnehmen sollten. Ende Dezember läuft sein Vertrag aus.

„Ich hatte Glück und habe eine Stelle an einem anderen Institut der Uni bekommen“, berichtet er. Es wird sein neunter Arbeitsvertrag an der TU Dresden sein. Bis September nächsten Jahres ist die neue Beschäftigung als wissenschaftlicher Mitarbeiter befristet. Wie es danach weitergeht, sei ungewiss. „Es kann sein, dass ich in den nächsten vier Jahren eine unbefristete Stelle bekomme, oder aber dass ich nie eine finde“ – so blickt von Ramin in die Zukunft.

Befristete Verträge mit kurzen Laufzeiten, unsichere Lebensplanung, Forschung in der Freizeit – so sieht der Alltag vieler Wissenschaftler*innen an deutschen Unis seit Langem aus. Bereits 2010 hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft mit dem „Templiner Manifest“ gefordert, Arbeit an den Hochschulen zu entprekarisieren und Dauerstellen für Daueraufgaben zu schaffen. Mit einer Studie zu Beschäftigungsbedingungen an Hochschulen zwischen 2005 und 2018 ziehen Forscher*innen der Universität Halle-Wittenberg nun Bilanz.

Das Ergebnis ist ernüchternd: Weder die Exzellenzinitiative von Bund und Ländern noch die Selbstverpflichtung der Hochschulen für gute Arbeit in der Wissenschaft haben den Anteil befristeter Stellen maßgeblich reduziert. Ebenso wenig hat der Qualitätspakt Lehre das Betreuungsverhältnis von Lehrenden zu Studierenden verbessert.

Viele Worte, aber kaum Konzepte

Eine Studie der Max-Traeger-Stiftung ergab zudem, dass der Prozentsatz der befristeten Beschäftigungsverhältnisse beim wissenschaftlichen Personal, Professor*innen ausgenommen, an deutschen Hochschulen seit 2016 lediglich um 1 Prozent auf 82 Prozent gesunken ist. An Universitäten sind gar 89 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen befristet beschäftigt.

„Dauerstellen werden oft thematisiert, aber kaum konzeptualisiert“, resümiert Anne Krüger von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften über die derzeitigen Personalentwicklungsmodelle der Hochschulen. Insbesondere Promovierten bereiten die Befristungen jedoch oft ein jähes Karriereende: Denn wer sechs Jahre nach der Promotion zur Weiterqualifizierung an Hochschulen beschäftigt war und keine Festanstellung gefunden hat, muss das Unisystem verlassen oder eine externe Finanzierung finden. So sieht es das Wissenschaftszeitvertragsgesetz mit wenigen Ausnahmeregeln vor.

Lediglich der Ausbau der Grundfinanzierung von Hochschulen führe zu einem Anstieg der Dauerstellen, so GEW-Vorstandsmitglied Andreas Keller. Die Gewerkschaft fordert deshalb unter anderem einen „kräftigen Ausbau der Grundfinanzierung der Hochschulen“. Mindestens 50 Prozent des künstlerischen und wissenschaftlichen Personals neben der Professur sollten dauerhaft beschäftigt werden, heißt es im Aufruf der am Mittwoch gestarteten GEW-Petition „Dauerstellen für Daueraufgaben“. Zudem müssten befristete Arbeitsverträge, Stipendien und Ausbildungsförderungen pandemiebedingt um mindestens zwölf Monate verlängert werden.

Bestärkt wird die GEW in ihren Forderungen vom Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft, das in einer neuen Veröffentlichung alternative Szenarien zum Status quo der Beschäftigungsverhältnisse an deutschen Unis modelliert. Sein Fazit: Die gegenwärtige Praxis, Nachwuchswissenschaftler*innen über lange Jahre von Befristung zu Befristung wandern zu lassen, um sie am Ende auszusortieren, sei „durch keine triftigen Sachgründe gedeckt“.

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2 Kommentare

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  • Gebetsmühlenartig wird das vorgetragen. Ebenso gebetsmühlenartig gibt es das Gegenargument, dass diese Stellen Qualifikationsstellen sind.

    Für Herrn Ramin bedeutet das schlicht: für seine Promotion hätte er so oder so keine Dauerstelle bekommen.



    Die Lehr- und Verwaltungsaufgaben liegen an, aber wenn die von einer Dauerstelle erledigt würde, hätte er auch dafür keine Anstellung gefunden und nach dem (angenommenen) Master in Philosophie wäre Schluss an der Uni.

    Ansonsten hat sich sehr viel getan, allerdings nicht immer zugunsten der Qualifikanten: kurzzeitige Beschäftigung (unter 6 Monaten) sind weitgehend abgeschafft. Nachteil: eine kurze Überbrückung bis zum Job in 2 Monaten oder so ist nicht mehr möglich.

    • @fly:

      Also geht es darum mehr feste Stellen zu schaffen. Man könnte ja zum Beispiel für die nächsten fünf Jahre festlegen, dass so und so viele neue Stellen in Lehre und Forschung geschaffen werden sollen und davon überproportional viele Stellen entstehen, die keine Qualifikationsstellen sind. Man müsste halt Geld in die Hand nehmen und das wollen die Konservativen und die Liberalen nicht, damit sie ihre Argumente für Studiengebühren beibehalten können. Nur mit sicheren Jobs in der Forschung und der Lehre hat der Hochschulstandort Deutschland eine Zukunft.