Europas Afrika-Politik: Den Postkolonialismus überwinden!

Die päpstliche Forderung, von Afrika die Hände zu lassen, ist zu kurzsichtig. Stattdessen gilt es Hand in Hand die Folgen der Ausbeutung anzugehen.

Eine Frau mit Helm steht auf einem Dach das mit Solarpanele ausgestattet ist

Eine Studentin prüft Solarpanels auf dem Dach an der Strathmore University in Nairobi Foto: imago

„Hände weg von Afrika!“ Der Beifall von Millionen Menschen im Kongo und von Katholik.innen in ganz Afrika ist dem Papst für diesen Ruf an die Welt gewiss. Und man mag dem Appell, sich von der kolonial geprägten Afrika-Politik zu verabschieden und die Ausbeutung des Kontinents zu beenden, von ganzem Herzen zustimmen. Zumal Afrika im Kontext des Ukraine-Krieges verstärkt wieder nur auf eine alternative Adresse für Rohstoffe reduziert wird. Und trotzdem regt sich Widerspruch.

Denn welch paternalistische Attitüde steckt da dahinter! Die päpstliche Forderung setzt genau jene kolonialistische Perzeption Afrikas als Opfer und als Rohstofflieferant fort. Und wenn Franziskus dem anfügt, Afrika „möge Gestalter seines Schicksals sein“, klingt die wohlmeinende Hoffnung obendrein noch zynisch. Das Schicksal haben die Kolonisatoren über die letzten beiden Jahrhunderte geformt. Dieses Erbe lässt sich nicht leicht abschütteln.

Nicht „Hände weg von Afrika“ muss es heißen, sondern „Hand in Hand in Afrika – und zwar zügig“. China baut im Wissen um den geopolitischen Wettkampf mit den USA seine wirtschaftliche Verankerung und den entsprechenden politischen Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent längst gewissenhaft und skrupellos aus. Der politische Westen dagegen hat keine gemeinsame Strategie. Die USA sind auf den Pazifikraum konzentriert.

Die EU überschüttet den Kontinent geradezu mit Initiativen, vom Paternalismus hat man sich in Europa noch nicht verabschiedet. In der neuen Afrika-Strategie des Entwicklungsministeriums in Berlin findet sich zwar der Ansatz einer partnerschaftlichen Entwicklung. Doch als der Bundeskanzler im Dienste der Ausbeutung senegalesischer Gasfelder bei seinem Afrika-Besuch einen Stopp in Dakar einlegte, stand das gewiss nicht im Vordergrund.

Gigantisches Entwicklungspotenzial

Afrika hat bald 1,4 Milliarden Einwohner und Einwohnerinnen. Die Bevölkerungszahlen steigen weiter steil an. Afrika hat eine extrem junge und immer jünger werdende Bevölkerung, die besser gebildet sein wird als die Generationen davor. Das kann man auch als gigantisches Entwicklungspotenzial begreifen. Selbstverständlich sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern Afrikas gravierend. Doch da entstehen wirtschaftliche Wachstumszentren, von denen in Deutschland vermutlich kaum jemand je etwas gehört hat.

Man kann auf den leidenden zurückgebliebenen Kontinent blicken. Man kann in der vertrauten Pose bleiben und in der aktuellen Energiekrise Rohstoffe aus Afrika importieren. Aber wäre die Vision eines jungen aufstrebenden Kontinents, der uns vormacht, wie grüner, klimaschonender Fortschritt geht, nicht viel verlockender? Der größte Anteil der afrikanischen CO2-Emmissionen stammt aus dem Agrarbereich, aus der Entwaldung, dem Verwenden von Kohle und Kerosin im häuslichen Bereich.

Etwa 600 Millionen Menschen in Afrika haben keinen Zugang zu Strom. Eine nachhaltige Strategie in der Bekämpfung der Energiearmut würde zu mehr Klimaschutz und dem Entstehen neuer Branchen vor Ort führen. Durch die Erderwärmung und die mit dem Ukrainekrieg explodierenden Lebensmittelpreise verschlechtern sich die Lebensbedingungen für die ärmeren Familien weiter. Allein in Ostafrika hungern Millionen, und der Hunger treibt viele Menschen zur Migration.

Eine partnerschaftliche, Grenzen überwindende Agrarstrategie könnte eine global stabilisierende Wirkung entfalten. Zugegeben: die weit verbreitete Korruption, gravierend unterschiedliche Bedingungen in den einzelnen Ländern und die innerafrikanische Kolonialgeschichte stehen dem genauso entgegen wie Bürgerkriege. Doch wer hat den Kontinent denn dorthin gebracht? Die Strategie muss sein, eine nachhaltige, stabile Wirtschaft zu fördern, die allen zugutekommt.

Dafür muss Europa den Mittelmeerraum annehmen und Afrika als gemeinsames Projekt begreifen. Alleingelassen, unter dem Motto „Hände weg von Afrika“, dem „Gestalter seines Schicksals“, würde sich die Krise in vielen Teilen Afrikas weiter zuspitzen. Die Kolonialstaaten tragen mit ihrer fossilen Industrialisierung eine doppelte Verantwortung, dem Kontinent den Sprung zu ermöglichen.

Das wird jedoch nur funktionieren, wenn man sich von der postkolonialen Arroganz trennt; wenn der Globale Norden seinen Verpflichtungen vom letzten Klimagipfel nachkommt, wenn Deutschland auch 100 Milliarden für eine Afrika-Strategie zur Verfügung stellt; wenn Finanzinstitutionen trotz niedriger Bonitätsratings bessere Konditionen bieten. Ziel muss eine nachhaltige Entwicklung sein, mit der Afrika mittelfristig der Sprung in die moderne, postkarbonisierte Weltwirtschaft gelingt.

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taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.

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