Kopftuchstreit in Spanien: Glaube und Feminismus
In einem Madrider Vorort demonstrieren Schüler und Studierende für das Recht, einen Hidschab zu tragen. Sie werfen dem Staat Rassismus vor.

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Sie gingen auf die Straße, um das Tragen des islamischen Kopftuchs, des Hidschabs, zu verteidigen. An zwei der drei Oberschulen ist jedwede Kopfbedeckung, egal ob Mütze oder Kopftuch, im Unterricht strikt verboten, an der dritten wird eine solche Regelung diskutiert.
„Unser Kopftuch stört niemanden, eure Islamfeindlichkeit schon“ und „Mein Körper, meine Entscheidung“ lauten zwei der Parolen, die die jungen Frauen, meist mit Migrationshintergrund und mehrheitlich mit Kopftuch, immer wieder skandierten. Streik und Marsch, an dem auch religiös korrekt gekleidete Mütter teilnahmen, war von der linken spanischen Studentengewerkschaft organisiert worden. Es gehe um die Rechte der Immigrantinnen, geben sie dem ganzen im Vorfeld des Internationalen Frauentags eine feministische Begründung.
„Für uns besteht der Laizismus darin, dass die Religion Privatangelegenheit ist. Die Schule kann das nicht verbieten. Genauso wie jemand mit einem Kreuz an einer Halskette in den Unterricht kann, können sie unseren muslimischen Mitschülerinnen nicht verbieten, mit Hidschab in die Schule zu gehen“, sagt Celia Del Barrio, Sprecherin der Studentengewerkschaft, die an ihrer Tasche neben allerlei linker Symbole einen Batch mit der Aufschrift „Zionismus ist Todeskult“ trägt.
Unverständnis auf beiden Seiten
Für die junge Frau, die gemeinsam mit zwei komplett schwarz gekleideten Frauen mit eng anliegendem schwarzen Kopftuch, das kein bisschen Haar freilässt, die Demo per Megafon animiert, ist das Verbot „als Laizismus getarnter Rassismus“. „Jede hat das Recht sich zu kleiden, wie sie will. Das Bildungsgesetz erlaubt es nicht, die Meinungs- und Religionsfreiheit einzuschränken“, fügt Del Barrio hinzu.
In den betroffenen Schulen freilich sehen sie das anders. Der Streik sei „ein direkter Angriff auf die Unabhängigkeit und auf den laizistischen Charakter unseres Bildungsprojekts“, heißt es in einem Kommuniqué des Direktors der Nicolás-Copérnico-Schule, an der die Mobilisierung den größten Zulauf hat. Auf die Copérnico gehen viele Schüler und Schülerinnen mit marokkanischem Migrationshintergrund. Es habe vor dem Streikaufruf nie Beschwerden über das Kopftuchverbot gegeben, erklärt ein Lehrer, der im Schulrat sitzt und nicht mit Namen genannt werden will, „um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen“. Für ihn ist es ein künstlicher Konflikt. Die Haltung der linken Studentengewerkschaft kann er nicht verstehen.
Die Copérnico ist überall in der Region für ihren laizistischen Bildungsansatz – alle integrieren – bekannt. Hier gibt es zu Weihnachten keine Krippe und auch nicht die sonst übliche Dekoration. Die Religionslehrer dürfen die Schule nur in „zivil“ betreten. So wurde zwei Nonnen der Zutritt im typischen Gewand verwehrt. Laut Bildungsgesetz können die Schulen über solche Fragen entscheiden. Den christlichen Religionsunterricht allerdings können die Schulleitungen nicht abschaffen, er ist gesetzlich vorgeschrieben.
Der Schulleiterverband stellt sich hinter die drei Schulen in Parla. Der Streik sei „eine Kampagne, um eine gereizte Stimmung zu erzeugen“ und Probleme zu schaffen, wo es bisher keine gab. Alles begann damit, dass an der Oberschule Narcís Monturiol, die bisher das Tragen des Kopftuchs zulässt, zwei junge Frauen im Burka auftauchten. Es waren kaum die Augen zu sehen, selbst die Hände waren mit Handschuhen bedeckt. Das war der Grund dafür, dass jetzt auch dort über ein Verbot jedweder Kopfbedeckung nachgedacht wird. Hinter vorgehaltener Hand ist davon die Rede, dass alles damit begann, dass die Moschee in Parla einen neuen Iman bekam. Der sei radikaler als der alte.
Debatte geht weiter
An Druck durch den Imam glaubt die Sprecherin der Studentengewerkschaft Del Barrio nicht. Das Tragen eines Kopftuchs oder nicht sei eine „individuelle Entscheidung“. Schließlich wären beim Streik auch Mädchen ohne Hidschab dabei, „um das Recht ihrer Schwestern zu tragen zu verteidigen“. Die öffentlichen Schulen müssten „das Recht auf Bildung verteidigen – egal welcher Rasse oder Religion jemand angehört“, fordert sie etwas, was niemand wirklich infrage stellt.
Zwei Tage nach dem Streik meldete sich die auch ins deutsche übersetzte marokkanischstämmige Schriftstellerin Najat El Hachmi in einer Kolumne in der größten spanischen Tageszeitung El País zu Wort. „Keine Frau wacht eines Morgens auf und beschließt, nie wieder mit unbedecktem Kopf auszugehen und ihren männlichen Begleitern kein einziges Haar zu zeigen“, schreibt die in Spanien aufgewachsene Schriftstellerin.
„Sie fordern das Tragen des vorgeschriebenen Schleiers, eines fundamentalistischen Schleiers, auch wenn die Trägerinnen sich dessen nicht bewusst sind, legitimieren sie einen frauenfeindlichen patriarchalischen Zwang, dessen Ziel es ist, dass wir mit diesem Zeichen, diesem mobilen Gefängnis, durch die Welt gehen“, richtet sie sich an die Studentengewerkschaft, die ihren Kopftuchstreit als feministisch darzustellen versucht.
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