Linke Parteien in der Krise: Das böse Erwachen
Die moderat linken Parteien Europas stecken in der Krise. Daraus lässt sich lernen: Solides Regierungshandwerk ist besser als zu viel Sendungsbewusstsein.
A ls Lars Klingbeil ein „sozialdemokratisches Jahrzehnt“ ankündigte, klang das übermütig, ja großsprecherisch. Aber entlegen war die Idee nicht. Der Neoliberalismus ist ein Untoter. Die Versprechungen grenzenloser Freiheit, die Feier des Ichs und des Marktes haben nach dem Finanzcrash 2008 und erst recht nach der Pandemie an Leuchtkraft verloren. Wenn das Dach brennt, ist nur auf einen Verlass: den Staat.
Das 750-Milliarden-Euro-Post-Corona-Paket in der EU fegte das in Deutschland lange heilige Credo hinweg, dass es nie gemeinsame Schulden in der EU geben wird. Auch in der Klimapolitik ist der Staat als zentrale Agentur, die die Investitionsströme lenkt, unverzichtbar. Sogar die zombiehafte FDP machte den Weg frei, um 60 Corona-Milliarden für Klimapolitik zu mobilisieren. Je mehr Krise, desto mehr Staat.
Eigentlich sind das Zeiten, in denen moderat linke Parteien gebraucht werden, die sozial verträgliche ökologische Reformen mit Etatismus, soziale Sicherheit mit maßvoller Gleichstellungspolitik zu einem recht hübschen Strauß zusammenbinden. Oder: Es müssten gute Zeiten sein. Es gab zwar Erfolge linker Bündnisse in Portugal, Spanien und Finnland. Aber der Wind hat sich gedreht und bläst scharf in die Gegenrichtung. In Finnland wollen Konservative mit Rechtspopulisten regieren.
In Schweden lassen sich Konservative von Rechtspopulisten tolerieren. In Italien stützen Konservative eine Postfaschistin. Der Traum von einem von Mitte-links regierten Reform-Europa wird gerade von einer dunklen Wolke verdrängt – nämlich einer EU, in der Konservative Rechtspopulisten beim Aufstieg zur Macht freundlich die Leiter halten. Wenn dieser Trend so bleibt, wird es bei der Europawahl 2024 für alle links der Mitte ein böses Erwachen geben.
Too woke to win?
Warum die Erfolge der Rechten, in einer eigentlich für Linke günstigen Zeit? Ein Grund ist vielleicht – too woke to win. Das legt Spanien nahe. Dort regiert der Vorzeige-Sozialdemokrat Pedro Sánchez im Bündnis mit Podemos. Die soziale Bilanz passt in das etatistische Anforderungsprofil. Mindestlohn und Rente wurden erhöht, die Energiepreise schon gedeckelt, als die Grünen in Berlin noch an der Gasumlage werkelten. Spanien hatte schon eine Übergewinnsteuer, als die Ampel noch nicht wusste, dass es so was gibt.
Dass die spanische Linke gerade in den Regionalwahlen mit wehenden Fahnen untergegangen ist, hat andere Gründe. Eine forsche Podemos-Ministerin startete schwungvoll mit woken Themen und einem neuen Sexualstrafrecht („Nur ja heißt ja“) – und scheiterte. Das Gesetz provozierte einen Kulturkampf. Außerdem war es handwerklich von zweifelhafter Güte. Dutzende Sexualstraftäter kamen unverhofft auf freien Fuß. Am Ende beschlossen die entnervten Sozialisten zusammen mit den oppositionellen Konservativen gegen Podemos ein verändertes Sexualstrafrecht.
Das erinnert ein kleines bisschen an das hiesige Heizungsgesetz. Viel Sendungsbewusstsein gepaart mit übersichtlichen Fähigkeiten, ein einleuchtendes Gesetz vorzulegen, ergeben eine ungünstige Mischung. Sie wirken wie eine Einladung an rechte Medien und Parteien, aus Sachthemen (wie schützt das Gesetz Frauen am besten vor Übergriffen? Wie heizen wir klimaneutral?) Kulturkämpfe gegen grüne/ woke/ feministische Eliten und linke Regierungen zu machen. Kleiner Spoiler: Solche Kämpfe verlieren linksliberale Regierungen in der Regel.
Veränderungsmüdigkeit sollte berücksichtigt werden
Daraus lässt sich lernen, dass man mit langweiligem, solidem Regierungshandwerk weiter kommt als mit Moralfanfaren. Und mit sozialem Ausgleich besser fährt als mit Themen, die zur Gut-Böse-Frage hochgejazzt werden können. Jedenfalls wenn man nicht in Schönheit und Bitternis untergehen will.
Europa ist ein alter Kontinent. Das Durchschnittsalter liegt bei 45 Jahren (in Indien bei 28, in den USA bei 38). Ältere Gesellschaften sind Neuem gegenüber etwas reservierter und schneller überfordert. Es war kein Zufall, dass besonders ältere Deutsche mit Panik auf das Heizungsgesetz reagierten. Das ist ein zarter Hinweis darauf, dass linke Reformpolitik ihre Ziele im Auge behalten sollte, aber Tempo und eine allzu fordernde Rhetorik (wir retten hier die Welt, also stellt euch nicht so an) etwas herunterdrosseln sollte. Verlangsamung ist zwar eine klassische konservative Attitüde, die zur linken Fortschrittsidee nicht passt. Aber langsam ankommen ist besser als schnell scheitern.
Zudem gibt es nach Corona, Energiekrise, Inflation ja nicht nur die Sehnsucht nach einem schützenden Staat, sondern auch eine gewisse Veränderungsmüdigkeit. Die sollten linke Regierungen einpreisen. Sonst steht uns kein sozialdemokratisches, sondern ein rechtskonservatives Jahrzehnt bevor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen