Anwälte vor Prozess gegen Daniela Klette: „Hier wird eine RAF 2.0 konstruiert“
In Kürze steht die RAF-Beschuldigte Daniela Klette wegen 13 Überfällen vor Gericht. Ihr Anwälteteam kritisiert eine Dämonisierung und Vorverurteilung.

taz: Frau Weyers, Herr Theune, Herr von Klinggräff, ab Dienstag wird Ihre Mandantin Daniela Klette in Niedersachsen vor Gericht stehen – es dürfte einer der meistbeachteten Prozesse dieses Landes werden. Klette ist beschuldigte RAF-Terroristin, war 35 Jahre abgetaucht, ehe sie vor einem Jahr gefasst wurde. Für die RAF-Vorwürfe wird es einen zweiten Prozess geben, nun geht es erst einmal um 13 Raubüberfälle nach Auflösung der RAF – und Klette tritt erstmals in die Öffentlichkeit. Wie wird sie das tun?
Ulrich von Klinggräff: Das wird sicher kein leichter Tag für unsere Mandantin. Sie ist durchaus aufgeregt vor diesem Prozessbeginn. Aber sie will das auch kämpferisch angehen und wird am ersten Verhandlungstag eine Erklärung abgeben. Sie hat das Interesse, nicht als Objekt zu erscheinen in diesem Verfahren, sondern als aktive Persönlichkeit, und sich zu verteidigen gegen eine sehr politisch agierende Staatsanwaltschaft.
taz: Bisher schweigt Daniela Klette zu den Vorwürfen. Um was wird es in der Erklärung gehen?
Von Klinggräff: Dem wollen wir nicht vorgreifen. Aber sie wird sich nicht zu einzelnen Vorwürfen äußern, sondern ein paar Dinge benennen, die ihr in diesem Verfahren wichtig sind.
Undine Weyers, Lukas Theune und Ulrich von Klinggräff arbeiten als Anwält*innen in Berlin und vertreten seit vielen Jahren Beschuldigte aus der linken Szene. Sie sind auch Mitglieder des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins, Theune ist dort Geschäftsführer.
taz: In einer Erklärung aus der Haft heraus beklagte Klette, dass die Staatsanwaltschaft das Zerrbild einer „skrupellosen Bande“ schaffe, der sie mit den noch flüchtigen RAF-Beschuldigten Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub angehört haben soll. Der Staat setze auf „Eskalation und Denunziation“. Aber geht es hier nicht einfach um Strafverfolgung?
Lukas Theune: Ja und nein. Natürlich geht es auch um Strafverfolgung. Aber die Dimension dieses Prozesses hat noch nie ein anderes Raubverfahren gesehen. Das sprengt jedes Maß. Und die Staatsanwaltschaft schafft das Bild einer Person, die wahnsinnig gefährlich sein soll – auch mit möglichst gruseligen Informationen, die gezielt an Medien gegeben werden. Die Waffen in der Wohnung – die aber gar nicht geladen waren. Die Evakuierung des gesamten Wohnhauses nach der Festnahme – wegen Sprengstoff, den es nicht gab. Da wird der Eindruck erweckt, dass die Nachbarn die ganze Zeit auf einem Pulverfass saßen. Die Wohnung ist bis auf die Fußleiste abgebaut und in Hannover wieder aufgebaut worden. Die Polizei fuhr nach der Festnahme mit Panzern durch die Stadt. Das alles schafft das Bild, dass Frau Klette eine völlig skrupellose, kaltschnäuzige Person ist. Was einfach Unsinn ist. Diesem Bild tritt unsere Mandantin eindeutig entgegen.
taz: Aber es gab nun mal Waffen und Munition in der Wohnung – die zum Teil auch bei den Überfällen eingesetzt worden sein sollen. Harmlos ist das nicht.
Undine Weyers: Dass die Waffen ein Problem sind, bestreiten wir nicht. Aber wenn man sich anschaut, wie die Festnahme ablief, war das komplett harmlos. Als die Beamten an Frau Klettes Tür klopften, hat sie sich völlig ruhig festnehmen lassen. Sie durfte ja sogar noch mal zurück in die Wohnung, um ihren Hund zu beruhigen und aufs Klo zu gehen. Da hätte sie ja die Waffen holen und viel Schaden anrichten können. Hat sie aber nicht. Alles, was sie gemacht hat, war eine SMS zu verschicken: „Sie haben mich.“

taz: Eine SMS an Burkhard Garweg – der dann flüchten konnte.
Weyers: Ja. Aber Frau Klette griff eben nicht zu Waffen, sondern ließ sich widerstandslos mitnehmen. Es ist auch seit der Festnahme nichts passiert. Sie sitzt völlig unauffällig in der JVA Vechta, bringt dort anderen Gefangenen Deutsch bei, hat eine Kochgruppe. Das passt alles nicht zu dem völlig überhitzten Bild, dass es hier um hochgefährliche Leute geht, die sofort zur Schusswaffe greifen. Das ist eine Dämonisierung.
taz: Das Bild rührt daher, dass Klette auch als frühere RAF-Terroristin beschuldigt wird. Bis zu ihrer Auflösung 1998 tötete die RAF 34 Menschen. Klette werden keine Morde vorgeworfen, aber das Mitwirken an drei Anschlägen von 1990 bis 1993.
Von Klinggräff: Diese Vermengung ist genau das Problem. Denn in diesem Prozess soll das ja gar keine Rolle spielen. Es wird von der Staatsanwaltschaft Verden und vom Landgericht immer postuliert: Wir wollen hier ein ganz normales Strafverfahren durchführen. Die RAF interessiert uns nicht, das kommt in dem zweiten Prozess. Aber alles, was passiert, konterkariert diese Aussage. Das betrifft sowohl die gigantischen Sicherheitsmaßnahmen als auch die Art und Weise, mit der das Thema RAF durch die Hintertür inhaltlich in das Verfahren eingeführt wird.
Theune: Wir verhandeln in Celle in einem Hochsicherheitsaal, unsere Mandantin soll mit Hand- und Fußfesseln vorgeführt werden. Später geht es nach Verden, wo extra ein neuer Saal für allein 72 Pressevertreter gebaut wird. Nur wegen Raubüberfällen? In den Medien heißt es die ganze Zeit, einer RAF-Terroristin wird der Prozess gemacht. Und so liest sich auch die Anklageschrift.
taz: Inwiefern?
Von Klinggräff: An zentralen Stellen der Anklage werden immer wieder RAF-Bezüge hergestellt. Es wird einfach unterstellt, dass unsere Mandantin RAF-Mitglied war – und das wird mit bestimmten Zuschreibungen verbunden, um Lücken in der Beweisführung zu kitten. Dann heißt es: So agieren eben ehemalige Mitglieder der RAF, so ist ihre Gruppenstruktur. Und solche Leute sind zu allem bereit – auch zur Tötung von Menschen. So kann dieser Prozess nicht funktionieren. Denn drehen wir das mal um: Was ist, wenn sich im zweiten Verfahren herausstellt, dass Frau Klette gar nicht Mitglied der RAF war? Dann wären diese ganzen Vorannahmen, die in diesem Prozess eine so zentrale Rolle spielen, im Nachhinein obsolet. Es ist doch absurd, in Verden ein Verfahren aufziehen zu wollen, in dem völlig willkürlich und unbelegt bestimmte Behauptungen über die RAF aufgestellt werden und mit diesen dann der Tatnachweis für irgendwelche Raubtaten geführt werden soll, die viele Jahre nach Auflösung der RAF stattgefunden haben.
Theune: Und den größten Teil der Ermittlungsakte, die bei der Bundesanwaltschaft ausgewertet worden ist, haben wir gerade erst bekommen: zwölf Terabyte digitaler Dokumente – ein paar Tage vor Prozessbeginn. Das sind umgerechnet zehn Millionen Aktenordner! Wenn man die ausdruckt und nebeneinander stellt, wäre es eine Strecke von Berlin bis München. Wie sollen wir das noch bis zum Prozessbeginn lesen? Wie sollen wir so die Beweislage kennen und unsere Mandantin ordentlich verteidigen?
taz: Was heißt das für den Prozess?
Theune: Dass wir das so nicht hinnehmen und das auch deutlich artikulieren werden.
taz: Zum RAF-Vorwurf schrieb Daniela Klette zuletzt in einem Grußwort für einen „Junge Welt“-Kongress, sie sei „Teil der weltweiten Bewegungen“ gewesen, „die für die Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung, gegen Kapitalismus und Patriarchat und gegen Krieg und Militarismus kämpften“.
Weyers: Das war ich auch, das waren viele. Das sagt doch noch nichts über eine RAF-Mitgliedschaft aus.
taz: Bei ihrer Festnahme soll Klette auch auf der Polizeiwache gerufen haben: „Ich bin Daniela Klette von der RAF.“
Weyers: Es ist gar nicht sicher, ob der Satz wirklich so gefallen ist. Auch das gilt es noch zu klären.
Von Klinggräff: Selbst wenn man unterstellt, sie hätte sich der RAF angeschlossen: Was heißt das? Zur Struktur der RAF in ihren letzten Jahren ist fast nichts bekannt. Es gibt jedoch Hinweise, dass sich diese am Ende stark veränderte. Die Anklage aber behauptet einfach einen Grundsatz der Kollektivität bei der RAF bis zum Schluss: Alle Mitglieder hätten von allen Taten gewusst und seien daher auch für alles mitverantwortlich. Dabei gibt es eine BGH-Entscheidung zu Birgit Hogefeld, die auch sagt: Wir wissen im Grunde nichts zur Struktur der RAF in den Neunzigerjahren. Aber der Grundsatz der Kollektivität wird jetzt trotzdem auf die Raubserie übertragen. Nun soll unsere Mandantin an allen 13 Überfällen beteiligt und dabei auch zu töten bereit gewesen sein – weil sie, Garweg und Staub eben immer alles zusammen gemacht hätten. Aber dafür gibt es gar keine Beweise.
taz: Aber es gibt die bei Klette gefundenen Waffen, Störsender, Sturmhauben, Kartenmaterial von den Tatorten oder Wohnungen, die sie unter Alias-Namen anmietete.
Weyers: Ja, es wird wohl so sein, dass Frau Klette irgendetwas mit den Überfällen zu tun hatte. Aber es gibt keinen einzigen Beweis, dass sie an einem der Tatorte war oder welche Rolle sie dabei hatte. Im Gegenteil gibt es Täterbeschreibungen von Zeugen, die überhaupt nicht zu unserer Mandantin passen. Einige Zeugen sagen auch, es waren nur zwei Personen vor Ort oder vier, andere sagen, es waren drei Männer. Aber die Staatsanwaltschaft sagt: Es waren immer Klette, Garweg, Staub. Es wurde gar nicht in eine andere Richtung ermittelt.
taz: Es gibt DNA-Spuren von Klette an Fluchtfahrzeugen.
Theune: Das sind sehr komplexe DNA-Mischspuren und die wurden in Fahrzeugen gefunden, die zwischen Ankauf und Überfall durchaus auch mal 1.000 Kilometer bewegt wurden. Wann die DNA-Spur da hinterlassen wurde, weiß man nicht – das kann auch Wochen vor dem Überfall gewesen sein. Damit werden wir uns sehr genau im Prozess beschäftigen müssen, das wird sehr kleinteilig.
taz: Daniela Klette schreibt, sie sei wegen „bewaffneter Enteignungsaktionen“ angeklagt. Kann man das so sagen?
Theune: Nein, das kann man so nicht sagen. Ihr werden Raubüberfälle vorgeworfen.
taz: Für einen Überfall, 2015 in Stuhr bei Bremen, wirft die Anklage Klette auch versuchten Mord vor. Weil dort in Richtung des Fahrers des Geldtransporters geschossen wurde. Klette erklärte bereits, „niemals“ wäre es für die „revolutionäre Linke in der BRD“ infrage gekommen, „für Geldbeschaffung Menschen zu töten“. Aber die Schüsse fielen nun mal.
Weyers: Also alleine, dass geschossen wird, heißt ja noch kein Tötungsvorsatz. Und wenn man die Flugbahn der Munition und Überwachungsvideos genau anschaut, dann stellt man fest, dass gar nicht auf den Fahrer geschossen wurde, sondern Richtung Motorhaube. Aber die Staatsanwaltschaft behauptet trotzdem das Gegenteil, ohne das zu belegen.
Von Klinggräff: Bei keinem der Überfälle wurde irgendwer physisch verletzt. Und bis Stuhr wurde auch bei keinem der Angriffe irgendwo geschossen. Aber dann sollte plötzlich ein Mensch gezielt getötet werden? Dafür spricht wirklich gar nichts. Im Gegenteil wurde laut Zeugenaussagen bei allen Überfällen versucht, einen Schusswaffeneinsatz zu vermeiden. Zuletzt hat ja auch das Oberlandesgericht Celle erklärt, es sehe hier keinen dringenden Tatverdacht für einen versuchten Mord mehr.
taz: Viele der Überfallenen gaben an, von den Angriffen traumatisiert zu sein. Garweg schrieb in einem Brief aus dem Untergrund, der an die taz ging, „jegliche Traumatisierung von Angestellten von Kassenbüros oder Geldtransporten ist zu bedauern“. Aber genau das ist geschehen.
Von Klinggräff: Dass Menschen durch solche Taten psychisch belastet werden, ist sicher so. Das soll von uns sicher nicht bestritten werden.
taz: Vor ihrer Festnahme lebte Klette jahrelang in Kreuzberg, am Ende gar nicht so unauffällig. Sie war in Capoeira-Gruppen aktiv, soll gar nach Brasilien oder Mosambik gereist sein. Wusste damals wirklich niemand von ihrer wahren Identität?
Theune: Nein, das wusste niemand.
taz: Es gab keine Unterstützer in der Zeit, die Bescheid wussten?
Von Klinggräff: Nein, darauf gibt es überhaupt keine Hinweise.
taz: Die Ermittler sind überzeugt, dass es diese Unterstützer gab. Der BGH verweigerte auch deshalb den früheren RAF-Mitgliedern Günter Sonnenberg und Karl-Heinz Dellwo Haftbesuche bei Daniela Klette.
Von Klinggräff: Das ist alles absurd. Hier wird eine RAF 2.0 konstruiert. Hier werden Bilder aus den 70er- und 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts aktiviert und die Gefahr von Fluchtvorbereitungen behauptet. In der Akte steht auch, dass Frau Klette Kontakt zu Christian Klar gehabt haben muss. Aber der einzige Hinweis dafür ist, dass er in Berlin anderthalb Kilometer von ihr entfernt wohnte – das ist alles. Das ist an Absurdität nicht zu überbieten.
taz: Wo Garweg und Staub heute sind, wissen Sie auch nicht, oder?
Alle drei lachen.
Theune: Nein, wissen wir nicht. Wirklich nicht.
taz: Verraten wurde Klette letztlich von einem Hinweisgeber, der dafür 25.500 Euro erhielt. Weiß man inzwischen, wer er war?
Weyers: Den Namen kennen wir nicht. Aber laut der Akte kam der Hinweis von einer Vertrauensperson aus Berlin, einem informellen Tippgeber der Polizei, der auf ein Capoeira-Festival hinwies. Der Hinweis wurde zunächst geprüft und negativ bewertet. Dann gab es diesen Podcast, der nach Klette suchte und ebenfalls auf die Capoeira-Gruppe stieß, und da wurde der Hinweis nochmal geprüft – und dann gab es die Festnahme.
taz: Seit der Festnahme gab es mehrere Demos für Daniela Klette, auch Kundgebungen direkt vor der JVA. Wie hat Sie das aufgenommen?
Von Klinggräff: Sie freut sich darüber. Es tut ihr wahnsinnig gut, zu sehen, dass es Solidarität mit ihr gibt.
taz: Sollte Daniela Klette verurteilt werden, dürften ihr viele Jahre Haft bevorstehen. Wie blickt sie darauf?
Weyers: Sie steckt den Kopf nicht in den Sand und versucht, aus ihrer Situation das Beste zu machen. Aber sie ist sich ihrer Situation bewusst.
taz: Und was wird Daniela Klette machen, wenn Sie irgendwann wieder in Freiheit ist? Hat Sie da schon Pläne?
Weyers: Ich weiß nicht, ob sie gerade schon so weit denkt. Ich glaube, sie würde wohl erstmal ihre Hündin sehen und spazierengehen, im Wald oder auf dem Tempelhofer Feld. So wie sie das die ganzen letzten Jahre gemacht hat.
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