piwik no script img

Antisemitismus und VerschwörungstheorienSchuster warnt vor Coronademos

Vor drei Tagen protestierten Verschwörungsideolog*innen und Nazis in Berlin. Jetzt äußert sich der Zentralrat der Juden. Auch Polizeigewerkschaftler sind besorgt.

Demonstrierende, die am Samstag in Berlin gegen die Coronamaßnahmen auf die Straße gingen Foto: Christian Mang/reuters

Berlin dpa/epd | Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, warnt nach den jüngsten Demonstrationen gegen die Corona-Auflagen in Berlin vor einem zunehmenden Antisemitismus. Seit Monaten würden in der Coronadebatte „Verschwörungsmythen mit antisemitischer Grundtendenz bewusst geschürt“, sagte er der Bild-Zeitung (Dienstag).

Verantwortlich dafür seien unter anderen „sehr rechte und rechtsextreme Gruppen“, die sich unter die Demonstranten gemischt hätten, so Schuster. Sicherlich seien nicht alle Teilnehmer der Proteste am Samstag in Berlin Rassisten oder Antisemiten: „Aber sie machen sich mit diesen gemein.“

Schuster appellierte an die Demonstranten, dass sie „wissen müssen, mit wem sie mitlaufen oder wer mit ihnen mitläuft“. Den Menschen müsse klar sein, „dass sie die Argumente von Antisemiten indirekt unterstützen, wenn sie sich an solchen Demonstrationen beteiligen“. Die Bilder von der versuchten Stürmung des Reichstags nannte er „erschreckend und empörend“. „Wenn im Jahr 2020 die Reichsflagge direkt vor dem Eingang des Deutschen Bundestages weht, dann läuft etwas falsch“, sagte der Zentralratspräsident.

Auch aus der Polizei kommen Warnungen vor zunehmendem Einfluss von Rechtsextremen unter den Verschwörungstheoretiker*innen. „Seit den ersten Hygiene-Demonstrationen verfestigt sich der Einfluss rechtsextremer Gruppen auf die Coronaprotestbewegung“, sagte der GdP-Vizevorsitzende Jörg Radek den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag).

Welche Unschuld?

Am Samstag hatten nach Angaben der Polizei etwa 300 bis 400 Demonstranten Absperrgitter am Reichstagsgebäude überrannt und sich lautstark vor dem verglasten Besuchereingang aufgebaut. Dabei wurden vor dem Sitz des Bundestags unter anderem schwarz-weiß-rote Reichsflaggen geschwenkt. Die Polizei drängte die Menschen auch mit Pfefferspray zurück. Zuvor hatten nach Polizeischätzungen annähernd 40.000 Menschen auf der Straße des 17. Juni weitgehend friedlich gegen die Coronapolitik demonstriert.

Polizeigewerkschafter Radek sagte: „Die Rechten sind dabei, die Bewegung komplett zu kapern.“ Seit dem vergangenen Wochenende habe die Coronaprotestbewegung ihre Unschuld endgültig verloren. „Jetzt kann niemand mehr sagen, er sei nur ein Mitläufer. Jeder, der jetzt noch dabeibleibt, muss sich die Frage stellen, ob er sich mit den Rechtsextremisten gemeinmachen will und seine persönlichen Sorgen in der Coronakrise mit den demokratiefeindlichen Zielen der Extremisten verbinden will.“

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte der Passauer Neuen Presse (Dienstag): „Rechtsextreme suchen auf diesen Demonstrationen Anschluss ins bürgerliche Lager. Und sie werden offen geduldet, man streckt ihnen sogar die Hand aus. Das macht mich fassungslos.“ Es seien „widerliche Bilder, wenn bekennende Nazis Reichsflaggen auf den Stufen des Bundestags schwenken“. Voraussichtlich am Donnerstag wird sich der Ältestenrat des Bundestags mit den Vorfällen befassen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte im ZDF-“heute-journal“, er erlebe sowohl berechtigte Fragen und die Bereitschaft zum Zuhören, aber auch Hass und Verschwörungstheorien. „Was mich echt beschäftigt, ist, dass die Regenbogenflagge, die Flagge von Freiheit, Recht, Emanzipation der Schwulenbewegung, auf der gleichen Demo wie die Reichsflagge ist und die Nazisymbole – da fragt man sich schon, was ist da los?“ Spahn mahnte zugleich, die Bilder aus Berlin dürfe man „nicht als Gesamtstimmung im Land nehmen“.

Die Vorfälle vor dem Reichstag hatten auch eine Debatte über den Schutz des Parlamentsgebäudes ausgelöst. Anfangs standen nur drei Polizisten direkt am Westeingang des Reichstagsgebäudes der Menge gegenüber. Nach wenigen Minuten kam Verstärkung. Die Berliner Polizei ist für den Außenschutz zuständig.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller räumte am Montag in der ARD-Sendung „hart, aber fair“ ein: „Das müssen wir anders koordinieren. Das müssen wir in Zukunft besser sichern.“ Der Berliner Senat berät am Dienstag (10 Uhr) über Änderungen der Infektionsschutzverordnung. Die Maskenpflicht bei Demonstrationen, die etwa Innensenator Andreas Geisel (SPD) befürwortet, könnte dabei ein Thema sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Beitrag wurde entfernt.



    Die Moderation

  • Das Foto ist schon etwas merkwürdig.



    Die Aussagen selbiges sind für mich wie folgt:



    Anscheinend ist der neue Trend Handies einarmig in die Luft zu halten auch in Berlin angekommen.

    We are Q. Heißt das We are Questionable ?

    Na wenigstens eine scheint Spaß zu haben.

    • @Waldo:

      Q steht für die Q-Anon-Bewegung.

      Das ist gegenwärtig der absolut heißeste Scheiß in Sachen Verschwörungserzählung.

      Das "Q" wird praktisch bei jeder größeren Veranstaltung mit Trump hochgehalten. Und ist immer präsent auf den Corona-Demos.

      Der eklige kleine Bruder ist die Parole

      "WWG1 WGA"

      "Where we go one, we go all."

      Ist wohl eine Art "Einer für alle, alle für einen"

      de.wikipedia.org/wiki/QAnon

  • Wenn schon die Polizeigewerkschaft besorgt ist... dann ist echt was dran, dass wir das sehr ernst nehmen müssen.

    • @Maria Burger:

      Na das ist doch relativ durchsichtig.



      Die Gewerkschaft meldet sich nach jedem größeren Einsatz und sieht Bedrohung, ohne dazu eigene Quellen zu haben. Es geht immer um mehr Polizei, mehr Ausstattung etc.

      Die Gewerkschaft ist aber recht ruhig bei internen Problemen, sei es Abfragen von Polizeicomputern, sei es strukturelle Probleme.

  • "Was mich echt beschäftigt, ist, dass die Regenbogenflagge, die Flagge von Freiheit, Recht, Emanzipation der Schwulenbewegung, auf der gleichen Demo wie die Reichsflagge ist und die Nazisymbole – da fragt man sich schon, was ist da los?"



    -------------------------------



    Ganz einfach: Die Neuen Rechten betreiben - erstaulich effizient!- ganz primitive



    Mimikry.



    Siehe dazu den Vortrag von Robert Andreasch, der diese Szene seit vielen Jahren beobachtet:



    www.youtube.com/watch?v=TVN1ONp3mM8

    • @Wagenbär:

      "Die Neuen Rechten betreiben Mimikry." (Wagenbär)



      Nein! Die rennen ganz offen mit ihren Fahnen und Symbolen herum. Das ist keine Mimikri. Die nutzen stattdessen den offensichtlich vorhandenen politischen Bildungsnotstand derjenigen aus die das nicht erkennen - oder denen das scheißegal ist.



      Aber Danke für den Link!

    • @Wagenbär:

      Sehr guter Virtrag von Herrn Andeasch in Deinem Link. Das soll sich die "das waren doch keine Nazis, das waren ganz normale Leute"-Fraktion bitte ansehen.



      Zur Regenbogenflagge: Herr Spahn irrt, wenn er von LGBT-Fahnen spricht. Es handelt sich bei den Regenbogenflaggen dr Corona-Demonstranten (zumindest bei denen, die ich gesehen habe) um Friedensfahnen, die 2003 in Deutschland im Protest gegen den Irak-Krieg aufkamen. "Frieden" ist ja eines der Feigenblatt-Wörter, mit denen auf den Coronademos der rechtsextreme Auftritt verharmlost wird. Weltfrieden sogar.