piwik no script img

Flucht übers MittelmeerDie paar Leichen am Strand

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

In Deutschland demonstrieren Hunderttausende gegen rechtsextreme Deportationsfantasien. Zeitgleich stranden Leichen vor Luxushotels in der Türkei.

Das ägäische Meer brandet an die türkische Küste Foto: Pond5/imago

D ie Meldungen häufen sich dieser Tage in den türkischen Medien: Zuerst waren es drei Leichen an Strandabschnitten von Luxushotels in Antalya. Dann kamen weitere im benachbarten Manavgat und Side dazu. Am Montag wurden auch noch zerstückelte Leichen weiter westlich im Bezirk Muğla gefunden. In sechs Tagen sind es nun neun Leichen.

Nach erstem Rätselraten über die Herkunft der Toten haben türkische Forensiker jetzt anhand der Kleidung festgestellt: Bei den Toten handelt es sich wohl – mit einer Ausnahme – um Frauen und Männer, die ursprünglich aus Syrien gekommen sind. Vermutlich Geflüchtete. Und dann äußerte sich auch endlich der libanesische Botschafter in Ankara und sagte den türkischen Zeitungen, dass am 11. Dezember an der libanesischen Küste ein Flüchtlingsboot mit rund 90 Leuten abgelegt habe, zu dem wenig später der Kontakt abgerissen sei. Wind und Strömung der vergangenen Woche sprächen dafür, dass nun, einen Monat später, die Überreste der ertrunkenen Flüchtlinge an die türkische Küste gespült werden. Es können also noch mehr werden.

Bisher war es vor allem Plastik und anderer Wohlstandsmüll, der die Strände der Luxushotels verunreinigte. Jetzt werden menschliche Überreste angespült. Flüchtlinge aus Syrien, im Jahr 2015 in Deutschland noch willkommen geheißen. Grund dafür ist auch die europäische Flüchtlingspolitik. Das sei ja wohl übertrieben, wird es nun in Europa heißen, das will doch niemand.

Im Gegenteil, der Sinn der europäischen Flüchtlingspolitik sei es doch, den Schleusern das Handwerk zu legen. Bei der Premiere des „Caren Miosga“-Sonntagabend-Talks erwähnte Oppositionsführer Friedrich Merz in einem Nebensatz, dass Dänemark mit seiner vorbildlichen Abschottungspolitik auch SyrerInnen wieder abschieben würde. Und auch die AfD betont, der Krieg sei ja vorbei.

Hoffen vor der Urlaubssaison

Dass in Syrien nach wie vor bürgerkriegsähnliche Verhältnisse herrschen und das zerstörte Land seine Bewohner längst nicht mehr ernähren kann, interessiert kaum noch jemanden. Muss man die Leichen vom Strand eben wegschaffen und darauf hoffen, dass, wenn die Urlaubssaison wieder beginnt, keine neuen Leichen angeschwemmt werden.

Welche Konsequenzen der technokratisch-kalte Diskurs über die effiziente Begrenzung der „illegalen Migration“ hat, berührt kaum noch jemanden in Europa.

Seit zwei Wochen wird in Deutschland nun glücklicherweise massenhaft gegen die AfD und die allgemeine Rechtsentwicklung demonstriert. Von so vielen Menschen, dass die Demos abgebrochen werden. Der Grund dafür ist eine Veröffentlichung über ein Treffen verschiedener Rechtsradikaler in Potsdam, wo im Stile der Wannseekonferenz über die Deportation von Millionen Menschen, die den arischen Weißen nicht passen, verhandelt wurde.

Das ist gut und unendlich wichtig. Viele Menschen sind aufgerüttelt und endlich stehen sie auf gegen die rechtsradikalen Abschiebefantasien einer gefährlichen Minderheit. Hoffentlich entsteht daraus eine echte zivilgesellschaftliche Bewegung, die dem Höhenflug der AfD bei den bevorstehenden Wahlen ein Ende bereitet.

Ganz toll wäre es, wenn diese zivilgesellschaftliche demokratische Bewegung sich auch noch daran erinnert, dass es außer den von Rechtsradikalen bedrohten Menschen in Europa auch außerhalb Europas, von den Kriegsgebieten im Nahen Osten bis nach Afghanistan, nach wie vor viele Menschen gibt, die unbedingt unsere Hilfe brauchen, um nicht als Leichen an den Stränden von Luxushotels zu landen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
Mehr zum Thema

45 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Die Festung Europa ist ein widerliches Stück Sche*sse!

    • @NurFürDieKommentareHier:

      Dieses widerliche Stück Schei*sse beherbergt immerhin ein Drittel aller Migranten weltweit - und das, obwohl es nur 9% der Weltbevölkerung stellt... 🤷‍♂️



      Zuwanderungssaldo knapp 1,5 Millionen Menschen pro Jahr - so viel zum Stichwort Festung...



      Die Rechten WÜRDEN Europa gern in eine Festung verwandeln, doch im Moment ist unser Europa noch weit davon entfernt - es liegt an jedem von uns Europa auch in Zukunft weltoffen zu gestalten - Beschimpfungen helfen dabei wahrscheinlich am wenigsten weiter



      www.bpb.de/kurz-kn.../278693/migration/

      • @Farang:

        Die Hauptlasten der Fluchtmigration tragen im globalen Maßstab jedoch immer noch die armen Länder des Südens selbst - es kommt dort nur zu den gleichen restriktiven, inhumanen Reaktionen wie mittlerweile bei uns in Europa. Siehe die beschämenden Vertreibungen der Rohiyinga in Indonesien, siehe die Vertreibung afghanischer Flüchtlinge aus Pakistan im großen Stil.



        Schwerer wiegt dabei nur der Umstand, dass sich die EU und ihre Mitgliedstaaten hinsichtlich von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit derart weit aus dem Fenster lehnen, während es an den Aussengrenzen und im Mittelmeer zu schrecklichen Szenen kommt - von denen angenommen werden muss, dass sie bewusst in Kauf genommen, wenn nicht sogar - wegen des vermeintlichen Abschreckungspotentials - vorangetrieben werden.



        Nur halten diese abschreckenden Maßnahmen niemanden davon ab, auf dem Land- oder Seeweg das sichere Europa erreichen zu wollen. Also muss immer noch weiter “draufgesattelt” werden, was die Restriktionen und die Inhumanität der Maßnahmen betrifft - wie weit soll das eigentlich noch gehen? Bis zur kompletten Preisgabe von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, jedenfalls für bestimmte Menschengruppen? Martin Sellner und alle, die seinen Remigrations-Plänen zustimmen, feixen sich schon jetzt eins.



        Insofern ist die Wortwahl von @NURFÜRDIE KOMMENTAREHIER zwar drastisch, aber durchaus zutreffend.

    • @NurFürDieKommentareHier:

      Sie möchten wohl mit dieser Rhetorik, dass keina reintritt in die Scheisse.



      BedienenSie nicht rechte Narrative.

  • Nicht dass wir noch auf die Idee kommen den Boykott gegenüber Syrien aufzuheben um die Armut dort zu verringern, die Leichen am Strand können wir doch eher verschmerzen.



    Ironie off.

    • @AndreasHofer:

      Zwischen Plastik-Müllbergen am Strand in der Sonne zu braten, ist ohnehin des deutschen Michels liebstes Urlaubsvergnügen. Pauschaltourismus. Wenn zum All-Inclusive-Angebot jetzt noch ein paar angeschwemmte Leichen dazu kommen … wird das den teutonischen Touri auch nicht vom wohlverdienten Türkei-Urlaub abhalten.



      Kinners, und wir haben seinerzeit noch allen Ernstes darüber diskutiert, ob man in der Türkei überhaupt Urlaub machen könne - wegen der politischen Verfolgung von Kurden und Oppositionellen dort. Wie sich die Zeiten ändern.

    • @AndreasHofer:

      Die Leute, die von dort abhauen, hauen nicht ab, weil sie Assad-Loyalisten sind, die nur wegen dem "Boykott" (was genau ist damit gemeint?) nix zu beißen haben.

    • @AndreasHofer:

      Genau,



      Der nette Herr Diktator hat sich bestimmt gebessert und Sanktionen machen ja keinen Sinn .



      Ironie off

  • "Dass in Syrien nach wie vor bürgerkriegsähnliche Verhältnisse herrschen und das zerstörte Land seine Bewohner längst nicht mehr ernähren kann, interessiert kaum noch jemanden"

    Die Bericherststtung hierzu ist mehr als dürftig. Daher ist das kaum bekannt und interessiert daher nur wenige *Aus den Augen).



    Die TAZ ist hier leider keine Ausnahme.

    • @Demokrat:

      Entscheidungen ob ein Herkunftsland/Ort "Sicher" oder "Unsicher" ist entscheidet aber nicht die Öffentlichkeit und somit auch nicht die Berichterstattung darüber.

      Die zuständigen Behörden müssten ihre eigenen Informationsquellen und Kriterien haben. "Müssten" diese zumindest, es wirkt eher als würden Lose gezogen, oder Strohhalme.

      Natürlich spielt das öffentliche Interesse eine Rolle und kann Einfluss nehmen.

      Wie ein großer Teil der Bevölkerung über "Kulturfremde" Flüchtlinge denkt, wissen Sie sicher.

      Ich denke das ist ein weiterer wichtiger Faktor neben den vielen neuen/alten Kriesen die "ablenken".

    • @Demokrat:

      Man sollte den Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine nicht aus den Augen verlieren. Der Schlächter Assad ist auch mit der militärischen Unterstützung Russlands immer noch an der Macht.



      Von daher sehe ich ihre Kritik nicht so scharf.

  • Wenn eins unmoralisch ist, dann ist des dieser moralische Maximalismus. Es gibt den guten und ethisch verpflichtenden Grundsatz, dass man nichts versprechen darf, was man nicht halten kann. Und es ist leider eine Tatsache, dass die europäischen Demokratien nicht allmächtig und voll unerschöpflicher Möglichkeiten sind.

    Es gibt zu wenig Wohnraum, das ist eine Tatsache. Das Schulsystem wird immer schlechter und ist mit den pädagoischen Herausforderungen, die durch die Integraton der Zuwanderer entstehen, überfordert. Auch das ist eine Tatsache. Beides liegt nicht daran, dass Finanzmittel ungerecht verteilt sind, sondern daran, dass es in Deutschland einfach nicht die entsprechenden menschlichen und organisatorischen Ressourcen gibt, um das zu ändern.

    Diese Fakten belasten vor allem Familien mit geringem Einkommen. Menschen mit gutem Einkommen, gesichertem Wohraum, die nicht die Verantwortung für mehrere Kinder zu tragen haben, können ganz leicht den Moralapostel spielen. Mit moralischen Verhalten, oder gar mit Problemlösung hat das aber nichts zu tun.

    • @Breitmaulfrosch:

      Nichts ist einfacher, sich selbst über andere zu stellen, als sich moralisch zu überhöhen und/oder andere moralisch zu erniedrigen. Es kostet absolut nichts (abgesehen von der dazu erforderlichen Denkleistung).

    • @Breitmaulfrosch:

      Der Europäische Kontinent ist nicht allmächtig aber finanziell einer der Stärksten Staatenbunde der Welt.

      Das Geld für Integration und Schulbildung fehlen, ist nicht die Schuld von Flüchtlingen.

      Es wird Einwanderung benötigt, das ist eine Tatsache.

      "Es fehlene menschliche und organisatorische Ressourcen"

      Ja, aber es fehlt halt auch "Digitalisierung" die könnte Druck nehmen vom Kessel.

      Es fehlt auch Pragmatismus.

      Asylbewerberin hat Arbeit, Ausbildung oder Studienplatz => Aufenthaltsrecht.

      Kein Verbot für Suche nach Arbeit, unabhängig von der Wahrscheinlichkeit auf Schutzstatus.

      Auch das könnte einiges an Arbeit ersparen, weil Verfahren vereinfacht werden.

      Man könnte in 24h die Frist der Duldung verlängern und damit die Anzahl der Termine verringern.

      Man könnte vieles machen.

      Man müsste nur wollen.

      Und das ist der Knackpunkt.

      Vll. will man das "Problem" ja gar nicht lösen.

      "noch nicht"

      Deutschland und der Rest der überalternden EU Greise werden noch umdenken, wenn es wirklich garnicht mehr anders geht und ernste wirtschaftliche Schäden entstehen.

    • @Breitmaulfrosch:

      Danke für den Kommentar, dann kann ICH mir das Schreiben sparen.

    • @Breitmaulfrosch:

      Danke für ihre Worte!

    • @Breitmaulfrosch:

      "Es gibt den guten und ethisch verpflichtenden Grundsatz, dass man nichts versprechen darf, was man nicht halten kann."

      Sie verwecvhseln eine "Binsenweisheit" mit einem "guten und ethisch verpflichtenden Grundsatz".

  • Im Artikel kommt der Begriff "arisch" vor, sogar ohne Anführungsstriche. Die Nazis haben diesem Begriff die Bedeutung "von deutscher Rasse" gegeben. Tatsächlich bedeutet er etwas ganz anderes (siehe Wikipadia). Eine deutsche Rasse gibt es ebenso wenig, wie deutsches Blut.

  • Danke für diesen Beitrag. Genau so ist es.

    Und den Leuten, die jetzt sagen "aber Recht und Moral muss man auseinanderhalten": genau so sind die übelsten Unrechtsregimes unserer jüngeren Geschichte begründet worden.

    Denen die sagen: "die Mehrheit will das so": die Mehrheit wollte auch den totalen Krieg.

    • 6G
      665119 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      Und Abschaffung aller Grenzen und Nationastaaten ist Moral, alles andere Unmoral?

    • @tomás zerolo:

      "die Mehrheit wollte auch den totalen Krieg." (Tomas Zerolo)



      Bei aller Sympathie: Das ist aber nun definitiv falsch. Und das wissen Sie auch.



      Leicht zu ermitteln: Wer hat wann bei welcher Gelegenheit diese Frage gestellt? Göbbels im Sportpalast 1943, im Rahmen einer Veranstaltung der NSDAP, also ans eigene Parteivolk gerichtet - und auch da nur an den dort versammelten Teil des selben.



      Das deutsche Volk wurde da keineswegs gefragt. Deswegen ist davon auch keine "Mehrheit" abzuleiten.

  • 6G
    692662 (Profil gelöscht)

    Deutschland spielt in der Asyl- und Migrationspolitik traditionell das Spiel, dass man auf die Einhaltung von Grundrechten stolz ist, aber alles tut, damit sie niemand einfordert.

    • @692662 (Profil gelöscht):

      Wer tut was?

  • Eine vernünftige Diskussion über diese tragischen Ereignisse kann man nur führen, wenn man dabei Recht und Moral auseinanderhält, Wunsch und Wirklichkeit und die Sachverhalte/Zusammenhänge richtig benennt, also auf (gezieltes) Framing verzichtet.

    Es existiert (bislang) kein Recht auf weltweite Freizügigkeit, also darauf, in einen Staat der eigenen Wahl einreisen und sich dort niederlassen zu dürfen. Und ich kenne auch keinen Einzelstaat, der allen Menschen ein Einreise- und Niederlassungsrecht gewährt. Weltweit weitgehend anerkannt ist nur, dass Menschen in lebensbedrohlichen Situationen (individuelle Verfolgung, Krieg/Bürgerkrieg, etc.) Grenzen anderer Staaten ohne Genehmigung überschreiten dürfen, um sich in Sicherheit zu bringen. Nur für diese Menschen treffen Begriffe wie Flüchtlinge, manchmal auch Asylsuchende oder (generell) Schutzsuchende zu, allerdings nur bis sie die erste erreichte Grenze überschritten haben, hinter der der benötigte Schutz gewährleistet werden kann. Alle Staaten, die diese Schutzrechte anerkannt haben, sind verpflichtet, den entsprechenden Schutz (inkl. "ortsüblicher" Versorgung) zu verwirklichen. Bei uns sind derartige Schutzrechte Bestandteil der Verfassung.

    Für Menschen, die sich aus anderen Gründen auf den Weg machen (Armut, Perspektivlosigkeit), gibt es keine vergleichbaren Rechte, auch nicht in unserer Verfassung. Zu ihnen zählen übrigens auch Geflüchtete, die (formal) längst anderswo in Sicherheit waren. Man kann das moralisch bedauerlich oder gar verwerflich finden, aber es ist die Rechtslage.

    Soweit es die Umfragen der letzten Monate hergeben, steht eine deutliche Mehrheit im Land (rund zwei Drittel) zu den Rechten der Schutzsuchenden (Nothilfe), allerdings lehnt eine noch größere Mehrheit (rund drei Viertel) eine darüber hinaus gehende Zuwanderung (als soziale Hilfe) ab. Ein Viertel davon tummelt sich am rechten Rand. Den anderen (der Hälfte der Bevölkerung) sollte man zuhören, wenn man das Problem wirklich lösen will.

    • @Al Dente:

      Das haben sie extrem vereinfacht. Im iranischen Rechtssystem ist eine Frau nur die Hälfte wird, selbst bei einer Vergewaltigung gibt es juristische Hürden, die den Schutz der Menschenwürde erheblich in Zweifel ziehen, die Unterdrückung von Frauen ist dort so extrem, dass sich die Frage stellen könnte, ob es durchführbar ist, eine Frau in den Iran abzuschieben. Auch wenn sie arm und dort perspektivlos war, wenn sie vielleicht im Kern für sich nur ein besseres Leben wünscht, was auch immer das sein kann. Und dann stellt sich natürlich die Frage, ob man unsere rechtsstaatlichen Prinzipien so einschränken kann, dass Schnellverfahren und Rückführungen machbar sind. Das würde eben bedeuten, dass möglicherweise auch Fehler passieren, Menschen rückgeführt werden, die dann gefoltert oder hingerichtet werden. Pakistan schiebt auch ehemalige Beamte und Soldaten nach Afghanistan ab, egal ob die dort ein hohes Risiko haben, gefoltert oder hingerichtet zu werden. Ob so eine Praxis für Deutschland gangbar wäre? Da habe ich erhebliche Zweifel, auch wenn die afghanischen exhemaligen Soldaten arm und perspektivlos in Afghanistan und/oder Pakistan wären.

    • @Al Dente:

      Artikel 1 Grundgesetz (GG)



      Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.



      Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.



      Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

      • @Andreas J:

        Die "unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte" sind eben genau nicht jene, die ich aufgrund meiner eigenen Moralvorstellungen dafür halte. Und sie stammen auch nicht von einer obersten moralischen Instanz, denn eine "richtige", "wahre" Moral gibt es überhaupt nicht. Der Artikel 1 des GG nimmt Bezug auf genau jene Rechte, auf die sich die Staatengemeinschaft bislang einigen konnte und jene, die wir in nachgeordneten Artikeln oder Gesetzen selbst hinzugefügt/präzisiert haben. Die eigene Moral kann man niemandem verordnen. Und die "öffentliche" Moral ist eine mehrheitlich akzeptierte Konvention.

      • @Andreas J:

        Schön geschrieben, aber keines dieser Grundsätze wird beschnitten. Lediglich individuell ausgelegt kann man dieses anzweifeln.

        Durch Abschiebung wird die würde nicht angetastet, genauso wenig die Menschenrechte.



        Denn da heißt es in Art. 14 der Menschenrechtskonvention:



        1. «Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgungen Asyl zu suchen und zu geniessen.»

        2. «Dieses Recht kann jedoch im Falle seiner Verfolgung wegen nichtpolitischer Verbrechen oder wegen Handlungen, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstossen, nicht in Anspruch genommen werden.»

        • @Walterismus:

          Da wird relativiert was in Artikel 1 Grundgesetz (GG) steht oder entspricht eine Abschiebung in ein Leben bitterer Armut für sie irgendwie den Menschenrechten?



          Genauso wenig sorgen wir aus Kapitalinteressen für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt. Das eine führt zum Anderen. Erst durch Ausbeutung ihnen die Lebensgrundlagen entziehen und dann Abschieben wenn sie aus Not unter Lebensgefahr nach Europa kommen. Heuchelei.

          • @Andreas J:

            "Da wird relativiert was in Artikel 1 Grundgesetz (GG) steht (...)"

            Das "relativiert" nicht, was in Artikel 1 des GG steht, sondern Ihre individuelle Interpretation davon.

            Menschenrechte sind (leider) keine Naturgesetze. Es gibt sie nur dann und darum, wenn/weil Menschen sie "irgendwie" vereinbaren.

            Ich gehe davon aus, dass alle an dieser Diskussion beteiligten Menschen eine eigene (und teilweise voneinander abweichende) Vorstellung davon haben, welche Rechte für sie dazu gehören sollen. Aber wessen Vorstellung soll/darf/"muss" dann gelten?

            In demokratischen Gesellschaften kann man das nur demokratisch "verhandeln". Das Ergebnis muss nicht jedes Gesellschaftsmitglied zufrieden stellen, bedarf aber zumindest einer mehrheitlichen Akzeptanz.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Al Dente:

      „Weltweit weitgehend anerkannt ist nur, dass Menschen in lebensbedrohlichen Situationen (individuelle Verfolgung, Krieg/Bürgerkrieg, etc.) [....] Grenzen anderern Staaten [....] überschreiten dürfen, um sich in Sicherheit zu bringen. Nur für diese Menschen treffen Begriffe wie Flüchtlinge, manchmal auch Asylsuchende oder (generell) Schutzsuchende zu, "



      Na, welch ein „Glück" für die Staaten „unserer" Region. So können sie Armuts-Migration ja weiterhin ignorieren. Für die Ursachen sind sie doch allenfalls „moralisch" verantwortlich.



      Als das Grundgesetz der damaligen BRD verfasst wurde, waren Migration wegen Hunger (kann lebensbedrohlich sein), und Klima etc nicht von Bedeutung. Vielleicht benötigt die Verfassung ein Update? Vielleicht sollte z.B. die EU vorausschauend einen Plan entwickeln, wie sie den zu erwartenden Ansturm von Klimaflüchtlingen human bewältigen kann?



      [kann Spuren von Sarkasmus enthalten]

      • @95820 (Profil gelöscht):

        Gewagte Behauptung das beim verfassen des Grundgesetztes Flüchtlinge wegen Hunger noch keine Bedeutung hatten. Ich denke sie waren den Verfassern wenigstens denkbar. War ja nur kurze Zeit nach dem Hungerwinter in Deutschland und die ersten Hungersnöte in der UdSSR hatten auch schon eingesetzt.



        Ich fände es daher spannend auf welcher Grundlage Sie ihre Aussage treffen.

        • @Choronyme:

          Menschen, die aus Kriegsgebieten fliehen (->Syrien) fliehen nicht, um hier die Fettlebe zu haben, sondern aus Todesangst.

          Und die derzeitige Asylgesetzgebung wird diesen traumatisierten Menschen weitere Menschenrechte entziehen, als ob es nicht schon schlimm genug stände um die Art, wie hier mit ihnen umgegangen wird.

          Und dahinter stehen alle politischen Parteien außer den Linken. Da brauchts keine AfD mehr für rassistischen Fremdenhass. Und rassisitisch ist er, was man am Beispiel, der ukrainischen Geflüchteten sehen kann, um die hier ein Bohai gemacht wird, den sich z.B. afghanische Menschen, die von unserer Regierung in Afghanistan angestellt wurden, nur wünschen können. Falls sie noch leben, nachdem wir sie dort im Stich gelassen haben.

          • @Jalella:

            Mein Kommentar zielte eigentlich darauf ab, die Diskussion/Berichterstattung über Migration von Framing und Narrativen zu befreien.

            Die Menschen, die kommen, haben nicht alle die gleichen Gründe oder Bedürfnisse. Manche müssen wir befriedigen! Andere können wir befriedigen, wenn wir es denn (mehrheitlich) wollen. Und darüber müssen wir offen mit all jenen reden, die mit unseren bestehenden Verpflichtungen keine Probleme haben. Anders kommen wir in einer Demokratie nicht weiter.

            Wenn sie meine persönliche Meinung zu einem Ihrer Beispiele hören wollen: Der Umgang unseres Landes mit den ehemaligen Ortskräften in Afganistan ist für mich völlig inakzeptabel.

          • @Jalella:

            "Menschen, die aus Kriegsgebieten fliehen (->Syrien) fliehen nicht, um hier die Fettlebe zu haben, sondern aus Todesangst."

            Das gilt, wie von Al Dente, auch schon erwähnt, nur bis zu dem Zeitpunkt ab dem man das erste mal in Sicherheit ist. Viele Syrer sind aber eben nicht nur in sichere Nachbarländer geflüchtet, sondern durch X sichere Staaten, um dann in einem EU Staat Asyl zu beantragen. Glauben Sie ernsthaft das der Grund dann immer noch Todesangst ist?!

            • @Julius Anderson:

              "Viele Syrer sind aber eben nicht nur in sichere Nachbarländer geflüchtet, sondern durch X sichere Staaten"

              Was wissen Sie über die türkische Textilindustrie?

              Ich sags mal so:

              Kinder sind toll. Kinder brauchen wenig zu essen und haben so schön zierliche Hände. Wie beim Teppichknüpfen.



              Kinder in der Näherei sind einfach unschlagbar.

    • @Al Dente:

      Die Trennung zwischen Recht und Moral gibt es so nicht, sie argumentieren eher, rechtspositivistisch, für amoralisches Recht. Diese Menschen verdienen Schutz, und nicht den Tod im Mittelmeer.

      • @Ibrahimo:

        " amoralisches Recht" ???

        Jene Menschen, die das Recht formuliert haben, und jene, die es letztlich beschlossen haben, hatten alle individuelle Moralvorstellungen. Und jener Teil dieser Moralvorstellungen, auf die sie sich einigen konnten, ist dann auch in das Recht eingeflossen. Recht schafft zwar keine absolute Gerechtigkeit, aber ohne das Ziel, die Gerechtigkeit zu verbessern, macht es wenig Sinn.

        Das gültige Recht ist somit verbunden mit der Moral derer, die es geschaffen haben.

        Aber welche/wessen Moral soll/darf/muss den gelten?

    • @Al Dente:

      "Es existiert (bislang) kein Recht auf weltweite Freizügigkeit"

      Aber so etwas wie unterschiedliche Belastbarkeit, Bevölkerungsdichte.

      Die EU ist ein Primekanditat.

      Alternde Bevölkerung, Arbeitskräftemangel (nicht nur in De).

      Und außerdem tragen wir eine deutlich größere Verantwortung, denn die Waffen wurden wo produziert?

      Ist es nicht unser Bündnisspartner der vor Ort aktiv vertreibt und Krieg führt?

      • @sociajizzm:

        "Aber so etwas wie unterschiedliche Belastbarkeit, Bevölkerungsdichte."

        Was hat das mit dem Thema zu tun?

        "Alternde Bevölkerung, Arbeitskräftemangel"

        Wer Arbeitskräfte sucht, hat auch bestimmte Vorstellungen, und wählt sich unter den verfügbaren möglichst jene aus, die diesen am besten entsprechen. Migranten die ohne vorherige Erlaubnis einreisen (ob Flüchtling oder nicht), kann man sich nicht aussuchen. Daher ist nicht zu erwarten, dass Fluchtmigration ein Arbeitskräfteproblem löst (es kann mal zufällig passieren, aber darauf rechnen kann man nicht).

        "tragen wir eine deutlich größere Verantwortung, denn die Waffen wurden wo produziert?"

        Wenn Sie die Waffen in Bürgerkriegen meinen: Russland, China, Iran, ehemalige Ostblock-Staaten, Pakistan, Türkei, vor Ort?

        Warum sollte eigentlich aus der Produktion allein eine Verantwortung herrühren? Ist denn der Hersteller von Computern verantwortlich für den Schaden, den Hacker anrichten?

        "Ist es nicht unser Bündnisspartner der vor Ort aktiv vertreibt und Krieg führt?"

        Wen meinen Sie denn? (Bitte auch Benennung des Bündnisvertrages!)

  • Angst und Hass schlagen Mitgefühl.

    Das war um die 30er Jahre schon so und biologisch sind wir ja die selben Menschen.

    Nur wird der Hass, Hetze und Resentiments nun auch durch Algorithmen auch möglichst optimal verbreitet.

    Das da Menschen wie du und ich im Mittelmeer ertrinken, das geht unter.

    Auch viele nüchterne Tatsachen, wie das wir mehr Einwanderung benötigen.

    Oder die Schuldenbremse die sich äußerster Beliebtheit erfreut. Makroökonomisch ist das Gesetz ein völliges Desaster.

    Wir hatten noch nie so viel Wissen zur Verfügung und so viel Dessinformation und Ablenkung zur gleichen Zeit.

    • @sociajizzm:

      Ja, und

      "Wir hatten noch nie so viel Wissen zur Verfügung und so viel Dessinformation und Ablenkung zur gleichen Zeit."

      kann man nur doppelt und dreifach unterstreichen.

      Um Postmans These zu paraphrasieren: wir informieren uns zu Tode.

  • "Hoffentlich entsteht daraus eine echte zivilgesellschaftliche Bewegung, die dem Höhenflug der AfD bei den bevorstehenden Wahlen ein Ende bereitet.". Ich befürchte ja, dass es genau wie alle anderen furchtbaren Katastrophen wieder untergeht und genau wie im Fall der Flüchtlinge keine Sau mehr interessiert. Traurig aber so sind wir Menschen!

  • von dieser moralischen position kann kein mensch dieser welt den autoren kippen. da, wo er sich befindet, gibt’s sonne satt.



    so hat sich - um den verlgeich des autoren mal aufzugreifen - wahrscheinlich mehr als die hälfte der menschen auf den demos gefühlt, die mit gezückten handys ihre dauerselfies vor großartiger menschenkulisse im livestreammodus gleich in die sozialen datenmeere gespült hat.



    leider löst das allzumenschliche wort des sonntags des herrn autoren ebensowenig die krisen der realität wie es die habituelle selbstvergewisserung der mitlaufenden tut.



    die größere der massen sitzt eh träge am fernsehapparat und erhebt den müden hintern bloß, um bei der nächste waaahhhhhl ihr kreuzchen bei den rechten zu machen. und wenn die erstmal an der macht sind, schwenken die lobbyisten reflexartig zum diesem playerchen. die bewährte klientelpolitik wird sicher nicht angerührt.



    wäre schön, wenn das kommentare in den internetzeitungen tun würden. die jedoch, so scheints, sind eher für die verteilung des schlechten gewissens da - bei gleichsamer ergötzung an ihrer immer güldener werdenden feder.

    • @peanuts:

      wenn sie ich schon angesprochen fühlen, dann sollten sie doch wenigstens honorieren, dass solche Kommentare und grundgesetzlichen Rückhalt in unserer gesellschaft erhalten. Dazu gehört eben auch gerade die moral. ohne diese gäbe es kein grundgesetz. es ist geradezu ein positives feedback der gesellschaft, wenn diese gegen unmoralische denkstrategien vorgeht und wenn es der demokratiche akt der demonstration ist. das hat mehr einflus und wirkung als sie es wahrhaben wollen.