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Verteidigungsminister PistoriusWehrdienstgesetz soll Hintertürchen für Wehrpflicht bekommen

Die Bundeswehr will mehr Leute, aber viele SPD-Politiker wollen keine Wehrpflicht. Ihr Verteidigungsminister will sie im Wehrdienstgesetz verankern.

Will ein Hintertürchen für die Wehrpflicht: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin reuters/dpa/taz | Verteidigungsminister Boris Pistorius will eine Wehrpflicht bereits im geplanten Wehrdienstgesetz mit verankern. Sein Gesetz solle bereits Regelungen enthalten, die dann griffen, wenn zu wenig Freiwillige Wehrdienst leisteten, sagte der SPD-Politiker am Sonntagabend in der ARD. Man könne bei einem Fehlen von Freiwilligen nicht erst in ein neues Gesetzgebungsverfahren einsteigen. „Dafür haben wir keine Zeit, aber für einen solchen Mechanismus, der schon angelegt ist, das ist dann kein Problem.“ Es sei möglich, dass dies bereits in dieser Wahlperiode geschehe. „Ich kann das nicht ausschließen, alles andere wäre Kaffeesatzleserei.“ Das entsprechende Gesetz solle noch vor der Sommerpause in der Bundesregierung beraten und danach beschlossen werden.

Das Wehrdienstgesetz und vor allem eine Wehrpflicht wird in der SPD trotz der Bedrohung durch Russland teils kritisch gesehen. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch hatte gesagt, man könne über eine Pflicht frühestens in der nächsten Wahlperiode reden. Die Sozialdemokraten treffen sich am kommenden Wochenende zum Parteitag. Allerdings hat auch der SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Lars Klingbeil zuletzt Vorbereitungen für eine etwaige Wiederaufnahme der Wehrpflicht gefordert.

Pistorius will zunächst die Bundeswehr attraktiver für Freiwillige machen und den Jahrgang der 18-Jährigen anschreiben. Männer müssen antworten, Frauen können. Damit hofft man zunächst so viele Rekruten zu gewinnen, wie die Bundeswehr derzeit ausbilden und vor allem in Kasernen unterbringen kann. Derzeit sind es etwa 15.000, die Zahl soll aber schnell stark wachsen.

Pistorius will die stehenden Streitkräfte von derzeit gut 180.000 auf 250.000 bis 260.000 aufstocken. Zudem sollen 200.000 Reservisten zur Verfügung stehen, derzeit sind es allenfalls die Hälfte. Hier soll der Wehrdienst ansetzen, um die übrigen 100.000 über ausgebildete Rekruten zu finden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Bundeswehr wegen Überalterung ständig Soldaten und Reservisten verliert.

Schwedisches Modell als Vorbild

Um die Ausbildungskapazitäten zu steigern, will die Bundeswehr den Bau von neuen Unterkünften schnell voranbringen. Pistorius sagte, wenn dann die Zahl der Plätze in den Kasernen größer sei als der Freiwilligen, könne auch die Wehrpflicht greifen: „Dann ist genau der Punkt, einen solchen Mechanismus von Kabinett und Parlament in Gang setzen zu lassen, und zwar schnell, damit wir auf Teilverpflichtung von Teiljahrgängen zugreifen können.“

Im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD war keine Rede von einer Wehrpflicht. Dort hieß es: „Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert.“ Man wolle sich am schwedischen Wehrdienstmodell orientieren, aber werde auch „noch in diesem Jahr die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung schaffen“. Beim schwedischen Modell sind alle Jugendlichen eines Jahrgangs verpflichtet, einen Fragebogen auszufüllen – so ähnlich also, wie es nun auch Pistorius plant. In Schweden entscheidet die Armee dann, wen sie zur Musterung einlädt. Von den Gemusterten muss wiederum nur ein kleiner Teil dann tatsächlich den Dienst antreten.

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7 Kommentare

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  • "Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst..."

    Klasse. Off you go.

    Lasst nur diejenigen über die Wehrpflicht abstimmen die später die Waffen in die Hände gedrückt bekommen!

  • Ich habe damals im Pflegeheim den Ersatz gedient.



    Die Erfahrung möchte ich niemals missen!



    Für mich war es Unsinn die Wehrpflicht auszusetzen.



    Was ich immer unfair fand, dass Pflegeheime und soziale Einrichtungen sich am Zivildienst gesund gestoßen haben-, was wurde ich ausgenutzt in 24 Monaten, eingeplant wie eine voll examinierte Pflegekraft.



    Deshalb ist die Pflege heute auch noch besonders am A*sch, weil es den Zivieldienst einfach nicht mehr gibt. Traurig.



    Was ich nie verstanden habe, dass diejenigen, die schon immer gegen die Wehrpflicht waren, sich jetzt dagegen aussprechen,



    dass die Bundeswehr an Schulen rekrutiert. Ich meine, woher sollen die Ihren Nachwuchs denn bekommen..? Hmm..

  • Bei Caren Miosga erklärte Pistorius, warum eine Wehrpflicht nicht zwangsläufig zu mehr Berufssoldaten führen würde, sondern vielmehr zu einer höheren Zahl an Reservisten.

    Dass die Kreiswehrersatzämter abgeschafft wurden, ist bekannt, aber damit gingen auch die Meldedaten der Reservisten verloren. Pistorius: "Ich habe vorgefunden, dass es weder eine Wehrerfassung gibt, noch eine Wehrüberwachung. Das ist übrigens eigentlich ein Skandal, weil es nämlich bedeutet, dass wir im Ernstfall, also wenn wir angegriffen würden, gar keine Reserve einziehen könnten, weil wir weder Namen noch Adressen haben."

  • 1. wir brauchen mehr fähiges(!) Personal in der BW.

    2. wir brauchen viel mehr Personal im Pflege-/Sozial-/usw…- Bereich.

    Also ganz einfach: Wehrpflicht wieder aktivieren und zur Dienstpflicht umgestalten. Zuerst dann mit kleinem Anteil in BW (die können dann Bestenlese betreiben) und gleichzeitig die Kapazitäten für mehr Wehrdienst ausbauen.



    Der Rest der Dienstpflichtigen geht dann in den „Zivildienst“ (gerecht, weil alle müssen).

    Fertig ist die Sache! Und zwei Probleme sind gelöst mit noch einigen netten Nebeneffekten.

  • Das klingt genauso ungerecht wie die alte Wehrpflicht; manche müssen, andere nicht.



    -



    Warum nicht einfach eine Dienstpflicht für alle (Männer und Frauen) eines Jahrgangs und sie können sich entscheiden, wo (Militär, Soziales, Umwelt).

  • Frankreich hat seit 2002 ne Freiwilligenarmee, das UK schon seit den 1960ern, die USA seit anfang der 1970er ne Aussetzung der Wehrpflicht. Es scheint also zu klappen mit ner einsatzfähigen Armee ohne Musterung, Zwangsdienst und im Zweifelsfall wieder Ersatzdienst als Billigjobber.

    • @Hugo:

      Darauf könnte man bestimmt eine genügend große Anzahl an Gegenbeispielen anführen. In D klappt es ganz offensichtlich nicht. Zu Anfang der 2000er war man ja der Meinung, nur von Freunden umzingelt zu sein, obwohl man gleichzeitig die hybride Kriegsführung übte. nun zeigt sich, dass das alles nicht so ganz richtig war und man muß die Fehlentscheidungen von einst wieder korrigieren.



      Ein Wehrdienst und gleichzeitig ein Zivildienst, wie es sie mal gab, sollte man dieses mal aber besser vergüten und auch zeitlich gleich halten.