Firmen fordern neue Unternehmensform: Wenn Gewinn nicht alles sein soll
Hunderte Firmen fordern eine neue Unternehmensform, die Profit nicht ins Zentrum stellt. Die Ampel-Koalition ist dafür – eigentlich.
Innerhalb von knapp zwei Wochen hätten sich die Unternehmen auf eine Art symbolische Warteliste setzen lassen, berichtet die Stiftung Verantwortungseigentum, die die Aktion initiiert hat. Bereits vor einem Jahr hatten sich rund 20 Wirtschaftsverbände für die Schaffung einer derartigen Unternehmensform ausgesprochen. Darunter waren unter anderem der Bundesverband mittelständische Wirtschaft, der Bundesverband Deutsche Start-ups und der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft.
Bislang hat das jedoch keine Wirkung gezeigt – und daher drängen die Unternehmen nun. Bei einigen stehe die Zeit für eine Nachfolgeregelung an, so die Stiftung, da komme es darauf an, bald zu handeln. „Da die Nachfolge in der Familie bei uns nicht infrage kommt, haben wir ein Stiftungsmodell versucht umzusetzen und verzweifeln an den Hürden und der Bürokratie“, sagt etwa Gerhard Behles vom Musiksoftwarehersteller Ableton. Eine Gesellschaft mit gebundenem Vermögen wäre für ihn die „perfekte Lösung“. „Es kostet keine Steuergelder, Gesetzentwürfe aus der Wissenschaft liegen vor – worauf wartet die Politik?“
„Wir werden in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen und wollen dabei aber dafür sorgen, dass langfristig die Qualität unserer Produkte erhalten bleibt“, sagt Brigitta Sui Dschen Mattke von Moin Bio Backwaren. Momentan ist das Unternehmen eine GmbH. „Wir brauchen dringend eine neue Rechtsform, die langfristig und sicher garantiert, dass Gewinne dem Unternehmen dienen und Kontrolle weitergegeben werden kann, ohne dass sich die Mitarbeiter einkaufen müssen.“
Mehrere Unternehmer:innen berichten, dass sie keine Erben haben oder diese die Firma nicht übernehmen wollen oder können. Sie möchten dennoch den Kern und den wirtschaftlichen Geist sichern – und fürchten, dass eine klassische Unternehmensform früher oder später dazu kommt, dass die Firma an die Konkurrenz oder Investor:innen verkauft wird.
Momentan sind Umwege nötig
Momentan muss, wer das möchte, Umwege gehen und zusätzlichen Aufwand auf sich nehmen. So hat es beispielsweise der Gründer der Suchmaschine Ecosia gemacht. Ecosia leitet Suchanfragen an Bing oder Google weiter und investiert den Gewinn aus Werbeeinnahmen in Aufforstungsprojekte. Als GmbH gegründet, wurde sie von Gründer Christian Kroll vor einigen Jahren umgewandelt. Eine Stiftung hält nun einen 1-Prozent-Anteil und bestimmte Vetorechte.
Parallel zu der symbolischen Warteliste werben 14 Familienunternehmer:innen in einem Brief an Bundesregierung und Bundestag um Unterstützung für die neue Unternehmensform. Mit dabei sind unter anderem Antje von Dewitz, Geschäftsführerin und Gesellschafterin von Vaude, Miele-Gesellschafter Christian Miele und Michael Otto, Aufsichtsratsvorsitzender Otto Group.
Politiker:innen der Ampel-Koalition hatten sich in der Vergangenheit immer wieder positiv über die Schaffung einer solchen Unternehmensform geäußert – und sie, gemeinsam mit anderen Formen des gemeinwohlorientierten Wirtschaftens, auch im Koalitionsvertrag verankert.
Die Stiftung Verantwortungseigentum hofft indessen auf das „Dynamisierungspaket“, also die aktuellen Verhandlungen in der Bundesregierung für Maßnahmen zur Stärkung der Wirtschaft, in deren Kontext die Schaffung einer neuen Unternehmensform sinnvoll wäre.
Eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums teilte mit, dass derzeit ein Eckpunktepapier zu einer neuen Rechtsform innerhalb der Bundesregierung abgestimmt wird. Ziel sei „eine Rechtsgrundlage, die einen Mehrwert bietet, rechtssicher ist, keinen überbordenden Bürokratieaufwand verursacht und nicht als Steuersparkonstruktion genutzt werden kann“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern