Neiddebatte und Bürgergeld: Wer soll da noch arbeiten?

Mit dem Bürgergeld soll es mehr Grundsicherung geben. Arbeitgeber empören sich. Unsere Freiheit wird schließlich auch auf dem Arbeitsamt verteidigt.

Eine Fahne mit dem Logo der Agentur für Arbeit

Die Neider der Reichen erblassen – ein Symbolbild Foto: Jan Tepass/imageBROKER/imago

Das Wort „Neiddebatte“ fällt in Deutschland oft, aber zu Recht. Zum Beispiel wenn es um die Hochzeit von Finanzminister Christian Lindner (FDP) geht, die Menschen in Krisenzeiten als unangemessen pompös kritisierten. Oder wenn diese Menschen vorher schon die Erbschaftssteuer als zu lasch bemängelt haben. Vom niederen Gefühl des Neides zeugt auch, wenn Menschen kritisieren, dass Energieunternehmen ohne Zutun von kriegsbedingten Preissteigerungen profitieren. Sollen die Neider ihr scheiß Gas doch selbst besorgen!

Natürlich hängt der gesellschaftliche Frieden in diesem Land auch davon ab, dass der Finanzminister bei einer Inflationsrate von 7,5 Prozent mit Protz heiraten darf; dass manche Kinder in Reichtum, andere in Armut geboren werden; dass Unternehmen nicht nur Arbeitnehmer:innen, sondern auch die Not­situation von Menschen ausbeuten dürfen. ­Unsere Freiheit wird eben nicht nur in der Ukraine, sondern auch auf Sylt verteidigt.

Und auf dem Arbeitsamt! Ab 2023 soll es 502 statt wie bisher 449 Euro Grundsicherung geben. Das beschloss das Bundeskabinett am Mittwoch mit dem Bürgergeld. Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen sollen in den ersten sechs Monaten – außer bei Meldeversäumnissen – nicht mehr sanktioniert werden. Danach sind Kürzungen von 30 Prozent erlaubt. Ein bisschen Vermögen und eine größere Wohnung sind in den ersten beiden Jahren auch erlaubt. Wer soll da noch arbeiten gehen?

Unerschütterlicher Glaubenssatz

Was für ein Zivilisationsbruch, der von den zu längst überwunden geglaubten sozialen Irrungen regredierenden Sozialdemokraten vorangetriebenen wurde. Wäre er schon tot, würde sich Altkanzler Schröder im Grab umdrehen. „Es ist kein Zeichen von Fairness und Respekt gegenüber den arbeitenden Menschen“, kritisierte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger das geplante Bürgergeld ganz selbstlos. Und Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, sagte: „Es sorgt für Demotivation bei denjenigen, die mit einem geringen Gehalt regulär arbeiten.“

Der Ärger der Vertreter derer, die ihr Geld mit Anderearbeitenlassen verdienen, ist verständlich: Dem Volk fehlt bald nicht mehr nur das Gas zum Heizen und die Butter auf dem Brot, sondern auch die Motivation zur Arbeit. Ein Schelm, wer in ihren Einlassungen Neid auf 53 Euro mehr Grundsicherung erkennt. Während auch Unionspolitiker als parlamentarische Restvernunft nörgeln, verteidigen SPD und Grüne das Unglaubliche entschuldigend.

Bürgergeld klinge doch nur besser als Hartz IV, der Fuffi gleiche höchstens die Inflation aus. Und wenn das Bürgergeld so nah an die Löhne komme, könnten die Anderearbeitenlasser doch vernünftige Löhne zahlen, lamentieren Gutmenschen. Warum sollten sie? Den Wert einer Gesellschaft erkennt man schließlich daran, wie sie mit ihren Reichen umgeht. Diesen Glaubenssatz kann in Deutschland selbst die engagierteste Krisenpolitik nicht erschüttern.

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Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

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