Angekündigter Abschied: Wagenknechts Zeitspiel
Die Linke sollte sich nicht von Sahra Wagenknecht auf der Nase herumtanzen lassen. Ein Bruch ist unausweichlich – und zwar jetzt.
D as ist die vielleicht letzte Chance für die Linke: Sahra Wagenknecht hat öffentlich eine erneute Kandidatur für die Partei ausgeschlossen. Jetzt dürfte selbst der allzu lang aussichtslos um eine Verständigung bemühte Gregor Gysi erkennen, dass die Brücke zu ihr und ihrer Anhängerschaft längst eingestürzt ist.
Kann die Linke ohne Wagenknecht? Auf jeden Fall kann sie längst nicht mehr mit ihr. Jeder Tag, an dem die Partei nicht offensiv den Bruch mit der in trüben Gewässern fischenden Populistin und ihrem zerstörerisch wirkenden Anhang vollzieht, bringt sie dem Abgrund einen Schritt näher. Schon jetzt hat die Partei viele Mitglieder verloren, die dringend gebraucht würden für eine emanzipatorische Linke. Fehlt den Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan weiterhin die Kraft und den Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali die Einsicht für den notwendigen Bruch, wird sich der Aderlass ungebremst fortsetzen.
Wagenknecht hat die Zeit, die die Partei nicht hat. Je mehr sich die Linke an ihr zerreibt, desto besser steht es um die Chancen für ihr eigenes politisches Projekt, über das sie und ihre Vertrauten hinter den Kulissen schon lange intensiv diskutieren: ein Wahlbündnis zur Europawahl im Frühjahr 2024, das – gefüttert mit Stimmen aus der bisherigen Linken- und AfD-Wähler:innenschaft sowie dem „Querdenker“-Milieu – der Startschuss für eine neue Partei sein soll. Um eine solche Konkurrenzkandidatur zu realisieren, kann Wagenknecht noch mindestens bis zum späten Herbst mit ihrem Austritt aus der Linken warten.
Ob eine „Liste Wagenknecht“ Erfolg haben wird, ist mehr als fraglich, zu disparat ist das Spektrum, das sich in ihr zusammenfinden würde. Wahrscheinlicher ist, dass es ihr ähnlich ergehen wird wie einst der Piratenpartei. Aber um die Linke ins außerparlamentarische Nirwana zu befördern, dafür könnte es reichen. Will sie noch eine Aussicht haben, die unabwendbare Spaltung zu überleben, darf die Linkspartei Wagenknecht nicht weiter das Gesetz des Handelns überlassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Israels Brüche der Waffenruhe
Die USA sind kein neutraler Partner