SPD-Abgeordnete gegen Migrationspolitik: „Wir teilen eure Wut“
Die Kritik am sogenannten Sicherheitspaket wächst. Nun üben 35 SPD-Abgeordnete harsche Kritik. Der Kanzler sah seinen Kurs zuletzt bestätigt.
Mit dem Sicherheitspaket wollte die Bundesregierung nach dem Solingen-Attentat, bei dem ein Islamist im August drei Menschen erstach, schnell Härte zeigen. Enthalten sind Verschärfungen in der Asylpolitik, Messerverbote oder mehr Befugnisse für die Sicherheitsbehörden. Im Kabinett wurde das Paket bereits Anfang September beschlossen. Auch im Bundestag sollte es noch im September verabschiedet werden – doch wegen der Kritik soll dies nun erst Mitte Oktober geschehen.
Erst vergangene Woche hatten SPD-Mitglieder um die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, Gesine Schwan, einen offenen Brief veröffentlicht, in dem sie die Vorhaben teils scharf kritisierten. Das Schreiben hat inzwischen mehr als 12.000 Unterzeichnende. Der Brief der SPD-Bundestagsabgeordneten ist nun eine Antwort darauf, unterzeichnet etwa von den Abgeordneten Karamba Diaby, Rasha Nasr, Hakan Demir oder Jan Dieren.
„Wir teilen Eure Trauer, Eure Wut und Eure Zweifel angesichts des aktuellen Diskurses“, schreiben die sozialdemokratischen Parlamentarier*innen „Um es klar zu sagen: Auch wir halten den Kurs, der gerade in der SPD in der Migrations- und Asylpolitik eingeschlagen wird, für falsch.“ Sie bitten die anderen SPD-Briefschreibenden, ihren „Widerspruch aufrechtzuerhalten“.
SPD-Fraktionsspitze will Kritik ernst nehmen
Die Verunsicherung nach Solingen müsse man ernst nehmen, schreiben die Abgeordneten. Es brauche aber Maßnahmen, die „wirklich zu mehr Sicherheit beitragen und nicht Aktionismus sind“. Verschärfungen des Waffenrechts oder Maßnahmen gegen Terrorfinanzierung oder Hasspostings im Internet seien richtig. Man müsse aber „mit Augenmaß vorgehen und verantwortungsvoll zwischen Sicherheit und Freiheitsrechten abwägen“.
Vor allem dürften Sicherheitsfragen „nicht unzulässig mit Migrationspolitik vermischt werden“. Dies suggeriere Zusammenhänge, die es nicht gebe. Migration sei nicht die Ursache von Anschlägen. Wer aber „reflexartig“ mehr Grenzkontrollen, Abschiebungen und Repression in der Migrationspolitik fordere, unterstelle diesen Zusammenhang und verschiebe den Diskurs, so die SPD-Abgeordneten.
Die Gruppe lehnt insbesondere Leistungskürzungen für Dublin-Geflüchtete ab sowie anlasslose Polizeikontrollen, Grenzkontrollen, Zurückweisungen und Inhaftierungen von Geflüchteten an der Grenze oder einen biometrischen Abgleich von Internetdaten, um Geflüchtete zu identifizieren. Diese Punkte versuche man in der SPD-Fraktion noch zu verhindern, heißt es in ihrem Schreiben.
Es brauche vielmehr Islamismus- und Rechtsextremismusprävention oder mehr Demokratiearbeit. Zugleich werde man sich in den Haushaltsverhandlungen dafür einsetzen, dass Mittel für Integrationskurse oder psychosoziale Beratung, anders als bisher geplant, nicht gekürzt werden.
Von der SPD-Fraktionsspitze gab es zunächst keine Reaktion auf den neuen Brief. Fraktionsvize Dirk Wiese hatte zuletzt aber bereits erklärt, man nehme die Kritik am Sicherheitspaket „sehr ernst“ und schaue sich einzelne Punkte nochmal genauer an. „Hier geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit.“ Wiese erklärte aber auch, die Mehrheit der Fraktion stehe hinter den Maßnahmen, die „so schnell wie möglich“ verabschiedet werden müssten.
Ärger über Scholz-Reaktion
Allerdings fordert auch die Grünen-Fraktion Nachbesserungen beim Sicherheitspaket, punktuell auch die FDP-Fraktion. Es stellten sich „zahlreiche, durchaus tiefgehende europa- und verfassungsrechtliche Fragen“, hatte Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz der taz gesagt. Derzeit wird in Kleingruppen zwischen den Ampelfraktionen über Korrekturen verhandelt – auch um Kritik aufzugreifen, die zuletzt Sachverständige bei einer Anhörung an dem Paket geübt hatten.
Zu dem ersten offenen Brief hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) zuletzt über einen Sprecher erklärt, er fühle sich von den Unterzeichnenden „in seinem Kurs bestärkt“, der „ganz klar das Grundrecht auf Asyl“ schütze. Die Initiator*innen reagierten empört: Man bestärke nicht den eingeschlagenen Kurs, sondern appelliere an die SPD-Spitze, diesen Kurs zu verlassen. Auch Juso-Chef Philipp Türmer sagte, der Brief sei „kein Rückenwind, sondern Gegenwind“. Scholz wisse genau, dass sein Kurs „nicht von sozialdemokratischen Werten geleitet ist“.
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