Drohende Kürzungen bei Sprachunterricht: Unternehmen fordern Geld für Integrationskurse
Weil es vorerst keinen Haushalt gibt, könnten Sprach- und Orientierungskurse für Geflüchtete bald stillstehen. Über 500 Firmen warnen nun vor den Folgen.
Der offene Brief an die Mitglieder der Bundesregierung sowie des Haushaltsausschusses liegt der taz vor. Darin heißt es weiter, die Kurse seien wichtig, um Migrant*innen für den Arbeitsmarkt fit zu machen. Die Integrationskurse richten sich sowohl an Geflüchtete als auch an andere Zuwander*innen. Neben Orientierungswissen über die deutsche Gesellschaft werden dabei vor allem Sprachkenntnisse vermittelt.
Nach dem Ende der Ampelkoalition greift nun die vorläufige Haushaltsführung, die den finanziellen Status quo sichert. Basis dafür könnte ein Entwurf für den Haushalt 2025 werden, den die Ampel vorgelegt, aber nicht mehr beschlossen hatte. Darin war für die Integrationskurse und Berufssprachkurse nur noch 500 Millionen Euro vorgesehen, statt wie bisher 1,1 Milliarden. Im parlamentarischen Verfahren hätte sich die Summe noch einmal ändern können. Dazu kam es nun wegen des Endes der Koalition aber nicht.
Durch die Kürzungen drohe ein kompletter Stillstand der Kurse, warnen Trägerorganisationen wie etwa die Volkshochschulen. Diese Gefahr sehen auch die Unternehmen. In ihrem Appell heißt es, um den Wohlstand in „einer wirtschaftlich herausfordernden Zeit zu sichern, benötigen wir qualifizierte und integrierte Fach- und Arbeitskräfte“. Das sei auch wichtig, um der zunehmenden Alterung der deutschen Gesellschaft zu begegnen. „Jeder Mensch, der arbeiten möchte, wird gebraucht.“ Es sei auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt dringend nötig, dass Zugewanderte schnell Deutsch lernen. Das sei der „Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe, Akzeptanz und Zugang zum Arbeitsmarkt.“
Zu den Unternehmen, die unterzeichnet haben, gehört auch das Umweltlabor BVU Bioverfahrenstechnik und Umweltanalytik aus dem bayerischen Markt Rettenbach, das auf die Analyse von Boden, Abfall und Recyclingmaterialien spezialisiert ist. Sigrid Schindele leitet hier den Bereich Personal und Finanzen, das Unternehmen gehört ihr zusammen mit ihrem Mann und zwei ihrer Kinder. Neue Stellen zu besetzen, sei schwierig, sagt sie im Gespräch mit der taz: „Im Unterallgäu haben wir mit 2,3 Prozent die drittniedrigste Arbeitslosenquote in Deutschland.“
Konkurrenz um rare Plätze in den Kursen
Es gebe „nicht nur einen Fachkräfte-, sondern einen ganz generellen Arbeitskräftemangel“. BVU versuche deshalb, sowohl gezielt Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben, als auch Geflüchtete zu rekrutieren, die in dem Kreis untergebracht sind. Schindele schätzt, dass „gut die Hälfte“ ihrer rund 70 Mitarbeitenden nicht in Deutschland geboren ist.
Die Geflüchteten könnten zwar dank Übersetzern auch eingelernt werden, solange sie noch kein Deutsch sprechen, sagt Schindele. Das sei aber sehr aufwändig und dauere lange. Plätze in den Integrationskursen, die Abhilfe schaffen sollen, seien schon jetzt so knapp, dass Schindele zusammen mit anderen engagierten Bürgern und Bürgerinnen selbst Deutschkurse anbiete. „Wir wollen den Menschen, die bei uns Schutz suchen, zumindest die Basis geben, sich zu verständigen und ihren Alltag zu bewältigen.“ Unterricht bei qualifizierten Lehrkräften könne dies aber nicht ersetzen.
Schindele sagt deshalb: „Es braucht mehr Mittel, um diese Kurse auszuweiten und auch berufsspezifische Sprachförderung anzubieten.“ Nur so könne die Integration in den Arbeitsmarkt verbessert werden. Außerdem sei durch die knappen Plätze eine „unschöne Konkurrenz zwischen ukrainischen Geflüchteten und anderen Schutzsuchenden“ entstanden. „Mit der zusätzlichen Aufnahme ukrainischer Geflüchteter hätten dringend auch die Sprachlernangebote aufgestockt werden müssen.“
Mehr Wege auf den Arbeitsmarkt
Von ähnlichen Problemen wie BVU – allerdings in einer anderen Größenordnung – steht auch der deutsche Ableger des Möbelgiganten Ikea. Enita Ramaj, die dort in der Geschäftsführung sitzt, sagt der taz: „Als führendes Einzelhandelsunternehmen sind wir auf Einwanderung angewiesen, um den Herausforderungen des demografischen Wandels erfolgreich zu begegnen.“ Die Integrationskurse spielten dabei eine wichtige Rolle, es gehe um einen „guten und erfolgreichen Start ins Arbeitsleben“.
Ramaj fordert neben der fortgesetzten Finanzierung der Integrationskurse auch weitere Lockerungen bei den Regeln für Geflüchtete. So spricht sie sich etwa für das Ende aller Arbeitsverbote aus, denen Geflüchtete überwiegend in den ersten Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland unterliegen. Auch das von der Ampelkoalition beschlossene Chancenaufenthaltsrecht, das geduldeten Geflüchteten den Weg zu einer Aufenthaltserlaubnis ebnet, solle ausgeweitet werden, so Ramaj.
Verschiedene Statistiken zeigen, dass es in Deutschland einen gravierenden Mangel insbesondere an Fachkräften gibt. Das Institut der deutschen Wirtschaft ermittelte zuletzt eine Lücke von über 500.000 Stellen, die regelmäßig nicht besetzt werden können. Das 2023 von der Ampelkoalition beschlossene Fachkräfteeinwanderungsgesetz zeigt inzwischen zwar erste Effekte, das Problem lösen kann es allein aber wohl nicht.
Zwar lockerte die Ampel die Arbeitsverbote für Asylbewerber*innen leicht, gleichzeitig verschärfte sie aber die Regeln für Geflüchtete an anderen Stellen deutlich. Zuletzt drehte sich die öffentliche Debatte immer wieder um die vergleichsweise hohe Arbeitslosenquote unter geflüchteten Ukrainer*innen in Deutschland.
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