Agrarsubventionen für Bauern: EU kippt zentrale Umweltauflagen
Landwirte müssen nicht mehr Brachen einrichten. Minister Özdemir findet das okay. Dafür kassiert der Grüne Kritik aus den eigenen Reihen.
Das bringt dem Minister nun auch Kritik aus den eigenen Reihen ein: „Özdemir hätte die Umweltaspekte stärker betonen müssen“, sagte der agrarpolitische Sprecher der Grünen im Europa-Parlament, Martin Häusling, der taz. „Mir sagen alle Experten aus dem Bereich der Naturschutzverbände: Die Pflichtbrache wird dringend gebraucht“, so der Abgeordnete.
Denn die Landwirtschaft trägt maßgeblich dazu bei, dass immer mehr Pflanzen- und Tierarten aussterben. Sie hat etwa in Deutschland rund die Hälfte der Landfläche unter Beschlag. Ackerbrachen können Rückzugsräume beispielsweise für Insekten und Vögel sein.
Auch die Regeln für die Fruchtfolge – also dazu, wie oft die Pflanzenart auf einem Acker wechseln muss – werden nach dem Beschluss des EU-Rats aufgeweicht. Das gilt auch für den Schutz vor Erosion und das Verbot, klimarelevantes Dauergrünland wie Wiesen und Weiden umzubrechen. Und auf Höfen mit höchstens 10 Hektar Agrarfläche sollen die Behörden gar nicht mehr kontrollieren, ob die Umweltvorschriften eingehalten werden – das sind laut EU-Kommission 65 Prozent aller Betriebe mit einer Fläche so groß wie das gesamte Agrarland Deutschlands. Das EU-Parlament hatte die Entscheidung bereits abgesegnet.
Begründung: „Ökonomische Vorteile“ für Landwirte
Damit will die EU die heftigen Proteste von Bauern beenden oder künftige vermeiden. „Diese Überprüfung ist eine Reaktion auf die von den Landwirten in den letzten Monaten geäußerten Bedenken“, räumte der Rat unumwunden ein.
Der Naturschutzbund hatte vor der Entscheidung gefordert, dass Deutschland mit Nein stimmt. Die Bauern müssten etwas für die Umwelt tun, wenn sie weiterhin allein in Deutschland 6 Milliarden Euro jährlich aus dem EU-Agrarbudget erhalten wollen. Etliche Betriebe hätten in den vergangenen Jahren gute Gewinne eingefahren. Auch die Landwirtschaft sei auf Artenvielfalt und zum Beispiel Bestäuber angewiesen.
Özdemirs Ministerium erklärte aber, dass die Änderungen der Regeln „ökonomische Vorteile“ für die Landwirte brächten, weshalb sogar eine Zustimmung „grundsätzlich denkbar gewesen“ wäre. Deutschland habe sich dann aber enthalten, weil die EU die Standards senke, „ohne andere Maßnahmen zu etablieren, die das gesellschaftlich gewünschte Klima-, Arten- und Umweltschutzniveau erhalten.“
Özdemir hatte die voraussichtliche Enthaltung der Regierung auch damit gerechtfertigt, dass die anderen 26 EU-Länder zustimmen würden – was sie jetzt auch taten. Wenn er sich enthalte oder mit Nein votiere, ändere das nichts, hatte der Grüne der taz gesagt. Umweltschützer hielten dagegen, dass sich an Deutschland andere EU-Staaten orientierten und so möglicherweise doch eine Sperrminorität zustande kommen könne.
Problem: Scholz und die FDP
„Da hätte Deutschland eine klare Haltung beweisen müssen“, antwortete der grüne EU-Abgeordnete Häusling am Montag auf die Frage der taz, ob die Bundesregierung mit Nein hätte stimmen sollen. Sie hätte ein Zeichen setzen müssen, dass die Agrarpolitik in die falsche Richtung läuft, so der Hesse. Häusling machte für die deutsche Enthaltung auch die SPD verantwortlich. „Unser größeres Problem ist der Bundeskanzler. Das hat mit der FDP nur am Rande zu tun“, so Häusling. Üblich ist, dass sich Deutschland enthält, wenn sich die Koalitionspartner nicht einigen können.
Der Bauernverband hatte die Abschaffung der Umweltvorschriften begrüßt. Sie würde die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Höfe erhöhen, teilte Deutschlands größte Agrarorganisation mit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen