Aktivismus der Letzten Generation: Dem Souverän auf die Sprünge helfen
Der zivile Ungehorsam der Letzten Generation sei undemokratisch, heißt es oft. Doch die wissenschaftliche Debatte zeigt: Ganz so einfach ist es nicht.
Die Aktivist*innen der Letzten Generation scheinen nicht ans Aufhören zu denken. Gleichzeitig ist keine der bisherigen Strategien von Öffentlichkeit, Politik und Justiz, sie zu zähmen, aufgegangen. Sie wurden ignoriert, verspottet, bestraft – sie machen einfach weiter. Warum?
Einfache Antwort: Weil sie finden, dass das Klima noch nicht hinreichend geschützt wird. Das erklärt aber noch nicht, warum sie so hartnäckig an ihrer Protestform festhalten, warum sie weiter auf Straßen kleben und Farbe auf Monumente werfen.
Einer der häufigsten Vorwürfe ist: Es gibt in unserer parlamentarischen Demokratie Verfahren, die eigenen politischen Anliegen durchzusetzen, die Letzte Generation missachte sie. Sie versuche letztlich die durch Wahlen legitimierte Regierung zu erpressen. Wer ihre Aktionen verteidigt, befand etwa Jürgen Kaube zuletzt in der FAZ, stelle den demokratischen Diskurs infrage. Doch betrachtet man den demokratischen Diskurs, so scheint er nicht infrage gestellt zu werden. Vielmehr beginnt die Öffentlichkeit, die demokratietheoretischen Hintergründe und Probleme der Proteste in den Blick zu nehmen.
Auf der Frankfurter Buchmesse diskutierte kürzlich Lea Bonasera, Mitgründerin der Letzten Generation, mit den Journalistinnen Yasmine M’Barek und Jagoda Marinić über Widerstand und Demokratie. Warum sie denn nicht den Marsch durch die Institutionen antreten würde, fragte Marinić. Es gebe viele Themen, „bei denen die Menschen Veränderung wollen“, entgegnete Bonasera, aber die Politik setze das nicht um, etwa beim Tempolimit.
Man wolle als Widerstandsbewegung „diese Demokratiedefizite aufdecken, aufzeigen und versuchen zu beheben“. M’Barek hingegen ist skeptisch. Denn die Deutungshoheit bei Debatten liege oft bei den Menschen, die den „Status quo verteidigen und das auch können“.
Fremde Menschen für die eigene Demo instrumentalisieren
Zweiter Diskursschauplatz, wiederum Frankfurt, Goethe-Universität: Dort diskutierten Wissenschaftler*innen Mitte Oktober im Rahmen einer Ringvorlesung über „Klimaaktivismus der Letzten Generation – Zur Legalität und Legitimität einer politischen Praxis“. Für den Legalismus zuständig war der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer, streitbarer Autor rechtlicher Kolumnen. Die Aktivist*innen wollten, so Fischer, „nicht die Menschen, die im Stau stehen, zu irgendwas zwingen, sondern die Bundesregierung“. Es sei nicht gerechtfertigt, „und zwar auch nicht aus demokratietheoretischen Gründen“, fremde Menschen für die eigene Demonstration zu instrumentalisieren.
Die Juraprofessorin Katrin Höffler sieht das anders: Aus kriminologischer Perspektive seien harte Strafen „schädlich mit Blick auf Deeskalation.“ Es gebe ein „Ohnmachtsgefühl“ und es sei gut möglich, dass die Klimabewegten zukünftig „den Staat nicht mehr zum Handeln auffordern, sondern das Vertrauen in ihn verloren geht.“
Diskursbeitrag Nummer drei: Ein neuer Sammelband, „Kleben und Haften: Ziviler Ungehorsam in der Klimakrise“, herausgegeben von Maxim Bönnemann, versammelt rechtswissenschaftliche Debattenbeiträge der jüngsten Zeit. Viele von ihnen beziehen sich auf einen Aufsatz von Jürgen Habermas aus dem Jahr 1983. Dieser entstand im Kontext der Friedens- und Anti-AKW-Bewegungen in den 80ern, als sich die Frage nach der Rechtfertigung zivilen Ungehorsams ebenfalls stellte.
Er entpuppt sich als erstaunlich zeitlos. Habermas befand damals: „Wenn die Repräsentativverfassung vor Herausforderungen versagt, die die Interessen aller berühren, muss das Volk in Gestalt seiner Bürger, auch einzelner Bürger, in die originären Rechte des Souveräns eintreten dürfen.“ Der demokratische Rechtsstaat sei „in letzter Instanz auf diesen Hüter der Legitimität angewiesen“.
Die Anmaßung, allein über „das Richtige“ zu entscheiden
FAZ-Herausgeber Kaube hält von dieser Denkfigur offenbar nichts. Apodiktisch schreibt er, wer die Aktionen der Letzten Generation für legitim halte, „weil sie die Vorboten einer zukünftigen Rechtsauffassung seien“, blicke nur abfällig auf die „althergebrachten Kommunikationsformen der Demokratie, für die aber kein Ersatz angeboten wird, sondern nur die mit pochendem Herzen vorgetragene Sympathie für das Gute“. Diese etwas klebrig daherkommende Sprache verkennt den Stellenwert von Versammlungs-, Meinungs- und Kunstfreiheit. Aber es stimmt selbstverständlich: Real ist die Gefahr der Anmaßung, allein über „das Richtige“ entscheiden zu können.
Habermas bemerkte dazu, ziviler Ungehorsam sei nur rechtfertigbar, weil „auch im demokratischen Rechtsstaat legale Regelungen illegitim sein können“. Schön, denkt man sich: Da kann ja jede*r kommen! Er konkretisiert aber: Illegitim nicht auf Basis eines „privilegierten Zugangs zur Wahrheit“, maßgebend seien „allein die für alle einsichtigen moralischen Prinzipien, auf die der moderne Verfassungsstaat die Erwartung gründet, von seinen Bürgern aus freien Stücken anerkannt zu werden.“
Stellt sich die Frage: Worauf müssten wir uns im Jahr 2023 alle einigen können, damit ziviler Ungehorsam moralisch gerechtfertigt wäre? Unsere Alten sollen nicht am Hitzschlag sterben, die Wälder sollten nicht jedes Jahr aufs Neue abbrennen, die Flüsse nicht trockenfallen oder zu tödlichen Sturzbächen werden und auch sonst wäre es gut, wenn größere Teile der Welt nicht unbewohnbar werden würden.
Was ist nun vorläufig zu bilanzieren, knapp zwei Jahre nach den ersten Straßenblockaden? Die Gesellschaft ist konfrontiert mit der Frage nach der Legitimität demokratischer Mehrheits- und Minderheitspositionen und damit, wie sich dieses Legitimitätsgefüge verschiebt, wenn man den existenziellen Zeitdruck im Angesicht des 1,5-Grad-Ziels in Rechnung stellt. Es mag klingen wie akademische Spiegelfechterei zum Verhältnis von politischer Theorie und qua Grundgesetz verfasster Demokratie.
Aber die Klimakrise hat das Potenzial, wenn ungebremst, mittelfristig zur Demokratiekrise umzuschlagen. Eine an Mehrheitsentscheidungen ausgerichtete Demokratie, die sich ob ihrer eigenen Trägheit selbst ins Verderben stößt, wäre paradox. Jedenfalls das ist vermutlich, nun ja, mehrheitsfähig.
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