Antisemitismusstreit in der Linkspartei: Kronzeugen für einen falschen Vorwurf
Der Vorwurf, die Linke sei antisemitisch, ist haltlos. Mit ihrem Austritt zeigen Lederer und Co. nur, dass sie nicht kompromissfähig sind.
N un ist es also doch passiert: Die Debatte um Nahost und Antisemitismus, die die gesellschaftliche Linke seit einem Jahr zerlegt, hat nun mit Verzögerung auch die Partei Die Linke voll erwischt. Zwar hatte der Bundesparteitag am Wochenende in Halle noch einen durchaus tragfähigen Kompromiss gefunden, doch der angestaute Frust war für einige Mitglieder dann doch zu groß.
Nach dem Austritt von Henriette Quade in Sachsen-Anhalt verabschiedeten sich am Mittwoch die ehemalige Führungsriege der Berliner Linken: die Ex-Senatoren Klaus Lederer, Elke Breitenbach, und Sebastian Scheel, sowie Ex-Fraktionschef Carsten Schatz und der Abgeordnete Sebastian Schlüsselburg. Sie reagierten damit auf einen Streit um einen Antisemitismus-Antrag, der auf dem Landesparteitag vor anderthalb Wochen eskaliert war.
Mitten in der größten Krise der Partei reißen die fünf, die dem parteirechten Reformerlager angehören, damit einen der letzten stabilen Landesverbände in den Abgrund. Sie werden zu Kronzeugen für das Bild einer Linken mit Antisemitismusproblem, das die politische Konkurrenz und die mediale Öffentlichkeit so begierig aufgreift. Konservativen und Rechten kommt es gelegen, um sich selbst von jedem Antisemitismusverdacht reinzuwaschen.
Die Ausgetretenen, für die allesamt Israel-Solidarität politisch identitätsstiftend ist, haben ein Bild von der Linken vor Augen, das einer nüchternen Überprüfung nicht standhält. Denn Programmatik und Beschlusslage der Partei sind eindeutig, sowohl bundesweit als auch in Berlin: Antisemitismus wird darin immer und immer wieder entschieden entgegengetreten. Auch prominente Parteimitglieder, die Grenzen überschritten hätten, sind Mangelware. Was es dagegen gibt, sind vereinzelte Mitglieder in Kreisverbänden, die in ihrer blinden Solidarität mit Palästina auch Antisemitismus reproduzieren.
Es gibt nicht nur eine Seite
Richtig ist auch: Die vom Landesvorstand der Berliner Linken in einer Krisen-Sondersitzung am Mittwoch beschlossene Distanzierung von jenen, die den Hamas-Terror als Widerstand verharmlosen, hätte früher kommen müssen. Dass andererseits aber auch jene Mitglieder verteidigt wurden, die für eine palästinensische Parteinahme mit pauschalen Antisemitismusvorwürfen überzogen werden, ist aber genauso richtig für eine plurale Partei, die um den richtigen Kurs ringt, statt bloß einer Staatsräson zu folgen.
Ein linker Standpunkt denkt den Kampf gegen Antisemitismus zusammen mit der Kritik an Israels entgrenztem Krieg: er macht keinen Unterschied zwischen den Opfern auf beiden Seiten. Es ist zum Verzweifeln wenn Linke an dieser Erkenntnis scheitern – unabhängig davon aus welcher Richtung sie auf den Konflikt blicken.
Die Ausgetreten versuchen in ihrer Austrittserklärung den Vorwurf von sich zu weisen, der Grund für ihren Schritt sei nicht inhaltlicher Natur, sondern Ausdruck von Machtkämpfen. So wichtig es ist, die kommunizierten Inhalte ernstzunehmen, so naiv wäre es, Machtkämpfe auszuschließen. Das Reformer-Lager um Lederer, das mindestens 20 Jahre den Ton in der Berliner Linken angegeben hat, ist in der Partei ins Hintertreffen geraten und kann nicht mehr so durchregieren, wie es das lange gewohnt war.
Angst, zur Minderheit zu werden
Es wäre zukünftig vielleicht zur Minderheit geworden – wie all jene Linken, die dem Kurs der größtmöglichen Kompromissbereitschaft des Lederer-Flügels, insbesondere in Regierungskoalitionen, lange erfolglos widersprochen haben. Zumindest wird diese Aussicht einer drohenden Marginaliserung Lederer & Co den Austritt sicher erleichtert haben.
Der Austritt irritiert auch, weil er ohne echte politische Perspektive erfolgt; die Ausgetretenen wollen Teil der Linksfraktion bleiben und hoffen, sich irgendwann wieder in einer erneuerten sozialistischen Partei zu engagieren, wie sie schreiben. Doch das Fortbestehen einer Linken in diesem Land ist mit dem Austritt nicht wahrscheinlicher geworden. Dabei wäre sie nötiger denn je.
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