Selenskis Rede an Israels Parlament: Mord braucht keine Vergleiche

Selenski vergleicht den Krieg mit der „Endlösung“. Demokratien haben diese Geschichtsklitterung nicht nötig – und es beleidigt die Holocaust-Opfer.

Ein zerstörtes Wohnhaus mit Brandspuren in Mariupol

Ein zerstörtes Wohnhaus mit Brandspuren in Mariupol Foto: Alexander Ermochenko/reuters

Über Mariupol liegt dunkler Rauch. Auf den wenigen Bildern, die uns noch erreichen, sieht man brennende Apartments in großen Wohnblöcken. Andere Wohnungen zeigen sich schwarzen Höhlen gleich, sie sind vom Feuer verzehrt, ohne Fenster und unbewohnbar. Die russische Militärmaschine hat nicht nur Wohnhäuser getroffen, sondern auch eine Geburtsklinik und das städtische Theater. Niemand kennt die Zahl der Toten unter den Zivilisten. Für sie werden Massengräber ausgehoben.

In Charkiw, der Großstadt im Nordosten der Ukraine, ist am vergangenen Freitag der Holocaust-Überlebende Boris Romantschenko bei einem Angriff auf ein mehrgeschossiges Wohnhaus ums Leben gekommen. Der 96-Jährige hatte die Konzentrationslager Buchenwald, Peenemünde, Dora und Bergen-Belsen überlebt und war Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora. So also sieht die Befreiung eines Landes von Nazis aus, wie der russische Präsident Wladimir Putin seinen Angriffskrieg begründet. Mit gezielten Militärschlägen gegen Frauen, Männer und Kinder. Diese Kriegsverbrechen sind so beabsichtigt wie offensichtlich.

Und doch sollten wir uns davor hüten, vorschnell Vergleiche zu ziehen. Schon gar nicht mit dem Holocaust, dem sechs Millionen Jüdinnen und Juden zum Opfer fielen, ja dessen Ziel die Ermordung eines ganzen Volkes war.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat am Sonntagabend bei einer Videoansprache ausgerechnet nach Israel einen solchen Vergleich gezogen und von einer „Endlösung“ in der Ukraine gesprochen, dem Nazi-Codewort für die Vernichtung der Juden. Das ist historisch falsch. Es beleidigt die Opfer von damals, die damit im Nachhinein funktionalisiert werden – und sei es für einen Verteidigungskrieg. Und es ziemt sich schon gar nicht für Deutsche, die dieses singuläre Verbrechen begangen haben.

Wladimir Putin hat mit seiner Behauptung, man müsse in der Ukraine den Nazismus niederringen, für eine neue Qualität im Ranking der irrsinnigsten Begründungen für einen Angriffskrieg gesorgt. Tatsächlich soll diese schamlose Lüge an den Kampf der Sowjetunion gegen den Nationalsozialismus erinnern. So versucht der russische Präsident, die eigene Bevölkerung hinter sich zu einen und sein Tun zu rechtfertigen – ein billiges, aber wirksames Propagandamanöver.

Demokraten sollten solcherart Geschichtsklitterung nicht nötig haben. Es genügt, die Bilder aus Mariupol, Charkiw und Kiew zu sehen, und es reicht, die Erklärungen aus Moskau zu hören, um zu wissen, wer hier die Verbrecher sind. Ohne Vergleiche.

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Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024

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