Acht Auferstehungsgeschichten: Niemals geht man so ganz
Das war ein großes Hallo, als Jesus nach seinem Begräbnis wieder vor der Tür stand! Auch unsere Autor:innen haben etwas, das zu ihnen zurückgekehrt ist.
Dieses verheißungsvolle Ploppen
T ennis ist uncool. Ein Sport für Spießerinnen, für Egoisten, für polohemdtragende Reichheimer. Das dachte ich mit 13, fror in der Tennishalle und langweilte mich beim Aufschlagüben. Ich hörte schnell wieder auf und verscherbelte meinen Schläger bei Kleinanzeigen. Jetzt fehlt er mir. Denn Tennis ist auch einfach mal draufhauen, Aufschläge mit 170 km/h unwirklich präzise auf die Linie setzen. Tennis ist, das Gegenüber auszutricksen. Das weiß ich, seitdem ich die zwei Staffeln der Dokureihe „Break Point“ durchgebinged habe, die Tennisprofis zu den wichtigsten Turnieren der Welt begleitet. Davon angestachelt stand ich neulich, 13 Jahre später, wieder auf dem Tennisplatz. In meiner Vorstellung zimmere ich den Ball wie Aryna Sabalenka ins Feld gegenüber. Satz, Sieg. In Wirklichkeit fliegt der Ball einen zaghaften Bogen, aber er ist drin. Und ich höre es endlich wieder, dieses verheißungsvolle, knallende Ploppen, wenn der Schläger den Ball trifft. Beinahe so schön wie das Zischen beim Öffnen einer kalten Dose Cola.
Sophie Fichtner
32 Karten, die die Laune verderben
Wer Skat konnte, der gehörte zu den Großen. Das wollte ich auch. Ich spielte mit den Älteren in der Familie und den Älteren in der Schule, und alle taten, als sei Skat eine elitäre Raketenwissenschaft. Um die Lüge nicht auffliegen zu lassen, schnauzten sie ihre Mitspieler an, das ist Tradition und vergrault Einsteiger. Sie schnauzten, weil die falsche Karte angespielt wird („Spiel das As halt früher!“), weil jemand zu hoch oder zu tief gestapelt hat („Wieso gehst du schon bei 18 raus!“), weil die anderen immer die besseren Karten bekommen („Nur Omablätter hat der!“), und ich schnauzte bald mit. Nach der Schule spielte dann keiner mehr mit mir. Niemand ließ sich überzeugen, wie geil das ist, sich stundenlang von 32 Karten die Laune verderben zu lassen. Erst Jahre später kam mir die Erleuchtung: Wo gibt es wohl missgelaunte Idioten en masse? Im Internet natürlich! Nun bin ich bei der Onlineplattform Skatpalast, und weil ich gern nebenbei und riskant zugleich spiele, hassen mich dort längst alle. Genau wie früher.
Philipp Brandstädter
Ungetüm aus Plastik und Styropor
Es war mein einziger Wunsch zum 13. Geburtstag und ich war mir sicher, er würde jegliche meiner Coolness-Probleme lösen: ohne Helm Fahrrad fahren zu dürfen. Denn was ist lässiger, als nach einem unerschrockenen Slalom um die Elterntaxis mit wehender Mähne auf den Schulhof einzubiegen? Nie wieder mit plattgedrückten Haaren in der ersten Stunde sitzen. Nie wieder durch die Gänge laufen mit einem am Ranzen befestigten Ungetüm aus Plastik und Styropor, das bei jedem Schritt gegen den Oberschenkel schlägt. Nie wieder den Scheißhelm im Kunstraum vergessen und peinlich berührt unter den Tisch krabbeln müssen, während eine andere Klasse gerade Unterricht hat. Ich würde mich leicht fühlen, schön, erwachsen, furchtlos. Und so war das dann auch, 15 Jahre lang, bis ich mit wehender Mähne vom Sattel flog. Dass seitdem nur mein Knie knirscht und nicht mein Hirn, war Glück. Das Modell, für das ich mich tags darauf entschied, hat ein eingebautes Rücklicht am Hinterkopf, das auf Knopfdruck rot blinkt. Wie cool ist das denn?
Leonie Gubela
Hamburguesas mit Reinhard
Googeln Sie auch manchmal versunkene Bekannte, um herauszufinden, was der oder die heute macht? Ich auch, und neulich habe ich sogar einen von ihnen kontaktiert: Reinhard, den Freund aus gemeinsamen Uni-Zeiten in Bielefeld, wo wir beide Geschichte studierten und von wo aus wir gemeinsam nach Madrid aufbrachen zum Erasmus-Jahr an der Universidad Autónoma. Vorher kannten wir uns vom Sehen, später verloren wir uns aus den Augen, dazwischen lag das Jahr in Madrid. Wir gingen nachmittags zum Spanischlernen ins Kino, zogen nachts durch die Ausgehviertel und aßen frühmorgens Hamburguesas, die ein Mann in der Straße zubereitete; wir standen vor Francos Grab im Valle de los Caídos und erschauderten, weil dort Leute von heute Rosen ablegten. Reinhard stets in großblumigen Hemden, ich norddeutsch-schlicht. Als ich Reinhard anrief, musste er den Keller entrümpeln. Er wohnt jetzt in Düsseldorf, mit toller Frau und tollen Kindern. Wir haben ein paar Tage später lange telefoniert und überlegt, wie dieser Hamburguesa-Mann hieß.
Felix Zimmermann
Vorm Tapedeck hocken
Das Hin- und Herspulen, der Bandsalat, das Grundrauschen. All das sollte im 21. Jahrhundert der Vergangenheit angehören, dachte ich, als ich die Audiokassette aus meinem Leben verbannte. Nur einige wenige Exemplare mit biografischem Wert behielt ich. Doch in jüngerer Zeit war ich immer wieder auf Underground-Konzerten, auf denen Bands ausschließlich Tapes verkauften. Es gibt sogar eine Renaissance der Kassettenlabels. Die Vorteile: Man kann sie in geringen Auflagen günstig herstellen, sie strahlen eine coole Do-it-Yourself-Attitüde aus und haben einen gewissen Niedlichkeitsfaktor. So kaufte ich nach und nach wieder Kassetten, von Bands wie Baumarkt und Ostseetraum oder Kompilationen des Berliner Kollektivs Flennen. Abspielen kann ich sie nur noch auf einem alten Küchenradio mit Tapedeck. Doch während ich davor hocke und dem rauschenden Sound lausche, merke ich, dass diese Art des entschleunigten Hörens ein guter Gegenentwurf zu all der flüchtigen Musikstreamerei ist.
Jens Uthoff
Zurück in den Charts
Es ist 1996, und die „Bravo Hits 13“ erscheint in einer Zeit, in der wir das Lachgesicht vorne auf der Hülle noch Smiley nennen und nicht Emoji. Ich war damals passenderweise ebenfalls 13, und damit im genau richtigen Alter, um Bravo lesend Bravo Hits zu hören. So blätterte ich durch Zeitschriftenseiten, auf denen sich Jugendliche nackt mit Selbstauslöser fotografierten, während sich in meiner Stereoanlage diese gelbe CD drehte, von „Coco Jamboo“ bis „Macarena“. Nun ist einmal 13 sein okay – aber ist es nicht auch gut, dass das vorbei ist? Mein Sohn hat im Januar die „Bravo Hits 121“ zum 11. Geburtstag bekommen. Hunderteinundzwanzig, genau. Wäre diese CD eine Spotify-Playlist, ich würde sie nie zu Ende hören; aber eine CD aus dem Player zu nehmen ist anstrengender als einmal auf dem Handy wischen, deswegen gibt man der Musik mehr Zeit. So bin ich im Kopf plötzlich zurück in den Charts. Und praktischerweise klingen die heute ziemlich genauso wie in den Neunzigern.
Luise Strothmann
Auf Angelas Mission
„Ciao, mi chiamo Angela e sono vostra insegnante d’italiano!“ Als ich an einem Mittwochabend im März 2023 im Klassenzimmer des Uni-Sprachenzentrums sitze, komme ich mir kurz wieder vor wie 16. Auch damals, am Gymnasium, hieß meine Lehrerin Angela und versuchte, bayerischen Zehntklässler*innen die italienische Sprache beizubringen. Und nicht nur das, Angelas Mission war ganzheitlich: Sie schleppte uns nach dem Kurs ins Café Venezia und nötigte uns, auf Italienisch zu bestellen, die Mädchen bekamen außerdem einen Crashkurs in italienischem Styling in der Boutique von Angelas Freundin. Obwohl die Kursabschlussfahrt nach Trento unvergesslich war (zum ersten Mal abends auf der Piazza flanieren ohne die Eltern!), wandte ich mich erst mal anderen Regionen zu. Ich lernte Spanisch, reiste nach Südamerika. Erst durchs Wandern entdeckte ich meine Liebe zu Italien wieder. Seitdem lerne ich mit Angela II. Mein Gehirn ist zwar nach 32 Jahren Pause etwas langsamer geworden. Aber ich bleibe dran.
Nina Apin
Unter Holzbläser:innen
Ich war 16, als sie mir verloren ging und einen tiefen Riss in meinem jungen Herzen hinterließ. Meine Mutter hatte sie mir unter großem finanziellen Aufwand geschenkt, die Klarinette, die ich mir so sehr wünschte. Ich spielte mit Freunden in einer Ska- und Dub-Band. Meine Parts waren kurz, aber auffällig, tüüüt, tüüüt. Wir waren ein gutes Team, meine Klarinette und ich. Doch dann ließ ich sie in der U-Bahn liegen, den Verlust konnte ich mir 20 Jahre lang nicht verzeihen. Bis zu jenem Tag im letzten Jahr im Fachgeschäft „Der Holzbläser“, wo ich mich auf die Warteliste für ein gebrauchtes Instrument hatte setzen lassen. Der Verkäufer brachte mich in einen schalldichten Raum und ließ mich mit einer Klarinette allein. Ich blies hinein, mit aller Kraft, die mein untrainiertes Zwerchfell aufbringen konnte, und nach ein paar dünnen Pffft-Geräuschen ertönte ein langes, tiefes C. Die Vibration breitete sich immer weiter aus, vom Mund, über das Gesicht, irgendwann erfüllte es mich ganz, dann ging mir die Luft aus. Ich kaufte die Klarinette sofort und verzieh mir selbst.
Nora Belghaus
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