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Nato-Einigung mit der TürkeiZum Preis der KurdInnen

Kommentar von Lisa Schneider

Finnland und Schweden haben sich den Forderungen des türkischen Präsidenten Erdoğan zumindest auf dem Papier gebeugt. Hehre Werte sind optional.

Die Unterzeichnung des Memorandums am Dienstag in Madrid Foto: Bernat Armangue/ap

W ochenlang verweigerte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan seine Zustimmung zum Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands. Nun gab er endlich das ersehnte Ja-Wort: Schweden, Finnland und die Türkei unterzeichneten ein trilaterales Memorandum über die weitere Zusammenarbeit.

Es liest sich, als habe der unterschreibende türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu – der im Mai gegenüber armenischen Demonstrierenden den Gruß der türkisch-nationalistischen Grauen Wölfe zeigte – es persönlich diktiert. Eines der „Schlüsselelemente“ der Nato sei die „unerschütterliche Solidarität und Zusammenarbeit“ im Kampf gegen den Terrorismus, heißt es dort. Finnland und Schweden sollen der Türkei künftig „volle Unterstützung zur Abwehr von Bedrohungen ihrer nationalen Sicherheit“ gewähren.

Terrorismus und „Bedrohung“ meinen hier die Aktivitäten kurdischer Gruppen – wie der PKK- oder der YPG-Milizen –, nicht etwa diejenigen türkisch-nationalistischer oder islamistischer. Darauf deuten spätestens die konkreten Maßnahmen hin, die zum Ende des Memos aufgeführt werden: „Finnland und Schweden werden den Kampf gegen den Terrorismus mit Entschlossenheit [und] Entschiedenheit“ aufnehmen. Von der Türkei und ihrem Kampf gegen Terrorismus – wie auch immer er geartet sei – ist nicht die Rede.

Schweden und Finnland scheinen zumindest theoretisch bereit zu sein, sich den Forderungen zu beugen: Die beiden Länder werden „alle erforderlichen Schritte unternehmen, um die innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu diesem Zweck weiter zu verschärfen“. Gestalten Stockholm und Helsinki künftig Anti-Terror-Gesetze, könnte Ankara mit am legislativen Tisch sitzen.

Erste Anträge sind schon gestellt

Eine weitere Maßnahme: Man werde sich der Auslieferungsanträge der Türkei „zügig und gründlich“ annehmen und „bilaterale Abkommen“ dazu schaffen. Kaum unterzeichnet, stellte Ankara am Mittwochmorgen bereits einen ersten Antrag: 33 „terrorverdächtige“ PKK- und Gülen-Anhänger sollen überstellt werden.

Noch muss sich zeigen, wie weit die Vereinbarungen in die Praxis umgesetzt werden. Doch was einmal geschrieben – und vor allem unterschrieben – wurde, ist in der Welt. Man kann sich darauf berufen und weiteren Druck schaffen.

Mit dem Angriff auf die Ukraine hat Russlands Präsident Putin seine Großmachtfantasien enthüllt. Um diese einzuschränken, liefern die europäischen und nordamerikanischen Demokratien nun der Türkei die KurdInnen aus – zumindest symbolisch. Ein Zeichen dafür, dass Werte – wenn es ans Eingemachte geht – letztlich optional sind.

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25 Kommentare

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  • Gerade gelesen, dass die Türkei Zugang zur "Deutschen Welle" und zu "Voice of America" sperrt, weil die keine Lizenzen beantragt hätten. Wo ist hier der Aufschrei? Als Russland das aus angeblich denselben Gründen gemacht hat, wurde überall "Zensur" geschrien.

    • @resto:

      "Wo ist hier der Aufschrei?"



      Hier: taz.de/Pressefreih...-Tuerkei/!5864921/



      "Als Russland das aus angeblich denselben Gründen gemacht hat, wurde überall "Zensur" geschrien."



      ZENSUR!!!



      Zufrieden? Es ist ja schön und gut - einmal mehr - mit soviel Verve die westliche Doppelmoral und Selbstgerechtigkeit zu demaskieren, relevanter wäre aber doch eigentlich was daraus folgt oder wenigstens folgen sollte.

  • Warum bloß schweigen die Eurozentriker, Bellizisten und NATO-Enthusiasten hier im taz-Forum so laut, wenn es um den türkischen Imperialismus, den Autokraten Erdogan und die Rechte der Kurden geht?

    • @Abdurchdiemitte:

      Zum Sultan gibt es hier schwerlich zwei Meinungen.



      Mich wundert aber schon, wie leichtfertig hier einige die Sicherheitsinteressen von Schweden und Finnland abtun. Was erwartet man hier eigentlich? Dass beide Länder nun ihren Verzicht auf den Nato-Beitritt erklären? Und wofür? Ich darf mal daran erinnern, dass die PKK in der gesamten Europäischen Union ebenfalls und zu Recht als terroristische Vereinigung eingestuft wird. Das macht den Krieg Erdogans gegen die Kurden nicht besser oder rechtfertigt ihn, aber ganz so schwarz-weiß, wie dies hier in einigen Forumsbeiträgen zum Ausdruck kommt, lässt sich dieser Konflikt nicht beschreiben.

      • @Schalamow:

        Es stimmt, dass wir wenigstens in der Beurteilung Erdogans einer Meinung sind … und ja, es mag sein, dass er im Vergleich zu Putin und dessen Vernichtungsfeldzug gegen die Ukraine und die Bedrohung, die daraus auch für uns hervorgeht, als das „kleinere Übel“ erscheint.



        Geschenkt, dass die Kurden in der Türkei, in Syrien und im Irak das anders sehen … die sind mit Blick auf unsere sicherheitspolitischen Interessen schließlich nicht relevant (Sarkasmusmodus). Naja, außer dass sie im Kampf gegen den IS für uns die „Kohlen aus dem Feuer“ geholt haben wie jetzt die Ukrainer gegen den russisch Imperialismus. So sieht halt westliche Dankbarkeit und Solidarität aus … Bauernopfer m Kampf für „höhere“ Werte und knallharte geopolitische Ziele.



        Und nein, ich rede nicht davon, dass Schweden und Finnland nicht der NATO beitreten sollten … deren souveräne Entscheidung. Ich möchte mir nur kein Geschwurbel über peace&democracy anhören müssen, wo es einzig und allein um die für geostrategische Interessen der NATO günstige (oder ungünstige, je nachdem) geografische Lage der Türkei (vis-a-vis der Ukraine) geht.



        Ich empfinde weder Genugtuung noch Häme über den Preis, den die NATO Erdogan für die Norderweiterung entrichtet, aber gönnen Sie es mir wenigstens, den Finger in die Wunde westlicher Arroganz und moralischer Braesigkeit zu legen.



        Doppelstandards … und wir stecken mitten drin in dem Dilemma.

  • "Noch muss sich zeigen, wie weit die Vereinbarungen in die Praxis umgesetzt werden."

    Zunächst einmal hat Erdogan etwas in der Hand, was sich vor allem propagandistisch ausschlachten lässt. Davon abgesehen, sind Schweden und Finnland aber funktionierende Rechtsstaaten. Und da muss man schon auf das Kleingedruckte achten. Die im taz-Artikel zitierten Passagen enthalten nämlich einige Leerformeln. Ob sich bspw. die Richter in beiden Ländern dem völlig entgrenzten Terrorismus-Begriff der türkischen Justiz anschließen, darf man wohl eher bezweifeln. Sind beide Staaten aber erst einmal in der Nato - und das soll ja wohl sehr schnell gehen - ist Erdogan mit seinem Erpressungspotential aber auch schon am Ende.

  • Schweden und Finnland wollen Krieg - da muss man Menschen opfern. Sie fangen mit den Kurden an. Als neutrale müssten sie das nicht.

    • @Kappert Joachim:

      "Schweden und Finnland wollen Krieg" - welchen "alternativen Medien" haben Sie denn diese Erkenntnis entnommen?

      • @Schalamow:

        Die Türkei führt Krieg und wird demnächst dabei mit schwedischen / finnischen Waffen unterstützt. Warum sollte man ihnen also nicht „Kriegswilligkeit“ vorwerfen?

  • Wann werden weltweit, die nicht an der exekutiven Macht beteiligten Mitmenschen endgültig bemerkt haben, dass jederzeit jegliche Gruppierung auf die skrupelloseste Art u Weise zum "Terroristen" sprich Bauernopfer werden kann. Und zwar in Nullkommanix wenn es den vormaligen "Beschützern" um Verschieben der Figuren auf dem grauenhaften Schachbrett der eigenen Interessenverknüpfungen so erforderlich erscheint???



    Das angeblich unastastbare Postulat der sogenannten "Menschenrechte" ist doch von jeher, in Wahrheit schon immer ein weltweit würdeloses Interessenlage- Spielchen gewesen.



    Ich frage mich, ob man sich überhaupt noch mit eigenen Kommentaren dazu äußern sollte.



    Es ist einfach hoffnungslos.



    "Der Rest ist Schweigen"-



    Und das lauthalsige Detonieren der Menschenrechtsattrapen.

  • Was alles so "angepasst" werden kann, wenn es auf einmal wichtig wird. Komisch bei Wirtschaftspolitik wird immer gesagt das können wir nicht, weil die armen Unternehmen sonst weggehen. Oder bei Menschenrechtsverbrechen in westl. Staaten, geht nicht weil das sind ja die Gesetze in den jeweiligen Staaten (siehe z.B. Assange)....tja ja Heuchelei der "Mächtigen"....

  • Erinnert sich noch jemand an den Anfang des Krieges? Als man es als Skandal ansah, dass Putin einem souveränen Land vorschreiben will, ob es in die Nato geht?

    Hier wird massiv in die Souveränität zweier freiheitlicher demokratischer (darf auch als Komparativ gegenüber der Ukraine gelesen werden) Staaten eingegriffen. Und nicht nur, dass die sich das gefallen lassen, niemand muckt auf dagegen. In den deutschen Fernsehnachrichten wird das verkündet als handele es sich im das türkische Staatsfernsehen. Putin, sorry: Erdogan, will Schweden und Finnland (und der gesamten Nato-Mischpoke) vorschreiben, wer dort Mitglied wird.

    Wäre (Irrealis) die Nato an Freiheit und Demokratie interessiert, würde sie GEGEN die Türkei und nicht MIT der Türkei Krieg führen.

    Schön , dass wenigstens die TAZ einen Artikel hat, in dem vage Kritik an dieser Sache geäußert wird. Danke dafür!

    • @Jalella:

      Oben drauf kommt noch, dass das russische Vorgehen in der Ukraine dem entspricht, was die Türkei mit Hilfe islamistischer Terrorgruppen in Nordostsyrien abzieht: ethnische Säuberungen, Verbot von Sprache, Vernichtung des demokratischen Raums Rojava.



      Und das wird jetzt wohl auf den Nordirak ausgeweitet.

      Jetzt noch mehr Waffen an die Türkei zu liefern, stellt den nächsten Verrat der westlichen Allianz an den kurdischen Kräften dar.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Die Mühle der Gewalt(tätigen) zermalmt zuerst die Bedrängten. Wenn sie sich wehren, kann man sie pauschal als Terroristen bekämpfen.

  • Westliche Werte am Arsch.

    Hier geht es um geopolitische Macht und nicht um Menschenrechte. Das zeigt das Beispiel Türkei sehr gut. Wer mit solchen Autokratien paktiert, bei dem ist jede Erwähnung des Wortes Menschenrechte blanker Hohn.

  • Unerträglich Doppelmoral

  • besser die Kofferpacken und nach Norwegen...

  • Ich habe genau dieses Ergebnis kommen sehen, als vor wenigen Wochen die Meldung kam, die Türkei wolle im NATO-Rat ihr Veto gegen die Norderweiterung einlegen.



    Nicht nur, dass Erdogan jetzt freie Hand hat, gegen die Kurden in Syrien und im Irak vorzugehen - ganz nebenbei erweitert er damit die türkischen Einflusszonen in seinen bürgerkriegs- und krisengeschüttelten Nachbarstaaten - , auch reicht der lange Arm des Autokraten bis in das demokratische Europa hinein, um auch dort die türkische und kurdische Opposition gegen sein Regime mundtot zu machen.



    Man erzähle mir nichts mehr von Freiheit und der Verteidigung irgendwelcher demokratischen Rechte, wenn es um die NATO geht.

  • Werte...

  • Ich verstehe es so, dass Waffen geliefert werden werden. Die Türkei ist ja in Nordsyrien einmarschiert, übrigens völkerrechtswidrig und im Rahmen eines Angriffskrieges. Insofern ist es mehr als Symbolik.

    Die Moral von der Geschichte:

    Völkerrechtsbrüche sind nur schlimm, wenn sie von den Gegnern begangen werden, bei Verbündeten darf man sie durch Waffenlieferungen belohnen.

    Trotzdem sehen sich die gleichen Personen nicht daran gehindert, gegen andere Angriffskriege vor allem auch moralisch zu argumentieren.

    Johnson meint, das Problem liege an Putins toxischer Männlichkeit und damit hat er bestimmt recht.

    Nur erkennt man diese auch bei ihm selbst und nach allem, was zu hören ist, auch bei Erdogan. Und hier wiederum liegt das Problem, dass genau die Strukturen unterstützt werden, die an anderer Stelle bekämpft werden sollen.

    Geflüchtete zum möglichen Sterben ins Meer zurückschieben, dabei als eine Art Sklaven auf andere Geflüchtete zurückgreifen, die durch Drohungen und Schläge gefügig gemacht werden, Angriffskrieger mit Waffen ausstatten, Afrikaner an den Außengrenzen jagen, verletzen und töten lassen, andere nach Ruanda zur Prüfung ihres Asyl schieben wollen UND gleichzeitig mit großem Geschwurbele die (tatsächlichen) Menschenrechtsverletzungen anderer zu beklagen und diese angeblich im Namen der Menschlichkeit (nicht aus rein taktisch-egoistischen Gründen) zu bekämpfen.

    Sowas heißt gemeinhin, den Teufel mit dem Beelzebug austreiben wollen und genau diesem Schauspiel wohnen wir aktuell bei.

    • RS
      Ria Sauter
      @PolitDiscussion:

      Auf den Punkt gebracht!

  • Düster.

  • RS
    Ria Sauter

    Es geht um Menschenleben nicht um Werte!



    Das sind keine Demokratien mehr, wenn sie das tun und die Menschen ausliefern.



    Das sind allesamt Unrechtsstaaten.



    Dikatur im Gewand der Demokratie.



    Jetzt zeigen die westlichen Werte ihre wahre Fratzen.