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Inna Hartwich im Jahr 2019 auf der Insel Sachalin. Wegen ihrer Recherche wurde sie noch dort vom Inlandsgeheimdienst FSB verhört Foto: Inna Hartwich

Abschied von RusslandMütterchen, es ist Zeit zu gehen

Mehr als ihr halbes Leben verbrachte unsere Korrespondentin in dem Land, das seinen Nachbarn überfallen hat und die eigenen Leute nicht frei reden lässt.

Von Inna Hartwich aus Moskau

M inus 46 Grad. Ich war ein Eisklotz voller Schichten aus Mikrofasern, Fleece und Fell. Die Augen gingen kaum noch auf, der Raureif auf den Wimpern wog schwer. Ich sank im Schlitten aus Hartplastik zusammen. Mich beschlich immer mehr die Sorge, einzuschlafen und zu erfrieren, hier im Norden der Insel Sachalin, „am Rande der Welt“, wie das indigene Volk der Niwchen sie nennt. Knapp neun Flugstunden von Moskau weg, eine Nachtfahrt im Zug, vier Stunden in einem Bus, fast eine in einem anderen. Ich atmete sehr langsam, das Schneemobil ratterte durch den fest gewordenen Schnee in der Pomr-Bucht des Ochotskischen Meeres, weit im Osten Russlands.

Die Niwchen lebten hier bereits vom Fischfang und der Robbenjagd, als russische Zaren noch nicht mit japanischen Kaisern um die Vorherrschaft auf der Insel stritten. Sie lebten auf Sachalin, als zuerst das russische Zarenreich und später das sowjetische Terrorregime seine Gefangenen hier ausschüttete und in den Tod trieb. Es ist ihr „Land der Ahnen“. Mehr schlecht als recht trotzen sie heute den wirtschaftlichen Herausforderungen, der Fisch geht ihnen aus, weil die Bohrtürme von Rosneft, einem der größten Ölproduzenten weltweit, die Laichplätze der Lachse bedrohen. Die Niwchen verlieren viele ihrer Verwandten an den Alkohol, sehen ihre Kinder wegziehen, weil das Festland mehr zu bieten hat als das Robbenfett in einem Holzverschlag und die Legenden, die die Alten nach und nach vergessen.

Sind es die Gräber der Vorfahren, die sie in dieser nicht enden wollenden Schönheit aus Schnee und Eis halten? Ein Gefühl, das sich Heimat nennt? Schmerzvoll, es aufgeben zu müssen und woanders nicht mehr das wiederzufinden, das einem so nah und vertraut ist? Ist es die Weite, die seltsame Stille, die gar nicht still ist, weil das Meer immer tost? Der knirschende Schnee, das Gefühl der Unendlichkeit?

Der Fischer, der mich hinter sich herzog, eine Viertelstunde bereits, stellte sich solche Fragen nicht. Er, der bis vor wenigen Minuten noch mit bloßen Händen aus einem präzise ausgemessenen Eisloch Stinte, Dorsche, Grundeln in einen anderen Schlitten beförderte, pfiff gegen den Wind an, während ich nur noch einen Gedanken hatte: Wärme, gebt mir Wärme!

wochentaz

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Die Pioniere sind zurück im Land

Ich weiß nicht mehr recht, wie meine Füße mich vom Schlitten ins Haus des Fischers getragen haben. Damals, 2019, noch weit vor dem Krieg, der von einer Minute auf die nächste alles an Gewissheiten zerstörte und einen undurchsichtigen Schleier auf das Land legte. Diesem Krieg, der alles in ein Davor und ein Danach teilt, der den Alltag in jeder Minute bestimmt. Die Arbeit sowieso.

Zu den Niwchen kann ich nicht mehr. Der Geheimdienst FSB, der schon vor sechs Jahren alles überwachte und mich nach einigen Recherchetagen im Schnee sieben Stunden lang in einer grauen Amtsstube befragte, anbrüllte und erniedrigte, ohne auch nur ein Glas Wasser zu erlauben, hat nun alles unter Kontrolle. Das Frieren von heute ist ein anderes als das Frieren in der Bucht vor Sachalin.

Die Fischersfrau hatte mir den Pelzmantel abgenommen und mich in Richtung Gasofen bugsiert. Ich spürte Leben in mir aufsteigen, es zog von den Zehen in den Kopf, meine Augen blinzelten wieder, die Finger griffen nach einer Tasse warmen Tees. Die feuchten Wollsocken baumelten auf einer Leine über dem Ofen, der hier nie ausging.

Ach, Mütterchen …

So empfängst du deine Besucher*innen. Du lässt sie zunächst in der Kälte stehen. Kein Lächeln. Du blaffst sie an, bellst fast, musterst sie. Fremde erscheinen dir immer gefährlich, suspekt. Du zeigst ihnen die kalte Schulter – und eine rührende Art von Neugier. Nach einer gewissen Zeit, wenn auch der Fremde sich geöffnet hat, wenn er dich angelächelt hat – oder vielleicht auch angeblafft hat, weil er dachte, so gehöre es sich im Umgang mit dir – lässt du ihn die Wärme verspüren, die von dir ausgeht. Manchmal auch eine gefährliche Hitze.

Ich bin eine etwas anders geartete „Fremde“. Manchmal sagst du sogar, ich sei eine „Nascha“, eine „Unsrige“. Geburtsland: Sowjetunion. 1980 war das. Meine deutschen Vorfahren hast du einst ins Lager gesteckt, hast sie schuften und hungern lassen. Sie haben deinen Gulag überlebt, voller Angst und Traumata, die sie bis heute in sich tragen. Meinen ukrainischen Urgroßvater hast du vom NKWD, dem Vorgänger des heutigen FSB, festnehmen lassen und ihm seine Identität genommen. Sein Sohn hat seinen Namen geändert und nie etwas über die Festnahme des Vaters erzählt. Die Vorwürfe, die sich im „Fall“ gegen den ukrainischen Urgroßvater, der nur noch sowjetisch sein durfte, finden, sind teils wortgleich mit den Vorwürfen gegen die heutigen Regimekritiker*innen. Es sind fast 90 Jahre vergangen.

Ich bin nicht die „Deine“. Aber ich kenne deine Mechanismen von Demütigung und Bestrafung von klein auf. Weiß, dass ein Individuum ein Nichts ist für dich und das Kollektiv alles. „Immer bereit!“ Dieser Spruch der Jungpioniere, auch mir ging er als Kind über die Lippen – bis ich die zusammengebrochene Sowjetunion verließ und lernte, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Vielfältig, auch zweifelnd, Fragen stellend.

Die Pioniere sind zurück im Land, nun nicht mehr sowjetisch, sondern russisch. Sie haben sich zur neu gegründeten „Jugendarmee“ gesellt, die in Wettbewerben feiert, wer am schnellsten eine Kalaschnikow auseinandernimmt und wieder zusammensetzt. Auch Fahnenappell und die militärische Grundausbildung in der Schule sind wieder da. Du bist geübt in Indoktrination, schon der Allerkleinsten. Ich erinnere mich an das Gedicht „Kakerlake“ des sowjetischen Kinderautors Kornej Tschukowski. Du bist wie der dicke Schädling dort: Ein „schrecklicher Riese, rot und mit Schnurrhaaren“ tauchte bei allerlei Tieren auf und versetzte sie in Angst und Schrecken. „Bringt mir eure Kinderlein“, schrie die Kakerlake bei Tschukowski. „Ich werde sie zum Abendessen verspeisen.“

Du duldest keine Fragen, keinen Zweifel. Für dich gibt es ein ständiges Nelsja (Man darf nicht) und ein „Nado“ (Man muss). Warum die Menschen etwas nicht dürfen oder etwas müssen, erklärst du nicht. Hält sich der Mensch nicht daran, wird er bestraft. Immer

Du verspeist. Kinder und Erwachsene zugleich. Nicht der Bär, die Kakerlake müsste dein Nationaltier sein, in jeder Ecke deines Riesenlandes versteckt sie sich, nicht auszurotten.

Barmherzigkeit war noch nie deine Stärke

Ach, Mütterchen …

Du duldest keine Fragen, keinen Zweifel. Für dich gibt es ein ständiges „Nelsja“ (Man darf nicht) und ein „Nado“ (Man muss). Warum die Menschen etwas nicht dürfen oder etwas müssen, erklärst du nicht. Du stellst nur fest. Hält sich der Mensch nicht daran, wird er bestraft. Immer. Barmherzigkeit war noch nie deine Stärke. Um ans Ziel zu kommen, kennst du nur Gewalt.

Es gab eine Zeit, in der du dich geöffnet hattest. Eine chaotische Zeit, in der niemand wusste, wie mit Freiheit umzugehen sei. Und wie mit einer Wirtschaft, die zusammengebrochen war. Die Freiheit war nach einiger Zeit anstrengend, zu wild das alles. Selbst denken ist anstrengend, Verantwortung übernehmen ist anstrengend. Du hast es gern gesehen, als die Menschen alles an dich übergaben und auf ihrer Datscha das Leben genossen. „Der Politik bin ich fern“, sagen sie gern. Nicht alle natürlich. Wie lebt es sich in einer Gesellschaft des Umbruchs? In einer Gesellschaft, die Teile ihrer Geschichte verleumdet und eine Zukunft leben will, in der sie ihre Erzählung vom kulturhistorischen „Sonderfall“ jedem aufzubinden versucht?

Ich war als Kind gegangen und bin als Erwachsene zu dir zurückgekehrt. Nach Russland. Ich bin durch den postsowjetischen Raum gereist. Habe als Austauschstudentin dein Unileben kennengelernt (sehr verschult), später als Gastredakteurin bei einer russischen Zeitung gearbeitet (als es noch unabhängige Medien gab). Ich bin Jahre bei dir geblieben, überzeugt davon, dich meinen Le­se­r*in­nen erklären zu können, deine Geschichte, deine Schmerzen. Ich blieb auch noch da, als viele Kol­le­g*in­nen dir längst den Rücken gekehrt hatten. Dich zu verstehen, machte das lange Beobachten, Zuhören, Fragen stellen dennoch nicht einfacher.

Ich lernte hier die Liebe kennen, vor einem Gerichtsgebäude, wo sonst. Russlandberichterstattung ist weiterhin Gerichtsberichterstattung. Nur dass die Gerichte kaum mehr Jour­na­lis­t*in­nen in die Verhandlungssäle lassen. Nach ein paar Jahren woanders war ich wieder bei dir, zu einem Zeitpunkt, als deine Gesellschaft immer militaristischer wurde. Mehr als mein halbes Leben lang habe ich bei dir verbracht, habe unserem Kind deine Sprache mitgegeben, meine Sprache der Kindheit, die ich nicht Putin und seinen willfährigen Handlangern überlasse.

Ich habe als Fünfjährige im Steppenwind zu Alla Pugatschowa herumgetänzelt, da war sie längst eine Diva. Du hast sie, eine Nationalheilige fast, tief stürzen lassen, weil sie Rückgrat bewies und dich für deinen Überfall auf die Ukraine kritisierte. Ihre Lieder sind heute wie gelöscht im Land. Ich mache sie oft laut im Auto an, wenn ich mit 80 Stundenkilometern über die achtspurigen Straßen durch das Moskauer Stadtzentrum brettere – ja, das darf man –, vielleicht eine Art persönlichen Protests. Manchmal weinen der Himmel über der Stadt und ich dabei um die Wette.

Seit Russland seinen Krieg gegen die Ukraine führt, hat sich ein Schleier übers Land gelegt. Diese Aufnahme entstand in Moskau Foto: Inna Hartwich

Du frisst einen auf, du machst krank, du lässt Wut aufkommen und Hass und Mitleid, eine ganze Palette an Emotionen. Du lässt Tränen vergießen, um dich und deinetwegen, und klebst doch an einem. Da hilft auch kein Gläschen Wodka als Absacker, „na possoschok“, wie du sagst.

Die Willkür ist dein ständiger Begleiter. Du hast dich in der Gewalt eingerichtet. In alten Verbrechen, die du nicht verarbeiten willst, auch Jahrzehnte nach diesen Verbrechen nicht; du wälzt jeden nieder, der dies dennoch versucht. Auch mit neuen Verbrechen findest du dich ab, die du täglich begehst und über die du der ganzen Welt erzählst, all das sei nur zu deinem Schutz, zu deiner Verteidigung. Du lügst dir in die Tasche und verdrehst die Tatsachen so geschickt, dass dir die Welt so viele Jahre alles Mögliche abgenommen hat, trotz deiner Kriege, Tschetschenien, Georgien, Ukraine, mit dir Geschäfte machte, deine Gastfreundschaft hervorhob und deinen angeblichen Willen zur Partnerschaft.

Der Westen: Vorbild und Rivale zugleich

Die russische Seele sei es, die sie so anlocke, die dich so besonders mache, schwärmten die Unbelehrbaren stets. So manche/r von ihnen schwärmt wohl auch noch heute von ihr. Du hast diese Seele nie gehabt, du hast sie nur mittels des Franzosen Eugène-Melchior de Vogüé bereits im 19. Jahrhundert ziemlich erfolgreich in die Welt hinaustragen können. Du ließest dich damals auf einen Fremden ein, auch noch einen aus dem Westen. Vorbild und Rivale zugleich ist dieser Westen stets für dich. Du arbeitest dich an ihm ab, du brauchst ihn zum Überleben. Du klebst an ihm. Du bist eine zähe Sache.

Ach, Mütterchen …

Matuschka. Mat’. Mama. Russland ist weiblich, hervorgegangen aus der Vorstellung von der Erde als göttliche Mutter, die zum Symbol der Stärke, der Widerstandskraft und der Fruchtbarkeit stilisiert wurde. Diese Stärke willst du allen weismachen und bist zuweilen so erbärmlich unsouverän und infantil, weil du ständig auf andere zeigst und fast schon trotzig brüllst: „Aber die haben das auch gemacht! Wir dürfen jetzt auch!“ Widerstand ist so eine Sache bei dir. Du machst dir die Menschen, die durchaus ständig am Klagen sind, gefügig. Du nimmst ihnen immer mehr den Raum, sich dir zu entwinden. Verlangst, dass sie sich dir unterwerfen, egal, was du von ihnen willst. Sie sollen dir blindlings folgen, sollen Gehorsam leisten, gern vorauseilend, und bloß nicht aufmucken. Den Gürtel enger zu schnallen, gehört mitunter zu deiner Spezialität. Manchmal bist du geradezu stolz auf deine Leidensfähigkeit.

Und das mit der Fruchtbarkeit? Im Ernst? Du schickst deine Söhne in den Krieg, du sagst schon den Kleinsten, es sei ihre Pflicht, für dich, die Mutter Heimat, auf Schlachtfeldern zu sterben, du nimmt allen die Zukunft und zwingst die Frauen, gern schon Schulmädchen, zur Geburt von Kindern, die du zum Frischfleisch für deine imperialistischen Fantasien machst oder zumindest zu Mitläufer*innen. Völlig schonungslos.

Ich weiß, du gibst dich aufopferungsvoll, ach so liebend, immer nur dein Kind im Blick. Mamotschka, Mamulja, Mamussik, geradezu lieblich kommen deine Namen daher. Doch du hast dich längst mit deiner Rolle der aufopfernden Dienerin eines Verbrecherstaates abgefunden. Du als Mütterchen Russland, so lässt sich über deine Entstehungsgeschichte herausfinden, hattest stets ein Zaren-Väterchen an deiner Seite. Der Monarch schloss eine heilige Allianz mit dir, die Ehe. Und schon gehörtest du ihm, er sprach für dich und tat alles in deinem Namen.

Im Namen des Friedens lässt du töten

Das Väterchen ist kein Zar mehr, du hast dich längst dem Präsidenten ausgeliefert. Dem Mann, einem Geheimdienstler, der in deinem Namen sagt, Russland kenne keine Grenzen. Der das Nachbarland überfällt und den Menschen weismacht, es sei gar kein Überfall, sei kein Krieg, es sei eine „militärische Spezialoperation“, nach drei Tagen beendet, die Soldaten würden mit Blumen empfangen.

Eine Überschätzung von Anfang an. Du und er, ihr findet auch nach dreieinhalb Jahren keinen Weg mehr heraus, ihr habt alles auf diesen Krieg eingestellt, den ihr nicht Krieg nennt. Denn einen Krieg, so sagt der moderne Zar, dein Präsident, den führten die anderen, angeblich gegen dich, deine Interessen. Es ist eine pervertierte Geschichte, und du trägst sie mit, so stromlinienförmig wie die meisten um dich herum.

Wie machst du das? Wie schaffst du es, das Denken abzustellen und all das zu ignorieren, was nicht zu ignorieren ist? Du spaltest die Fakten so weit ab, dass du ganz verwundert darüber bist, dass deine Verwandten in der Ukraine nicht mit dir sprechen wollen. „Aber ich, ich habe ihnen doch nichts getan“, stammelst du allen Ernstes. „Ich, ich bin doch so friedliebend“, sagst du und lässt sogleich (ja, als unteilbare Gemeinschaft mit dem Väterchen) Drohnen und Raketen auf ukrainische Städte niederregnen.

Das sei alles deins, behauptest du, du wollest das nur mal schnell „befreien“. Deine „Befreiungskünste“ aber schätzt niemand. Im Namen des Friedens lässt du töten und versinkst im Sumpf aus Verwerflichem und Beschönigendem. Du willst nicht nachdenken, willst nichts wissen, willst nichts fühlen. Du willst keinen Schmerz spüren, der täglich um dich ist, der tote Bruder, der verwundete Enkel, der verschollene Nachbar.

Du hast das russische Wort „gore“ vergessen und die Bedeutung dahinter. Sie ist so vielfältig: Leid, Schmerz, Kummer, Misere, Ungemach, Last, Unglück, Elend. Du willst all das von dir weisen, du Patriotin! Willst lieber im überfüllten Café deinen Sommerdrink schlürfen, willst über Brücken voller prächtiger Blumen laufen, willst Festivals feiern, jedes Wochenende, alles gratis, willst dich betäuben in diesen Farben und Gerüchen, dich unterhalten lassen. Du willst im Sommerregen tanzen. Dabei tanzt du auf den Knochen Getöteter und Geschundener. Auf der Asche von verbrannten Babys und den Überresten von verschütteten Alten.

Du hast dir eine scheinbar sorgenfreie Realität geschaffen. Bunte Kulissen, dekoriert mit übergroßen Blumenkübeln entlang der Einkaufsstraßen. Es ist eine „Verdatschung“ der ganzen Gesellschaft, eine Flucht ins Grüne, ein bisschen in der Erde buddeln, in der Hängematte baumeln, in die Sonne hinausblinzeln. Hinter den Kulissen der Abgrund, in dem der Morast blubbert und stinkt. Was passiert, wenn du aus der Hängematte hinaus- und in die Schlucht hineinfällst?

Du raubst das Ich

Du könntest der Welt deine dampfenden Vulkane von Kamtschatka zeigen, deine Schneetundra an der Barentssee. Du könntest sie den Steppenwind am Ural spüren und den Lachs an den sibirischen Flüssen schmecken lassen. Du könntest so vieles. Stattdessen drohst du mit Atomwaffen und zerstörst Häuser, Leben, Gewissheiten. Du bringst deine eigenen Leute hinter Gitter, weil sie dein verbrecherisches Tun anprangern. Du schmeißt deine Leute aus dem Land und nennst sie „ausländische Agenten“, „Extremisten“, „Staatsverräter“, weil sie Krieg sagen zum Krieg. Du nimmst mit deinen fast täglichen Vorschlägen und Gesetzen jeden Raum zum Gestalten. Du raubst das Ich.

Zurück bleibt die Tragik. Da ist L., jung, Anwältin, mehrere Sprachen beherrschend. Sie erkennt genau, was los ist bei dir, sie sieht bei den eigenen Eltern, wie gut du darin bist, die Hirne der Menschen zu vernebeln. Sie stritt mit Vater und Mutter, sie stritt für ihre Position. Aber selbst Väter und Mütter können denunzieren. L. verstummte. Nur in ihrem Innern schreit sie laut gegen dich an. Und gegen sich. Äußerlich lebt sie ein unauffälliges Leben. Bringt die Tochter in den staatlichen Kindergarten, wohl wissend, dass die Leiterin dieses Kindergartens Geld sammelt für die Ausrüstung der Soldaten im Donbass. Sie windet sich, sie holt sich psychiatrische Hilfe – und findet sich ab mit dir. Das Kind in einen Privatkindergarten geben? Von welchem Geld? Das Kind zu Hause lassen? Wer verdient das Geld? Eine Wahl zu haben, ist ein Privileg.

Da ist A., ein Kleinunternehmer. Niemand in seiner Umgebung sieht alles, was bei dir passiert, irgendwie kritisch. A. fühlt sich allein. Die Geschäfte laufen schlecht, weil die Finanztransaktionen wegen der Sanktionen ein mühsames Ding sind. A. versteht das alles. Doch überleben muss man irgendwie. Auch er findet sich ab mit dir.

Da ist S., einst in oppositionellen Kreisen aktiv. Nach Festnahmen flüchtete er in ein Dorf im Norden, hier fischt er und schippt Schnee im Winter. Die Politik ist in seinem Kopf und manchmal auch an seinem Esstisch, wenn die Nachbarin vom verletzten Sohn bei der „Militäroperation“ erzählt. „So lange der Verbrecher im Kreml sitzt, so lange wird er unsere Kinder fressen“, sagt S. zur Nachbarin. Die Nachbarin will es nicht hören.

Da ist ein anderer A., ein Intellektueller, zum „ausländischen Agenten“ abgestempelt. Er denkt, er schreibt, er wird immer weniger. Blass, grau, ­schmal. „Hier ist meine Bibliothek, hier sind meine Verwandten begraben. Es ist mein Land“, sagt er.

Da ist das Mädchen V., das in der Schule eine Soldatenuniform trägt und von „roten Raketen und Maschinengewehrsalven“ singt. Die Eltern daheim sagen: „Es schadet ihr nicht.“

Da ist der Jugendliche F., der so viele Fragen hat, zu sich, zum Leben, zu allem. „Der Krieg, die Politik, die Sorgen um die Zukunft sind nicht die Themen, die erlaubt sind. Das versteht jeder“, sagt er.

Wir müssen uns trennen

Sie sind bei dir geblieben. Sie wollen, können nicht weg. Sie leben in dem Desaster, das du angerichtet hast und sie nicht verhindert haben, wie auch die Gegangenen und die Gegangenwordenen darin leben. Trotz allem träumen sich viele Exilant*innen/Relokant*innen/Emigrant*innen (die Gegangenen haben viele Namen für sich) wieder hierher, zu dir, ins Vertraute, Bekannte. Hier wartet zuweilen ein Strafverfahren auf sie oder es wurde bereits ein Urteil in Abwesenheit gegen sie gefällt. Sie sind in Amsterdam, in Riga, in Tbilissi. Sie sind rund um die Welt verstreut und sagen: „Ich will in mein Moskau zurück. In mein Russland.“ Dieses Moskau und dieses Russland aber gibt es nicht mehr.

Auch wir müssen uns trennen. Vielleicht für lange.

Ach, Mütterchen, пока …

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52 Kommentare

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  • Was soll dieser Nationalkitsch von vorgestern („Mütterchen… Russland ist weiblich… usw.)? Wo ist der Aufschrei emanzipierter Frauen angesichts eines absolut reduktionistischen Frauenbildes?! Und war der echte Zar also vergleichsweise o.k.?

    • @Earl Offa:

      Nicht zu vergessen "Väterchen Frost" -und (außerhalb des Textes von Inna Hartwich) der grausame Sten'ka Razin (17.Jh.), der bei seinem Femizid noch am Ort des Geschehens grölt bzw. im Volkslied grölen lässt:



      Vol'ga, Vol'ga, mat' rodnaja, Vol'ga ruzkaja rek'a... (Wolga, Ur-Mutter (!), [du]



      russischer Strom...) ... ...

    • @Earl Offa:

      Genau, finde ich auch.

  • Was für ein Text und hoffentlich bald mit einem Journalistenpreis!

  • Meine Mutter ist Russin, Vater DDR-Deutscher, bin in Leningrad geboren, auf der Krim aufgewachsen bis 6 Jahre, schwule Rotsocke. Früher war ich sehr oft in Russland, fand es auch immer sehr, sehr gut. Habe Freunde in Moskau (Freunde .... weiß ich nicht, ob ich sie noch so bezeichnen kann). Nach der Aggressionskrieg von Putler und Untertan habe ich keine Sehnsucht mehr nach diesem Land, eher Ekel und Widerwillen, auch vor meinen gehirngewaschenen Freunden, mit denen ein normales Gespräch kaum noch möglich ist. So muss es den Deutschen im Exil auch gegangen sein. Werde ich mal wieder hinfahren? Ich muss tatsächlich mal ans Grab meiner Großeltern, aus Dankbarkeit. Aber ....

  • In Russland liegt das Unheil in der Vergangenheit.

    In anderen Ländern liegt es in einer sich anbahnenden Zukunft.

    Die einen scheitern aus Müdigkeit, Nostalgie und Melancholie, die anderen aus Unzufriedenheit, Geltungsdrang, Rastlosigkeit, Umstürzlertum, nach vorn gerichteter Zerstörungswut.

    Unmündigkeit eint diese wie jene ohne dass diese wie jene es wissen. Beide zerstören. Aber die zweiten - ich denke natürlich an die Vereinigten Staaten - erodieren die Basis um eine neue zu errichten. Sozialer Größenwahn. Sie haben aber vielleicht nicht begriffen, dass man manches nicht abtragen kann weil es den Kern der Zivilität trägt, ohne den auch die gesellschaftlichen Neubaupläne nicht stehen können. Oder ihre Technik kann genau das leisten und uns politisch vollständig entmündigen. Man wird es sehen.

    Ich glaube beide Wege führen nicht in gute Zeiten.

  • Ein sehr berührender Text. Die Analysen über die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in Russland sind wichtig für uns in Deutschland und Europa. Aber dieser persönliche und emotionale Text macht mir auch deutlich, für was wir in Europa kämpfen müssen und das es nicht hilft, beide Augen zu zudrücken für eine falsch verstandene Druschba. Danke Innna Hartwich und alles Gute für Ihre nächste Etappe an einem hoffentlich besseren Einsatzort! Und ich hoffe, wir müssen in der Tat trotzdem nicht auf gut informierte & recherchierte Berichte aus Russland verzichten.

  • Liebe Inna Hartwich, habe soeben beim Lesen Ihres Artikels Rotz und Wasser geheult....

  • Ergreifender Artikel !



    1995 erschütterte ja auch noch ein Erdbeben der Stärke 7,5 die Insel. In der Siedlung Typs Neftegorsk, forderte das Beben 2.000 Todesopfer von den 3.500 Bewohnern. Die Siedlung wurde ja nicht wieder aufgebaut.



    Bis 1991 war die Insel Sachalin ja militärisches Sperrgebiet und nur mit speziellen Genehmigungen zu betreten. Fotografieren von Flughäfen und anderen militärisch deklarieren Objekten ist wie überall in Russland untersagt. Neben der Öl- und Gasförderung spielt auch der Kohlebergbau eine tragende Rolle

  • Tief traurig und wahr. Und auch wahr: Ein anderes Großreich, die USA, gehen jetzt denselben Weg. Freunde mailen mir, sie denken schon an Auswanderung, an Flucht vor dem Faschismus. Auch von dort werden wir also irgendwann -- irgendwann bald? -- solche Texte lesen.

    Es scheint also dunkel zu werden auf der Welt. -- Aber uns kriegt der Faschismus nicht! Mich nicht! Wir halten Recht und Freiheit hoch, solange wir noch schnaufen können! "Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar verschlingen...!!"

    • @miri:

      100%tig d'accord.



      Europa muss so stark werden (und dazu gehört auch die Ukraine), leider auch militärisch, damit es in die Lage versetzt werden kann, Russland zu zivilisieren, es, also die Menschen, wieder empathiefähiger zu machen. Dazu müssten die "Mütterchen" nach vorne drängen und Väterchen Frost zurückgedrängt werden....Dann wäre schon mal ein großer Schritt zur Befriedung der Welt getan.

    • @miri:

      Na, warten Sie mal ab,was hier in Zukunft noch so drin ist.

      Im Bundestag sitzen bereits zwei Parteien, die uns an Putin verkaufen würden, die dritte hat es nicht geschafft.

      Ein guter Deal zwischen Putin und Trump oder Vance, und die Sache könnte laufen.

  • Der Artikel hat für Stil und Inhalt einen Preis verdient, war mein erster Gedanke nach der Lektüre in der gedruckten Ausgabe am Samstag, so gut bringt er die verfahrene Situation auf den Punkt. Die Geschichte mit der Kakerlake kannte ich durch meine russische Frau, sie trifft leider sehr gut zu, obwohl man eine Zeit glaubte, die Kakerlake mit der Schnurrbart sei tot. Die Nachkommen sind leider zahlreich und diese Tiere sind sehr überlebensfähig. Gerade hier in Ostdeutschland wissen die meisten wenig über das Land, obwohl sie vorgeben, es besser zu wissen. Die Propaganda ist gern in freundliche Geschichten und Erinnerungen verpackt.



    Tragisch ist, dass es sich um einen großen Teil der Erde und einen zwar nicht ganz so großen, aber doch nicht geringen Teil der Menschheit handelt. Von den Russen, die ich kenne, sieht niemand auch nur den Funken einer Hoffnung, dass es noch einmal gut wird, einige haben nie wieder einen Fuss in ihre Heimat gesetzt. Das auszudrücken, ist dem Artikel gelungen, auch wenn es furchtbar ist.

    • @Heiko Neuwirth:

      Nur eine Anmerkung zum virtuellen russischen "Nationaltier" Kakerlake:



      Als ich noch in Ecuador lebte, hörte ich jemand mit geradezu ehrfürchtig Erschauern sagen, die Kakerlake sei eine überaus alte Tierart, der nicht beizukommen sei, weil sie unglaublich flink und gewissermaßen omnipräsent sei: auf der Erde sowieso, aber auch im Wasser und in der Luft.



      Nur das Lied der mexikanischen Revolutionär*innen singt dagegen an:



      "La cucaracha... ya no puede caminar..." (kann nicht mehr laufen...). Wir müssten schon dem Rad (der Kriegsmaschine) beherzt in die Speichen greifen...

  • Es liest sich so, wie ich es mir lange Zeit schon vorgestellt hatte. Dennoch und deswegen musste ich oft schlucken bei der Lektüre - ich kann es nicht ertragen, deuten schon gar nicht. Wie kann das sein?.

  • Was verursacht eine solche Wehmut, dass einem das Herz gebrochen wird?



    Tiefe, tiefe Liebe und Sehnsucht.



    Man kann nur versuchen die Hoffnung zu bewahren, dass sich das zu unseren Lebzeiten noch ändert.



    Als ebenfalls ehemalige Landsmännin sprechen Sie mir aus der Seele.

  • Der Text hat mich wirklich sehr berührt, aber gleichzeitig auch konsterniert. Was soll nun aus Mütterchen Russland (wären es doch nur die Mütterchen/Frauen, die etwas zu sagen hätten) werden?



    Ich denke, da wird es demnächst ein Buch geben, das ich gerne lesen werde.

    • @Giordano Bruno:

      Die russischen Frauen sind auch keine schlechteren Putinistinnen.

      Gäbe es jemals ein Tribunal, das über die Russofaschisten richtet, dann müssten die Sacharowa, die Simonyan und die Lwowa-Belowa alle auf der Anklagebank sitzen. Diese Frauen haben das Blut tausender an ihren manikürten Händen.

    • @Giordano Bruno:

      Väterchen (Putin) wird nicht zulassen, dass Mütterchen (Rußland) sich emanzipiert.



      Es ist schon ein Trauerspiel: In diesem Riesenland mit seinen vielen Rohstoffen gibt es kaum Entwicklung - es ist noch immer eine rohstoffbasierte Wirtschaft. Daran wird erst etwas ändern, wenn die Oligarchen-Herrschaft beseitigt wird. Anders sieht es da bei den Nachbarn, in China, aus.

  • Ich fasse mal zusammen: Der Einzelne ist nichts - Das Kollektive ist alles!

  • russland ist das letzte Kolonialreich Europas. Ich denke, in seiner jetzigen Form hat es keine Zukunft. Den Russen stecken Erniedrigung Genozid und Grausamkeit gewiss nicht in den Genen, aber dieses Großreich, in dem sie leben, wird diese Schrecken immer wieder reproduzieren. Das beste wäre, es zerfiele, dann könnten seine Einwohner:innen endlich ein menschenwürdiges Leben leben.

  • Ein wunderbarer, berührender Text. Danke.

    • @Bürger L.:

      Ja.

    • @Bürger L.:

      Dem schließe ich mich an - aus der Seele gesprochen für meine ehemalige Wahlheimat.

  • Dieser Monolog gehört zu den traurigsten, die ich je gelesen oder gehört habe.



    Er tut weh. Er macht fassungslos. Er zeigt, dass es ein leichtes ist, ein ganzes Land, das größte dieser Welt, in Geiselhaft zu nehmen.



    Ja, Mütterchen Russland frisst seine Kinder. Doch Mütter tun so etwas nicht. Es sind nur einige wenige Männer, die dies bewerkstelligen.



    Mütterchen Russland, dich gibt es genauso wenig wie diese Spezialoperation.

  • Pflichtlektüre für Wagenknecht, Lafontaine, und alle anderen, die meinen, man könne mit dem mittlerweile zutiefst faschistischen Staat Russland ganz normal umgehen. Dieser Staat ist nicht normal und hat auch keine Interessen, die man irgendwie pragmatisch berücksichtigen kann.

     

    Kommentar gekürzt, bitte halten Sie sich an unsere Netiquette.

    Die Moderation

    • @Suryo:

      Die werden Sie in diesem Forum nicht antreffen, sondern nur unter Artikeln, die Unterstützung der Ukraine thematisieren, oder, noch besser: Missstände in der Ukraine. Dann werden sie ganz eifrig.

    • @Suryo:

      Einen klitzekleinen Funken Israelkritik ihrerseits würde Ihnen bei der Russlandkritik mehr Glaubwürdigkeit verleihen.

      • @Muckelpu:

        Ich muss mich nicht zu allem äußern.

        Meine Glaubwürdigkeit ergibt sich daraus, dass ich die Tatsachen auf meiner Seite habe. Im Übrigen geht es hier um den ausführlichen Beitrag von Inna Hartwich, dem ja wohl kaum etwas hinzuzufügen ist.

        Was sagen eigentlich die prorussischen Kommentatoren hier dazu? Wie immer bei so eindeutigen, nicht zu relativierenden Artikeln über Russland glänzen sie durch Abwesenheit.

    • @Suryo:

      Sehr richtig.

      Dieser Text sollte mal in der ach so linken und kritischen "Junge Welt" erscheinen, die ja Tag für Tag für die Menschenrechte, für freie Berichterstattung und gegen den Krieg kämpft... [Ironie off]

    • @Suryo:

      .. "zutiefst faschistischen Staat Russland ganz normal umgehen"

      Wenn ein derartiger Appell aus Deutschland kommt, hat das schon etwas befremdliches.

      Die warnenden Stimmen der Balten, Polen, Ukrainer und anderer gab es schon seit 2008, sie wurden in Deutschland aber geflissentlich ignoriert.

      Über Tschetschenien, Syrien, Georgien, Krim etc wurde hinwegsehen, erst bei der Invasion der Ukraine wurde reagiert und das anfangs auch nur halbherzig. Remember Nord Stream.

      Einmal in die eigenen Überlegungen mit einbeziehen, dass Deutschland indirekt einen großen Anteil daran hat, dass das Regime Putin heute so fest im Sattel sitzt. Und daran waren weder Wagenknecht noch Lafontaine oder Mützenich beteiligt.

      Und das "mittlerweile" faschistische Russland ist auch nicht vom Himmel gefallen, sondern war auch schon vor Jahrzehnten deutlich sichtbar. Wollte in Deutschland nur keiner sehen. Warum wohl?

      Aber so läuft das hier in der Meinungsbild oftmals, vom Steigbügelhalter zum Kritikaster in kurzen Schritten.

      • @Sam Spade:

        Blicken Sie aber von W (oder auch N, S) Richtung O, können Sie die langen Schrittmacher (bzw. "Herz"-Schrittmacher?) nicht übersehen. Und leider greifen sie auch im W um sich (als wäre das virtuelle russische nationale Tier, die Kakerlake, gleich einer invasiven Art unaufhaltsam unterwegs...).



        Vieles ist, wie so oft, im Grunde eine Frage der Blickrichtung, vielleicht auch der Wahrnehmung, die von manchen auch 'innere Uhr' genannt wird.

      • @Sam Spade:

        Richtig, kann man gar nicht oft genug erwähnen. Vor allem, weil Leute wie Mützenich, Stegner, Platzek, etc., die selbst nach 2014 noch vehement NS2 verteidigt haben, auch zu Denjenigen gehören, die heute am Lautesten Waffenlieferungen and die Ukraine und mangelnde Verhandlungsbereitschaft des Westens kritisieren.



        Die Rolle der Landesregierung MV, unter der Leitung von Schwesig, die noch 2021 etxra eine sogenannte Stiftung- Klima und Umweltschutz -finanziert von Gazprom- initiert hat, um unter dem Banner des Klimaschutzes amerikanische Sanktionen gegen NS2 zu umgehen und weiter billiges Gas aus Russland beziehen zu können, ist bis heute nicht aufgearbeitet.



        Deutschland und isbesondere die SPD spielt bei der Anhängigkeit Europas von russischer Energie und damit der Vorbereitung des Ukraine Krieges eine entscheidende Rolle.

      • @Sam Spade:

        Danke, Sie sprechen mir aus der Seele.

      • @Sam Spade:

        "Wollte in Deutschland nur keiner sehen."



        Mal wieder gewohnt holzschnittartig. Der damalige Bundespräsident Gauck ist 2014 ist seiner Rede auf der Westerplatte sehr deutlich geworden.

        • @Schalamow:

          Ganz genau in Worten. Eine entsprechende Handlung erfolgte daraus nicht, sondern es wurde 2018 sogar mit dem Bau von Nord Stream 2 begonnen und bis zum Ende an dem Projekt festgehalten.

          Und auch heute noch füllt die EU die russische Kriegskasse durch Importe von LNG Gas. Hauptabnehmer ist Deutschland. Die Liste ließe sich noch ausbauen z.B. mit Düngemittel, Nickel etc.

          Und noch eine Anekdote. Nach Annexion der Krim hat Norwegen seine Gaslieferungen erhöht, um russische Minderlieferungen auszugleichen. An einem Ausbau war Deutschland aber nicht interessiert und hat sich damals auf bestehende Verträge mit Russland berufen, die natürlich jenseits der Weltmarktpreise lagen zu denen Norwegen exportiert. In Norwegen hat man das allerdings als politisch gewollt aufgefasst, um weiterhin billige Energie in Deutschland anbieten zu können. Hätte also damals schon eine Alternative gegeben.

          Von daher sorry, "Wortweltmeister Deutschland" hat letzte Woche der britische Indepent über Deutschland in Bezug auf Israel getitelt. Würde in diesem Fall auch durchaus zutreffen.

          • @Sam Spade:

            Vielleicht sollten Sie sich mal mit sich selbst einigen, welche Meinung Sie eigentlich haben. Vollzieht die deutsche Politik nun endlich eine Wende, ist es Ihnen ja offenkundig auch wieder nicht recht; über Ihren "Pazifismus" lagen wir hier ja schon mehrfach über Kreuz. Wenn ich Ihre Position der letzten drei Jahre richtig rekapituliere, waren Sie ja immer gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und sind derzeit vorneweg mit dabei, wenn es gegen die Aufrüstung der Bundeswehr und den vermeintlichen deutschen Militarismus geht.



            Ich gehöre hier ja nun wahrlich zu denen, die die deutsche Appeasement-Politik kritisiert haben. Aber dass Sie sich nun ausgerechnet auf die Seite der Wagenknechte schlagen und meinen, diese gegen Kritik verteidigen zu müssen, ist angesichts Ihrer eigenen Kritik an der früheren deutschen Außenpolitik nur noch hochgradig absurd. Denen kann ja bis heute die Anbiederung an Russland gar nicht weit genug gehen; Wagenknecht jammert immer noch dem billigen russischen Gas hinterher.



            @Suryo hat da schon recht: Die einzige Konstante Ihrer Argumentation sind Ihre Ressentiments.

            • @Schalamow:

              Was hat das jetzt mit meinem Kommentar zu tun?

              So wird das nichts. Es ist nicht das erste mal, dass ich den Eindruck gewinne das sie in keiner Weise verstehen worüber ich eigentlich schreibe. Da könnte ich ihnen schon fast Absicht unterstellen, dass sie permanent am Thema vorbei argumentieren.

              Ist es eine derart große Herausforderung für sie zu einem Beitrag sachlich Stellung zu nehmen?

              Ich rede hier über zeitgeschichtliche Vorkommnisse und sie machen einen völlig nichtssagenden Meinungsbeitrag daraus. Ergibt wenig Sinn. Probieren sie doch einmal meine Argumente ggf sachlich zu widerlegen und ihre Einwände auf die Sache zu richten und nicht auf Meinungen.

              Ich habe ihnen auch schon oft genug mitgeteilt, dass ich mit Geschwätz wenig anfangen kann. Das kommt meistens dann zum Zuge, wenn einem die Argumente ausgehen oder wenn man einen Text sogar nicht verstanden hat.

              Also los geht es. Welche Handlungen im Umgang mit Russland sind von Deutschland ausgegangen nach Gaucks Rede, ausser die das er im eigenen Land dafür stark kritisiert wurde? Wurden Konsequenzen daraus gezogen? Hat Deutschland versucht sich neu aufzustellen? Fakten wenn möglich!

      • @Sam Spade:

        Wagenknecht und Co sind aber auch nicht nur absolut blind gewesen, sie sind es immer noch. Und wer allen Ernstes ein Ende der Sanktionen fordert, begeht mittlerweile ja quasi schon Landesverrat - Verrat an demokratischen, vor allem linken, Idealen sowieso. Linke können nur Feinde dieses Russlands sein.

        • @Suryo:

          Kritik an AFD ist mehr als nur gerecht fertigt. Mangelnde Differenzierung zwischen AFD und BSW ist jedoch populistisch.



          Der Verrat der Ideale ist es wohl eher den Menschen in dwe Ukraine die Erreichbarkeit von unrealistischen Zielen zu suggerieren. Und solidarisch ist es auch nicht die Ukraine auf Kosten der Ärmsten der Armen zu unterstützen (Kürzung der Welthungerhilfe, Entwicklungshilfen usw.).



          Solidarisch wäre eine Unterstützung der Menschen in der Ukraine ohne dass darunter die Ärmsten der Armen leiden müssen. Auch gehört zur Solidarität Ehrlichkeit in Bezug auf die Gesamtlage.

      • @Sam Spade:

        Können Sie vielleicht ein einziges Mal nicht auf dem ach so schrecklichen Deutschland herumhacken?

        Davon abgesehen: Russland ist nicht umsonst Schutzmacht deutscher, insbesondere ostdeutscher, Rechtsextremisten. In Russland sehen sie das, was sie sich auch für Deutschland ersehnen.

        • @Suryo:

          Der Kommentar bezieht sich auf die Opportunisten hierzulande, die in den letzten 15 Jahren nur zu bereitwillig weggeschaut haben, da ja der Preis stimmte und jeder seinen Schnitt gemacht hat. Gilt für Politik, Wirtschaft und Einwohner.

          Wer unter diesen Voraussetzungen meint andere Menschen an den Pranger stellen zu können, weil sie noch dem alten Russlandbild anhängen, sollte sich erstmal an die eigene Nase fassen.

          Jahrzehnte von billigen russischen Rohstoffen und Agrarerzeugnissen profitieren und somit zur wirtschaftlichen Stabilität des Systems in Russland beitragen und jetzt aufeinmal ganz auf Linie den Moralapostel geben, passt nunmal nicht zusammen.

          Ebenso wenig wie ihre Überleitung zu Rechtsextremen und Schutzmacht Russland. Da gab es auch vor 15 Jahren schon die entsprechenden Verbindungen, hat keiner großartig Notiz von genommen.

          Und was ist jetzt daran neu, ausser das es offensichtlich mittlerweile in Deutschland noch mehr Rechtsextreme gibt und die Verbindungen zu Russland noch intensiver sind?

          Das einzige was sich geändert hat ist die Wahrnehmung vieler Menschen, gestern Freund heute Bedrohung. Das System war aber damals wie heute dasselbe.

          • @Sam Spade:

            Ich war schon vor 20 Jahren Feind dieses Russlands, damals hauptsächlich wegen seiner Unterdrückung von LGBT.

            • @Suryo:

              Nun, mein Beitrag war ja auch gar nicht auf ihre Person bezogen. Daher habe ich ja auch von Deutschland geschrieben. Ich glaube darauf könnte man sich leicht verständigen, dass Deutschland um des eigenen Vorteils willen und nicht mangels Alternativen, viel zu lange weggeschaut hat. Gilt auch für andere Länder.

              Im übrigen kritisiere ich die Zustände immer dort wo gerade mein schwerpunktmäßiger Lebensmittelpunkt ist. Gilt für Deutschland, Norwegen und England gleichermaßen.

              Und Perspektiven von außen tun Deutschland in der Diskussion auch gut. Hier dreht sich nämlich selbst bei internationalen Gesprächsthemen meist alles um die eigenen Befindlichkeiten. Bedeutet der Fokus ist permanent nach innen gerichtet. Das ist z.B. in Norwegen anders, da läuft es in der Debatte neutraler und objektiver ab. Bedeutet eine Diskussion über Gaza ist auch auf die Zustände in Gaza gerichtet und handelt nicht von norwegischen Befindlichkeiten. Die würden wir in diesem Bezug als unerheblich betrachten.

    • @Suryo:

      Dem kann ich nur voll und ganz beipflichten. AfD, Wagenknecht und Konsorten leiden wirklich unter Wahrnehmungsverzerrung

      • @Giordano Bruno:

        Kritik an der AFD ist mehr als nur angebracht. Aber Differenziertheit bzgl BSW wäre angebracht.



        Unter Wahrnehmungsverzerrung scheinen in der Ukrainethematik eher weiter Teile der Mitte der noch Gesellschaft zu leiden. Ein ukrainischer " Sieg" war nie unwahrscheinlicher als heute - man wird das auf Dauer auch nicht weiter verdrängen können.

        • @Alexander Schulz:

          Ein ukrainischer Sieg stand nie zur Debatte. Ziel war es den Russen soviel abzuverlangen, dass neben dem Materialverschleiss auch eine gewisse Kriegsmüdigkeit dazu führt Verhandlungen aufzunehmen.

          Die Strategie ist bisher nicht aufgegangen, da die daran gekoppelten Sanktionen zum Großteil von China oder Indien kompensiert wurden und das Regime in Moskau fester im Sattel sitzt als wohl vermutet. Es gibt keine Opposition die noch intervenieren könnte und Proteste innerhalb der Gesellschaft sind erst recht nicht mehr zu erwarten.

          Putin verfolgt eine Langzeitstrategie und zwar schon seit Beginn seiner Amtszeit 2004. Die Uneinigkeit des Westens hat auch bisher einen großen Anteil daran gehabt, dass Teile seiner Strategie aufgegangen sind.

          Selbst ein jetziges Abkommen mit Gebietsabtretungen der Ukraine würde nur eine Atempause bedeuten und Putin die Möglichkeit bieten die Militärressourcen aufzufüllen.

          Denn die gegenwärtige Weltlage bietet keinen Anlass dafür, dass Putin von seinem Vorhaben ablässt die gesamte Ukraine unter seine Kontrolle zu bringen.

          Darauf sollte besonders Europa vorbereitet sein.

          • @Sam Spade:

            Sieg ist natürlich eine Definitionsfrage, deshalb habe ich es auch in Anführungszeichen gesetzt. Auch wenn es heute absurd erscheinen mag, so wurde durchaus für eine lange Zeit eine Rückeroberung des gesamten Territoriums als Ziel erklärt.



            Ob Putin sich an ein Abkommen halten wird können wir nicht vorraussagen. Es besteht aber durchaus die Möglichkeit, dass ein Abkommen funktionieren könnte, wenn sich anders als bei Minsk, beide Seiten daran halten. Was sollte denn die Alternative zu einem schlechten Abkommen in naher Zukunft sein? Ein " weiter so" nur ohne Amerika? Bisher hat sich durch die "weiter so" Strategie die Position geschwächt. Warum sollte das in Zukunft anders sein?

        • @Alexander Schulz:

          Finden Sie einen russischen Sieg nicht im geringsten bedrohlich für sich selbst, für Deutschland?

          • @Suryo:

            Ein russischer Sieg scheint nun wirklich nicht besonders realistisch zu sein. Nennen Sie mir doch einen seriösen Experten, der eine ernsthafte Bedrohung für einen EU-Staat (abgesehen vom Baltikum) befürchtet!? Russland hat gar nicht die personellen Kapazitäten in den nächsten Jahrzehnten Osteuropa auf breiter Front anzugreifen. Möglich wäre das frühestens in 19 Jahren - vorausgesetzt die Gebuetebrate würde sich schlagartig ändern.

            • @Alexander Schulz:

              Für Russland ist schon eine geringfügige Vergrößerung des Territoriums ein Sieg. Dass die Opfer dabei nichts zählen, beschreibt Inna Hartwich doch absolut deutlich.

              Im Übrigen widersprechen Sie nun wirklich allen Fachleuten. Wie kommen Sie dazu?

              Und offenbar scheint Ihnen nicht klar zu sein, dass ein russischer Angriff auf zB Estland auch ein Angriff auf Deutschland ist.

              • @Suryo:

                Das ist falsch. Ein Angriff auf Estland wäre nun wirklich kein Angriff auf Deutschland! Auch ist es zweifelhaft, ob es Artikel 5 greifen würde, da hier eine Einstimmigkeit notwendig wäre unter den Nato-Mitgliedern.



                Welchen Fachleuten wiederspreche ich? Nennen Sie mir doch bitte Mal einen seriösen Experten, der abgesehen von den Baltischen Staaten, EU-Länder konkret in Gefahr sieht!