Aus vom Verbrenner-Aus: Der lange Arm der deutschen Autolobby erschlafft in Brüssel
Die Abkehr vom Verbrenner-Aus ist schlecht fürs Klima. Aber der Kompromiss zeigt: Die deutsche Autolobby hat nicht mehr viel Macht in Brüssel.
I n diesen turbulenten Zeiten ist es beruhigend, sich auf eine Konstante verlassen zu können: Die deutsche Autoindustrie kann weitgehend die Position der Bundesregierung bestimmen. Kanzler Friedrich Merz (CDU) und sein Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) setzten sich in Brüssel dafür ein, das Verbot für Neuzulassungen von Verbrennern ab 2035 zu kippen. Damit waren sie erfolgreich: Die EU-Kommission schlug am Dienstag vor, dass die Autohersteller den CO2-Ausstoß ihrer Neuwagenflotten nur um 90 statt 100 Prozent reduzieren müssen. Das ist eine schlechte Nachricht für den Klimaschutz, aber es gibt auch eine gute: In Berlin kann die deutsche Autolobby zwar weiter die Muskeln spielen lassen – aber in Brüssel wird ihr langer Arm zunehmend kraftlos.
Denn Spanien, Frankreich, Skandinavien, die Niederlande sowie ihre heimischen Lobbygruppen sind gegen Rückschritte. Ihre Unternehmen sind auf dem Weg Richtung Elektromobilität weiter, bauen kleinere, billigere Autos und sind weniger auf den Export angewiesen. Gelockerte Klimavorgaben würden sie für zukunftsgerichtetes Denken bestrafen: Weltweit wächst der Anteil der verkauften E-Autos, sie sind effizienter und machen unabhängig von Ölimporten.
Deswegen ist Teil des Kompromissvorschlags der Kommission, dass zusätzliche CO2-Emissionen durch Verbrenner ab 2035 ausgeglichen werden müssen, beispielsweise indem die Autobauer klimaneutral hergestellten Stahl verwenden. Das hilft gleichzeitig der Stahlindustrie, die für ihr grünes, etwas teureres Produkt noch zu wenige Abnehmer findet. Außerdem will die Kommission Unternehmen zu mehr E-Dienstwagen verpflichten und den Bau kleinerer E-Autos belohnen. Das Verbrenner-Aus-Aus ist deshalb keine bloße Kapitulation vor fossilen Konzernen, sondern eine Reform, die alles komplizierter macht, aber in zehn Jahren vielleicht als Erfolg gelten kann.
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Entsprechend unglücklich ist die Vorsitzende des deutschen Autolobbyverbands VDA, Hildegard Müller: „Für den Automobilstandort Europa, für Wirtschaft, Wachstum und Beschäftigung ist das heute kein guter Tag“, sagte sie. Die Ursachen der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit Europas habe die Kommission nicht angesprochen.
Schuld war nie das Verbrenner-Aus
Da hat sie recht, aber das hat einen Grund: An den sinkenden Gewinnen der Autokonzerne war nie das Verbrenner-Aus schuld. Es sind die chinesischen Hersteller, die den deutschen Platzhirschen in China und weltweit den Rang ablaufen. Ihre Batterien sind besser, ihre Preise niedriger. Indem die deutsche Autoindustrie noch die letzten Profite aus ihrem Verbrennergeschäft pressen will, verbaut sie sich und ihren Beschäftigten die Zukunft.
In den meisten EU-Ländern weiß man das, auch die IG Metall begrüßt den Vorschlag der Kommission. Klartext aus Berlin würde den Vorständen in München, Stuttgart und Wolfsburg guttun. Aber dafür müssten Merz und Klingbeil den Mut aufbringen, eine echte Erneuerung der deutschen Industrie anzustoßen und dafür Geld in die Hand zu nehmen. Anzeichen für diesen Mut gibt es bisher keine.
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