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Politologe über Demo von Coronaleugnern„Eine große Propagandawirkung“

Auf der Corona-Leugner-Demo tummelten sich auch viele Rechte. Dennoch hinke der Vergleich mit Pegida, sagt Jan Rathje von der Amadeu Antonio Stiftung.

Teilnehmer der Demonstration gegen die Coronamaßnahmen vor dem Brandenburger Tor Foto: Kay Nietfeld/dpa
Interview von Daniel Godeck

taz: Herr Rathje, 38.000 Corona-Leugner, darunter viele offen Rechtsextreme, sind am Wochenende durch Berlin marschiert. Einige haben es sogar auf die Treppen des Reichstags geschafft. Sie waren am Samstag dort, wie haben Sie die Stimmung vor Ort wahrgenommen?

Jan Rathje: Es war die Stimmung eines großen Aufbruchs. Trotz vieler Widersprüche hatten die Menschen dort ein Gefühl von Gemeinschaft. Viele sind dort außerdem mit einer großen Erwartung hingefahren: Ein Zeichen zu setzen, um die Gesellschaft grundlegend zu verändern.

Als Politikwissenschaftler beschäftigen Sie sich intensiv mit dieser Bewegung und den Verschwörungsideologien, die diesen Protest beflügeln. Welche sind die wichtigsten?

Was immer stärker deutlich wird, ist die Kombination aus alten und neuen Verschwörungsideologien. Neu ist der Einfluss der „QAnon“-Verschwörungserzählung, die zunächst nur in den USA populär war. Darin nimmt Donald Trump eine Erlöserfunktion ein, gegen den vermeintlich verhassten tiefen Staat. Diese Vorstellung ist sehr anschlussfähig an die alte verschwörungsideologische Erzählung von Rechtsextremen und „Reichsbürgern“, die davon ausgeht, dass die Bundesrepublik kein legitimer Staat sei. Das war auf der Demo am Samstag sehr deutlich zu sehen, wo der Anteil der Reichsflaggen sehr hoch war, gerade auch vor dem Bundestag.

Im Interview: Jan Rathje

Der 40-Jährige ist Politikwissenschaftler bei der Amadeu Antonio Stiftung. Sein Schwerpunkt: Rechtsextremismus.

Obwohl es nur eine kleine Gruppe war, die zudem noch auf der Treppe gestoppt wurde, brüsten sich diese Leute in den sozialen Netzwerken nun mit einem angeblichen „Sturm“ auf den Reichstag. Welche Rolle spielen solche symbolischen Momente für das Gemeinschaftsgefühl dieser Bewegung?

Das Besteigen der Treppen und Überwinden von Polizeigittern hat eine sehr hohe Bedeutung für das Milieu. Hier haben der Staat und die Polizei auch maßgeblich versagt. Das Parlamentsgebäude hätte viel besser geschützt werden müssen, zumal dieses Milieu spätestens seit der zweiten Hälfte der 2010er Jahre immer wieder dazu aufruft, solche Taten zu begehen. Die Bilder, die da erzeugt worden sind, haben eine große Propagandawirkung für das Milieu. Die Botschaft: Wenn wir alle zusammenstehen, kann uns der Staat nicht gefährlich werden. Es wird als großes Symbol gesehen, dass die Bundesrepublik Deutschland im Niedergang ist. Und dass jetzt die Zeit gekommen ist, sie und die damit verbundene liberale Demokratie abzuwickeln.

Bereits im Vorfeld hatte sich der Aufmarsch der Rechten abgezeichnet. Entwickeln sich die Corona-Leugner-Demos zu Pegida 2.0, einem neuen rechten Sammelbecken?

Der Vergleich zu Pegida hinkt etwas, zumindest wenn wir nur die jüngsten beiden Demonstrationen in Berlin anschauen. Viel eher wäre ein Vergleich zu den sogenannten Montagsmahnwachen für den Frieden aus dem Jahr 2014/15 zutreffend. Teilweise sind es die gleichen Akteure, die auf der Bühne stehen und die Veranstaltungen besuchen. Damals war es auch so, dass sich eine Art Querfront gebildet hatte. Auch die Narrative unterscheiden sich: Während bei Pegida Rassismus im Vordergrund stand, ist es jetzt eher der Staat, der sich gegen seine Bürger verschworen habe. Was ich mit Besorgnis sehe, ist, dass am Samstag von der Bühne selbst Thesen des rechtsextremen „Reichsbürger“-Milieus von fehlendem Friedensvertrag verlesen wurden. In diesem Sinne könnte man fast sagen, dass das am Samstag die größte Reichsbürgerdemonstration gewesen ist, die es hierzulande in den letzten 30 Jahren gegeben hat.

Wie wird es mit der Bewegung weitergehen?

Das ist schwierig vorherzusagen. Allgemein lässt sich feststellen, dass uns diese Milieus mit ihren Themen nicht einfach in Ruhe lassen werden. Sie werden weiterhin die öffentliche Debatte beeinflussen. Menschen, die sich in diese Milieus hinein radikalisiert haben, konnten nun sehen, dass der Staat nicht immer konsequent bei Regelüberschreitungen durchgreift. Nur: Diese Hoffnung, den Staat in die Handlungsunfähigkeit zu zwingen, wird sich kaum realisieren lassen. Ein Teil wird vielleicht resignieren, ein anderer sich wahrscheinlich weiter radikalisieren. Letztlich ist das aber alles sehr spekulativ.

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15 Kommentare

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  • Die kurzzeitige Besetzung der Stufen des Bundestages hat für Staat, Polizei und Regierung durchaus Vorteile. Nun können sie selbiges als Begründung für Ausweitung des Gewaltmonopols nutzen. Was dann selbstredend nicht gegen Rechte sondern Linke eingesetzt werden kann.

  • "Das Besteigen der Treppen und Überwinden von Polizeigittern hat eine sehr hohe Bedeutung für das Milieu. Hier haben der Staat und die Polizei auch maßgeblich versagt. Das Parlamentsgebäude hätte viel besser geschützt werden müssen, zumal dieses Milieu spätestens seit der zweiten Hälfte der 2010er Jahre immer wieder dazu aufruft, solche Taten zu begehen. Die Bilder, die da erzeugt worden sind, haben eine große Propagandawirkung für das Milieu."

    Ach, und ein einsatz von Schlagstöcken und Wasserwerfern hätte keine Propagandawirkung entfaltet? Der wäre als Tiananmen der Nationalisten gefeiert worden.

    Ich kann den Wunsch mancher Linker nachvollziehen, dass die harten Polizeieinsätze jetzt endlich mal "die anderen" treffen mögen, aber dann sollte man so ehrlich sein ihn auch auszusprechen. Ich finde es jedenfalls gut, dass die Polizei sich nicht hat provozieren lassen.

  • Nach Angaben der Berliner Polizei haben ca. 300-400 Rechtsradikale versucht, den Reichstag zu stürmen. Sie wurden von zunächst drei Polizisten aufgehalten.



    Das ist das Ergebnis einer womöglich falschen Einsatzleitung der Polizei.

    Völlig unverständlich finde ich die Tatsache, dass aus diesem absurden Vorgang nun medial ein Ereignis von großer Bedeutung konstruiert wird.

    Schlagzeile des Kölner StadtAnzeigers von heute auf der Titelseite:



    STEINMEIER VERURTEILT KRAWALLE.

    Hätte denn jemand damit gerechnet, dass Steinmeier diese idiotische Aktion begrüßen würde?

    Die Aktionen rechter Gruppen oder Netzwerke bekommen doch nur deshalb eine große Bedeutung, weil sie medial extrem in den Vordergrund gerückt werden. Das könnte dazu führen, dass diese Extremisten auch noch populärer werden. Gefährliche Spinner scheint es ja genug zu geben.

    Ich bin übrigens dafür, dass alle Symbole mit rechtsextremen oder nationalistischen Hintergrund verboten gehören. Einschließlich der Symbole jener Burschenschaften, die eindeutig rechtsnationales Gedankengut verbreiten.

  • Hmm, ich verstehe nicht ganz, wieso hier der Eindruck erweckt wird, im Wesentlichen wären hier Reichsbürger, Nazis und Verschwörungsideologen auf der Demo gewesen?? Nach meinen Informationen aus dem Rundfunk waren das überwiegend ganz normale Leute, die einfach nur eine andere Meinung zu einem politischen Thema (Corona) hatten. Reichsbürger/Nazis - sollen so rund 3000 gewesen sein. Und der Rest alle VT-Fans? No way, liebe taz, das ist unrealistisch! Ich z.B. bin kein VT-Fan (und erst recht kein nazi oder RB), aber auch ich finde, dass man konktroverser über die Frage diskutieren sollte, was die besten Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung sind. Und solche Leute scheinen mir die klare - aber leider sehr leise - Mehrheit gewesen zu sein. Warum wird über die nicht AUCH berichtet?

    • @Harald Hansen:

      Wer sich nicht abgrenzt von Nazis, wer auf den Reichsbürger von Nebenan mit einem Schulterzucken reagiert, der ist nicht normal.

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @Harald Hansen:

      ""...................waren das überwiegend ganz normale Leute, die einfach nur eine andere Meinung zu einem politischen Thema (Corona) hatten.""

      ==

      Wo war denn die Diskussion über die Corona auf der sogenannten Corona - Demonstration?

      War etwa der Umstand ein Beitrag zur Corona Diskussion das das Abstandsgebot der Richter nicht eingehalten wurde - welches zur Auflösung der Demo führte? Also Negation der Tatsache das bislang Hunderttausende an dem Virus gestorben sind? Und das Abstand halten keine Massnahme sein soll sich vor einer Infektion zu schützen?

      Abgesehen von der inneren Verwirrung und der hinreichend bewiesenen Unfähigkeit der Demonstranten Fiktion, Realtät und fake news auseinander halten zu können folgender Hinweis:

      Wenn die Bundesregierung durch den lock - down Sterbe - und Krankheitsraten nicht so erfolgreich verhindert hätte - und Tote und Dauerkranke in dem Ausmass zu beklagen gewesen wären wie in den USA, Brasilien, Frankreich, Norditalien oder UK, hätte die Demonstration trotzdem mit den gleichen Teilnehmern statt gefunden - allerdings in diesem Fall mit dem Vorwurf, das die Bundesregierung nicht genügend getan habe um ein Disaster zu verhindern.

      Klartext:



      Diese Demonstration war ein Etikettenschwindel. Corona stand in großen Lettern drauf, aber das wahre Ziel der sogenannten Demonstranten ist die Abschaffung des demokratischen liberalen politischen Systems der Bundesrepublik.

      Genau das passiert, wenn Coronaleugner Corona leugnen und damit eine sachliche Diskussion in einer Demokratie ad absurdum führen. Der Zusammenschluss mit rechtsradikalen faschistischen Elementen - völlig egal ob sie sich vereinnahmen lassen oder bewusst Bündnisse mit Nazis eingehen - das Ergebnis bleibt das Gleiche an deren Ende die Abschaffung der partizipativen Demokratie steht.

      Beispiel:



      Die Bannmeile rund um den Reichstag war abgeschafft. Jetzt bleibt dem Senat nichts anderes übrig selbige wieder einzuführen.

  • Vermeintlichkeiten oder Grammatical correctness

    Zitat: „... gegen den vermeintlich verhassten tiefen Staat.“

    Diese Satzkonstruktion mit dem Adverb „vermeintlich“ läßt den Schluß zu, der „tiefe Staat“ sei in Wahrheit gar nicht verhaßt, sondern ganz im Gegenteil allgemein inniglich geliebt. Es sei denn, der Verfasser bezieht „vermeintlich“ auf den „tiefen Staat“, dann wäre es ein Adjektiv und müßte dann auch unmittelbar davor stehen. Das hieße dann , der „tiefe Staat“ sei in Wahrheit gar nicht „tief“ sondern ganz im Gegenteil - ja was dann, etwa „flach“ oder was?

    Ob nun tief oder flach, an der realen und nicht nur vermeintlichen Grundfunktion des modernen Staates dürfte sich nichts geändert haben: "Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet." (Manifest der Kommunistischen Partei)

  • Das Verdrängte in der jüngeren deutschen Geschichte rumort nicht mehr länger nur, sondern, so erscheint es zumindest, kehrt in verquerer Form zurück.

  • "Es wird als großes Symbol gesehen, dass die Bundesrepublik Deutschland im Niedergang ist."

    Es ist zwar ein Interview, aber vielleicht wäre es im Sinne des Interviewten hier zu schreiben:

    Es wird als großes Symbol DAFÜR gesehen, dass die Bundesrepublik Deutschland im Niedergang SEI.

  • Der Volksverpetzer listet akribisch und mit Bildern auf, welche Nazis und Nazigruppierungen auf den Demonstrationen waren.

    Kurz gesagt: Alle.

    www.volksverpetzer...x6mowr9uoILf3cLRe8

  • im deutschen reich 1874 wurde die impfpflicht eingeführt die corona protestler sind gegen impfen marschieren aber mit reichsflaggen

  • „Das Besteigen der Treppen und Überwinden von Polizeigittern hat eine sehr hohe Bedeutung für das Milieu. Hier haben der Staat und die Polizei auch maßgeblich versagt. Das Parlamentsgebäude hätte viel besser geschützt werden müssen, zumal dieses Milieu spätestens seit der zweiten Hälfte der 2010er Jahre immer wieder dazu aufruft, solche Taten zu begehen“



    Soweit ich im Fernsehen gesehen habe, gelang es den Polizisten am Reichstag sehr wohl, den Mob aufzuhalten. Sogar Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch äußerte: „Danke, dass Polizisten ihnen den Weg versperrten. Dieser mutige Polizist ohne Helm, der diesen Leuten den Zutritt verwehrt hat, sollte das Bundesverdienstkreuz erhalten»“



    Im Übrigen sind auch Linke und Grüne keine Demo-Muffel, siehe z. B. G20 - 2017. Und auch die Verantwortlichen damals und jetzt äußerten sich ähnlich zu den Randalen: „Wir waren’s nicht!“

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Pfanni:

      Keine Diskussion über Faschisten oder solche die es werden wollen, ohne dass jemand von Linken anfängt. Immerhin sind sich diejenigen, die das tun, mit der Rechten darin einig, dass eine Maximaldistanzierung nach links notwendig ist.

  • Die ganze Stadt war voll mit Polizisten und am Reichstag waren es nur drei.



    Was ein Zufall...

    • @wollewatz:

      Und wetten? Die Batterien der Bodycams der Beamten waren geladen, Alle!