„Instant Fiction“ im ZDF: Spiegel des Jetzt

Die „Instant“-Serie „Himmel und Erde“ erzählt Geschichten über Ukrai­ne­r*innen in Deutschland. Hochaktueller Stoff dank kurzem Vorlauf.

Zwei Frauen stehen unter einem Baldachin aus Lichterketten.

Instant-­Hochzeit: Zara (Alina Sokhna M’Baye, l.) führt Olja (Valeriia Berezovska) zum „Altar“ ­ Foto: Nataliia Khalan/ZDF

Gute Fiktion ist wie die Realität, und dann noch ein bisschen besser. Olja und Petja sind verlobt. Petja versteckt sich in Kyjiv in einer Shisha-Bar, während Olja nach Berlin geflohen ist. Im Zimmer ihrer WG kann sie sich nicht vom Handy losreißen. So beginnt die erste Folge der ZDF-Miniserie „Himmel & Erde – Небо та Земля“ über den Alltag im Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Der ständige Fluss an Nachrichten hält Olja davon ab, anzukommen. Ihre deutschen Mit­be­woh­ne­r*in­nen schlagen vor, dass sie für ein paar Stunden in den „Flugzeugmodus“ geht. Dieses lifestylige „Mal-Abschalten“ wird erzählerisch eindrucksvoll verwoben mit der Überlebensschuld der Kriegsgeflüchteten. Und das in 18 Minuten. Am Ende gibt es eine improvisierte Hochzeit – und Gesprächsstoff fürs Publikum.

Am Dienstagabend laufen die fünf filmischen Kurzgeschichten aus „Himmel & Erde“ auf ZDF­neo. In der Mediathek stehen sie schon seit Anfang Oktober. Die fünf Geschichten wurden erdacht, geschrieben und umgesetzt von ukrainischen Filmschaffenden, die nach Deutschland geflohen sind oder bereits länger hier leben.

„Himmel & Erde“ ist außerdem das, was man beim ZDF seit einigen Jahren „Instant Fiction“ nennt. Ein Format, bei dem der Produktionsprozess wesentlich schneller geht als üblich.

Pandemie brachte schon mehrere „Instant“-Serien hervor
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„Instant Fiction“ ist ein Kind der Pandemie. Die erste Serie dieser Art war „Drinnen“, eine tragikomische Geschichte über das Leben im ersten Lockdown. Sie lief Anfang April 2020, wenige Wochen nach dem Beginn des Social Distancing. Verglichen mit den normalen Planungs- und Produktionszeiten beim Fernsehen war das schwindelerregend schnell. Im Laufe des ersten Coronajahrs brachte das ZDF noch mehr Instant-Pandemie-Stoff mit „Liebe, Jetzt!“ und „Lehrerin auf Entzug“. 2021 folgte „Schlafschafe“.

„Himmel & Erde – Небо та Земля“, fünf Folgen à ca. ­20 ­Minuten, in der ZDF-Mediathek verfügbar

„Instant Fiction“ heißt: kleines Budget und simple, dialogstarke Plots. Das Prinzip: thematisch hochaktuelle Stoffe und dafür weniger Bürokratie. „Im deutschen System gibt es normalerweise eine strenge Kontrolle des Schnitts durch die Sender“, sagt Daria Onyshchenko, Autorin und Regisseurin bei „Himmel und Erde“ im Interview mit dem Branchenportal Filmdienst.de. „Aber bei diesem Projekt hatte ich den Eindruck, dass uns eher freie Hand gelassen wurde, um unsere Gefühle zur Situation in der Ukrai­ne auszudrücken.“ Der Vorteil: Das Publikum bekommt eine fiktionalisierte Version der Gegenwart gespiegelt. Und nicht, wie sonst, einen beinahe historischen Rückblick Jahre später. Nachteil: „Instant Fiction“ läuft Gefahr, schneller zu altern.

Deswegen muss eine In­stant­serie Kraft aus dem Moment ziehen. Und das tut „Himmel & Erde“. Die Schwestern Jaroslava und Nika in Folge zwei geraten in Streit über die Frage: Im Exil bleiben oder zurückgehen? Einen ähnlichen inneren Konflikt hat Nestor in Folge vier. In Folge drei versuchen die zehnjährige Viktoria und ihre Oma, sich mit deutschen Regeln und der Bürokratie zu arrangieren.

Die Geschichten sind archetypisch, die Konflikte im Kern zeitlos. Im Krieg bekommen sie einen neuen Kontext. Mindestens ist das berührend, idealerweise schafft es Verständnis. Hinzu kommt: Ukrainische Filmschaffende erhalten schnell eine Gelegenheit, zu arbeiten und in die Branche einzusteigen.

Inzwischen tauchen auch queere Serien unter „Instant Fiction“ auf. „Becoming Charlie“ (2022) über nichtbinäre Selbstfindung und „Loving Her“ (2021) mit lesbischen Liebesgeschichten. Wobei letztere eigentlich in der Kategorie „Instant Fiction“ nichts zu suchen hat, weil es sich um eine beinahe exakte Kopie der niederländischen Serie „Anne+“ von 2018 handelt. Die Frage ist auch, warum Queerness unter „instant“ läuft, schließlich ist das Thema, anders als Corona und Krieg, nicht plötzlich vom Himmel gefallen. „Instant Fiction“ sollte keine Schublade für Themen werden, die man für zu „nischig“ hält.

Erst mal aber lohnt es sich, das Format im Blick zu behalten und damit weiter zu experimentieren. Eine Instant-Serie mit Kurzgeschichten aus dem Gaskrisen-Winter? Eine Miniserie, die Parallelen zwischen Widerstandsbewegungen in Russland, Iran und Sudan untersucht? Das wäre zeitgeschichtlich hochrelevantes fiktionales TV, mit dem sich der Rundfunk schmücken könnte – jenseits seiner üblichen Tatortigkeit und Traumschiffität.

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