piwik no script img

Soziale Gerechtigkeit in den USADemokratie in Gefahr

Gastkommentar von Stefan Liebich

Ein Jahr ist Biden im Amt. Die Midterms geben Grund zur Sorge. Und die Sozialpolitik lässt auf sich warten.

Muss sich noch anstrengen für die Halbzeitwahlen: US-Präsident Joe Biden Foto: Susan Walsh/ap

J oe Biden, der 46. Präsident der USA, begann seine Amtszeit mit einer Überraschung. „Trickle-down Economics hat noch nie funktioniert. Es ist an der Zeit, die Wirtschaft wachsen zu lassen, und zwar für die unteren und mittleren Einkommensschichten.“ In seinen Jahrzehnten in der US-Politik fiel der Demokrat aus Delaware wirklich nicht als Progressiver auf. Im Gegenteil.

Nun fordert er, „dass die amerikanischen Unternehmen und das reichste 1 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner anfangen, ihren gerechten Anteil zu zahlen“. Unter dem Beifall seiner Parteifreundinnen und -freunde begrub er in einer Rede vor dem US-Kongress die Idee des „Trickle-down“, also des Durchsickerns des Wohlstands der Reichsten zur normalen Bevölkerung.

Die Theorie besagt, dass das ganz von allein passierte, wenn der Staat sich raushält und die Steuern für große Einkommen und Vermögen senkt. Ronald Reagan spitzte das vor vierzig Jahren auf die Formel zu, die Regierung sei „nicht die Lösung unserer Probleme, die Regierung ist das Problem“. Heute ist kaum mehr vorstellbar, dass seit den 1940er Jahren ein ganz anderer Konsens herrschte.

Auf Präsident Franklin D. Roosevelts New Deal aufbauend, erweiterten sowohl Demokraten als auch Republikaner schrittweise die Sozialversicherungs- und Krankenversicherungssysteme und erhöhten den Mindestlohn. Mit Reagan war damit Schluss. Seine Politik der Deregulierung und Privatisierung fand auch in Europa Nachahmer.

Ben Gross
Stefan Liebich

war zwischen 2009 und 2021 Bundestagsabgeordneter der Partei Die Linke. Er ist Fellow der Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York City.

Bidens Kehrtwende erklärt sich auch aus dem Zustand des Landes. Wenige Tage bevor er das Präsidentschaftsamt antrat, forderte sein Vorgänger eine Menschenmenge in Washington auf, zum Kapitol zu ziehen: „Wenn ihr nicht wie wild kämpft, werdet ihr kein Land mehr haben.“ Ein präzedenzloser Angriff auf die Demokratie.

Bidens Popularität schwindet

Kurz nach dem Schock schien es, als würde sich die Republikanische Partei besinnen. Die Fraktionsvorsitzenden in Senat und Repräsentantenhaus wandten sich von ihrem Noch-Präsidenten ab, stimmten dann aber doch gegen dessen Amtsenthebung und gegen die Untersuchung der Ereignisse. Die New York Times bezeichnete die Republikaner vor wenigen Tagen als „autoritäre Bewegung“.

Der Abgeordnete Jamie Raskin ging weiter und nannte sie eine „religiöse und politische Sekte, die von einem einzigen Mann kontrolliert wird“. In diesem Jahr wird in den USA wieder gewählt. Möglicherweise siegt die autoritäre, republikanische Sekte. Bei Politik, Medien und der transatlantischen Thinktank-Welt hier in Deutschland herrscht merkwürdige Zurückhaltung. Bereits nach der Wahl 2016 überwog die Hoffnung, es werde schon nicht so schlimm kommen. Kam es doch.

Als Trump 2020 kundtat, dass er eine Abwahl nicht anerkennen würde, weil sie ja nur durch Betrug zustande kommen könne, forderte ich dazu auf, dass Deutschland seine Neutralität zwischen den beiden Kandidaten aufgeben müsse. Aber nicht mal die Grünen unterstützten das. Von der Bundesregierung ganz zu schweigen. Natürlich fällt es schwer, undemokratische Entwicklungen ausgerechnet bei denen zu kritisieren, die als Teil der Alliierten Deutschland von der Nazi-Diktatur befreit haben.

Neutralität verbietet sich

Aber angesichts dessen, was dort geschieht, dürfen wir nicht länger neutral bleiben! Wer die Ergebnisse demokratischer Wahlen nicht respektiert, darf nicht behandelt werden wie eine normale Oppositionspartei. Der Kampf um die Demokratie in den USA geht auch uns etwas an. Wir müssen aus der Zuschauerrolle herauskommen.

Die Demokratie ist bedroht. Sie muss verteidigt werden. Aber viele Menschen in den USA und anderswo fühlen sich dabei nicht angesprochen. Sie haben andere Sorgen. Es ist nämlich nichts durchgesickert. Das Aufstiegsversprechen wurde gebrochen. Die Mittelschicht schrumpft seit Jahrzehnten. Zugleich wachsen die Vermögen der Reichsten immer schneller. Menschen, die sich vergessen fühlen, sind anfällig für jene, die Wut und Hass anfeuern.

Wer das „Soziale“ vergisst, der wird auch die „Marktwirtschaft“ nicht retten. Wenn hingegen das Versprechen, es werde unseren Kindern besser gehen als uns selbst, wieder erfüllt wird, dann wird sie auch verteidigt. Sicher: Biden ist kein Sozialist. Wie schon Franklin D. Roosevelt will er den Kapitalismus vor sich selbst schützen. Deshalb kämpft er für die Ausweitung der Gesundheitsversorgung und Bildung.

Und für eine Finanzierung durch höhere Steuern für Milliardäre und Konzerne. Spüren die Menschen bis zum Herbst Verbesserungen, können die Demokraten noch gewinnen. Zugleich befinden sich die USA und die anderen parlamentarischen Demokratien auf globaler Ebene im Wettbewerb mit autoritären Staaten. Dabei geht es nicht nur um die Regierungsform und Freiheitsrechte. Wer „liefert“, der hat die besseren Karten.

In der Glitzerwelt von Dubai gibt es kaum Rufe, die absolutistische Monarchie dort durch eine parlamentarische Demokratie abzulösen. Welches System gewinnt, ist offen. Deshalb ist es an der Zeit, den transatlantischen Dialog thematisch zu erweitern. Statt vor allem über Militärausgaben, Russland und China zu reden, gehört auch hier die soziale Frage ganz oben auf die Tagesordnung. Die globale Mindestbesteuerung ist ein guter Anfang.

Warum nicht auch über gemeinsame bessere Standards für Arbeitsbedingungen, Gesundheitsversorgung, Bildungsfinanzierung diskutieren? Weltweit sollten demokratische Staaten Freiheit, aber eben auch ein gutes Leben für alle garantieren. Aufstiegschancen, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern und freie Wahlen – dafür lohnt es sich einzutreten. Der Neoliberalismus hat die Demokratie gegen ihre Feinde von innen und außen geschwächt.

Resilienz gegen Autoritarismus bedeutet, hier einen Schlussstrich zu ziehen und zu zeigen, dass Demokratie und soziale Gerechtigkeit zusammengehören.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

24 Kommentare

 / 
  • www.dandc.eu/de/ar...twicklungslaendern



    Hoffentlich nicht doppelt!



    Sonst auch oft gelesen, gesehen in allen möglichen Artikeln, von Arte TV bis Spektrum, Bild der Wissenschaft.

  • Wenn ich den Kommentar richtig verstehe, dann geht es dem Fellow der Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York City darum, dem Kapitalismus in den USA irgendwie den A.... zu retten.



    Man könnte natürlich auch als Linker (wenn man einer wäre) die Meinung vertreten, dass am Beispiel der USA begründet werden kann, dass der Kapitalismus ziemlich am Ende ist, weil er es nicht mehr schafft, das krasse Wohlstandsgefälle zu korrigieren.



    Die Milliardäre, die in der Pandemie ihr Vermögen verdoppeln konnten, werden als Philantropen gefeiert. Zumindest von ihren bezahlten Claqueuren.



    Und in Deutschland schlagen wir einen ähnlichen Weg ein. Die USA immer als Vorbild. Billiglohnland Deutschland, das Land der Armutsrentner, der Kinderarmut und der perversen Ungleichverteilung von Vermögen. Auch wenn wir in DE keine zwei vorherrschenden Parteien haben, so sind die Parteien in DE trotz ihrer teils großen programmatischen Unterschiede allesamt daran interessiert, das System zu erhalten.

  • Unter dem Titel sozialen Gerechtigkeit in den USA gehts dann der Linken Agenda entlang. Neoliberlaismus darf auch nicht fehlen, der alles kaputt macht. Blöd halt, dass es in den letzten 30 Jahren global gesehen sozial gerechter und auch seitens der Mittelschichtenentwicklung besser lief als in den 100 Jahren zuvor.



    Dass ein Dialog mit den USA über soziale Themen letztlich aussichtlos ist; mit wem soll denn da adressiert über was geredet werden?



    Kleiner Hinweis: Die US-Demoktraten stehen rechts unsere CDU!



    Ein Realitäts-Check wäre hilfreicher als links-wirtschafts-philsophisch verschlagwortet die Welt verbessern zu wollen.

    • @Tom Farmer:

      Offenbar habe Sie den Artikel nicht gelesen, denn darin geht es um die USA, und nicht um irgendwas "globales". Und jeder kann sich bei Interesse die Entwicklung des Gini-Index unter der Dominanz des neoliberalen Irrsinns in den USA seit der Präsidentschaft Reagans besorgen.

      • @Kaboom:

        Bitte erst selbst lesen, speziell hinten die letzten vier Absätze. Dubai, globaler Wettbewerb der Demokratien gegenüber .... usw.



        Gini Index USA vs. Mittestandsentwicklung global; s.o. Und nochmal: Wem in den USA wackelt da mehrheitsmeinungsmäßig ein Ohrläppchen(?), richtig (!), nur 10-20% der liberalen Kerngruppen rund um Bernie Sanders, AOC oder Harris. Letztlich politisch Randgruppen die keine Mehrheit finden werden. Und mit denen wollen Sie dann reden. Viel Spaß dann bei der Wahlniederlagenparty.

      • @Kaboom:

        Jeder kann sich aber auch darüber informieren, dass die USA zu den Haupteinwanderungsländern gehört; jeder 10te US-Amerikaner wurde im Ausland geboren ( de.wikipedia.org/w...sland_(Stand_2013) ). Da macht es schon Sinn, wie solch ein Gini-Index zustande kommt. Ohne Einwanderung sähe der Index sicher besser aus. Aber das wollen in den USA nur die Rechten.

    • @Tom Farmer:

      "Blöd halt, dass es in den letzten 30 Jahren global gesehen sozial gerechter und auch seitens der Mittelschichtenentwicklung besser lief als in den 100 Jahren zuvor."



      Das können Sie doch sicher mit ein paar Daten unterfüttern? Zumindest eine Zahl spricht dagegen:



      "Deutschland- als auch europaweit sind die Löhne gestiegen. Führte dies auch zu Steigerungen der Einkommen und der Vermögen? Zumindest für die letzten 20 Jahre lässt sich feststellen, dass Lohnerhöhungen nicht gleichzeitig zu einem Anwachsen der verfügbaren Einkommen führten. Aufgrund relativ hoher Inflationsraten und nur geringer Lohnsteigerungen haben die Deutschen und die Europäer heute weniger Geld im Portemonnaie als noch im Jahre 2000."



      m.bpb.de/politik/i...schland-und-europa

      • @Yossarian:

        www.dandc.eu/de/ar...twicklungslaendern



        OECD Berichte sagen das seit Jahren.



        Allgemeinpresse von Arte bis Spektrum der Wissenschaft....aber nur wenn man dafür offene Augen hat wie mir scheint.

        • @Tom Farmer:

          Na, so rechte und in der Finanzierung dubiose Vereine wie die Brookings Institution liegen mir schon fern.

          Aber egal, das war mir tatsächlich neu, meine Konzentration galt bisher BRD/EU. Werd ich mich mit beschäftigen, Dank dafür.

  • Und kein Wort dazu, WARUM "der Unmut wächst" und die Republikaner die Midterms gewinnen könnten.

    (kleiner Tipp: zwei Demokratische Senatoren spielen in der Antwort die Hauptrolle)

    • @BigRed:

      Und welche genau?

    • 0G
      05867 (Profil gelöscht)
      @BigRed:

      Ja, das verstehe ich bei den ganzen Kommentaren in der Presse auch nicht.



      Es heißt immer nur: "Biden hat versagt".

      Aber vielleicht kann er ja mit seiner viel zu knappen Mehrheit am Ende garnichts machen. Verhandlungen mit den "Republikanern" sind ja leider ausgeschlossen, weil diese Damen und Herren sich ja nicht für das Gemeinwohl der USA sondern nur für die eigene Machtposition interessieren

  • Der Denkfehler ist doch, dass Trump tatsächlich glaubt, die Lawine, welche er lostritt, kontrollieren zu können. Die Wahrheit ist aber, dass er selbst von ihr überrollt werden wird. Die Vorfälle im Kongress haben das ja schon deutlich gezeigt, der Mob ist nicht kontrollierbar.

    • @insLot:

      Der Anführer einer Sekte kann die Sekte nicht kontrollieren? Echt? Seit wann?



      Und können Sie eigentlich belegen, dass im Kongress am 6.1.21 - abgesehen vom Scheitern der Zerschlagung der Demokratie in den USA - nicht genau das passiert ist, was Trump wollte?

  • 0G
    05867 (Profil gelöscht)

    Ein sehr guter, besonnener Artikel, der sich wohltuend von dem schamlosen Alarmismus anderer Leitmedien abhebt und die richtigen Prioritäten setzt.

    • @05867 (Profil gelöscht):

      Der Aussage kann ich nur unterstützen!!!



      Ist es nicht so, dass die CDU/CSU die Republikaner als eine Art "Schwesterpartei" sehen....diese Verbindungen werden von den Leitmedien gerne verschwiegen.....

      • @KielerSprotte:

        Also wenn man es schon mit Deutschland vergleichen möchte, sind die Demokraten alles von der linken bis zur cdu und die Republikaner csu/fdp/afd plus ein paar rechts von der afd.

        Aber das System ist so krass anders, dass ein Vergleich mit europäischen Staaten gar nicht möglich ist. Jedenfalls nicht 1:1.

      • 0G
        05867 (Profil gelöscht)
        @KielerSprotte:

        Ja, ich habe auch das Gefühl, das sich viele sog "Konservative" und Rechte in D dem Trumpismus recht nahe fühlen.

  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    Demokratie in Gefahr in den USA?



    Es gibt jede Menge Waffenfetischisten, Neonazis, bibeltreue Radikale, Evolutionsleugner, Abtreibungsgegner, sog. Patrioten wie Trump, Guantanamo, Edward Snwoden, Julian Assange, Rassendiskriminierung, Ku-Klux-Klan, kriegslüsterne Militärs, ein krasser Gegensatz von arm und reich, Korruption schon im Wahlkampf und Geschäftemacher, die einen Überfall auf ein anderes Land in Kauf nehmen und dort mal eben Foltergefängnisse errichten. Ein Ex-Präsident, der Folter gut findet " Let`s talk about waterboarding". Mehr?



    Die USA, ein wunderschönes Land, aber die Bewohner.....

  • Hatten wir in DE nicht gefeiert als Biden gewählt wurde?

    Und auch Kamala Harris...

    Tipp für Anfänger oder Naive: Wussten wir nicht Biden seit 1973 ein Senator ist und *aktiv* in der Politik.... Seit 1973....

  • Wenigstens hat er bis dato noch keine Kriege angezettelt, wie der Herr Nobelpreisträger. Das ist schon mal positiv.

    • @Leningrad:

      Das kommt noch, da der militärisch-industrielle Komplex viel zu mächtig ist. Übrigens hat es Trump geschafft, keinen Krieg anzufangen. Das rechne ich dem anderweitigen Ekelpaket hoch an.

      • @resto:

        Trump hatte nach gut 6 Monaten nach Beginn seiner Amtszeit die Anzahl an zivilen Opfern durch Drohnenangriffe überschritten, die während der gesamten Amtszeit Obamas angefallen waren. Der Mann hat rund um die Welt Krieg geführt und mutmaßlich zehntausende Menschen auf dem Kerbholz.

        • @Kaboom:

          Bitte Quellen, damit ich entsprechend argumentieren kann.