Normalitätsbegriff von Olaf Scholz: Des Kanzlers einfache Leute

Scholz spricht gern von normalen, einfachen Leuten. Anders als Sahra Wagenknecht meint er das nicht populistisch-ausgrenzend.

Mann im Nikolauskostüm neben LKW

Schutzpatron der Lkw-Fahrer: Bist du's, Olaf Scholz? Foto: dpa

Olaf Scholz neigt zu verdrechselten Formulierungen. Auf die Merkel-Philologie, die zu ergründen suchte, was die Kanzlerin eigentlich meinte, wird wohl die Scholz-Deutungsexpertise folgen. Die wird noch harte Nüsse zu knacken und in Parenthesen versteckte Botschaften zu enträtseln haben.

Beim SPD-Parteitag hat Scholz allerdings im Klartext die Schlüsselbegriffe seiner Kanzlerschaft erläutert: Respekt und Fortschritt. Letzteres ist bei Scholz industrielle Standortpolitik und globale Konkurrenz. Ökologie spielt nur eine Rolle, wenn sie Geld und Jobs bringt. Ja, der klimaneutrale Umbau ist ehrgeizig. Aber es ist kein Zufall, dass der Kanzler sich fürs Klima erst interessiert, seit die Manager der Republik auf die gleiche Idee kamen.

Schillernder ist der Begriff Respekt. Die Ampel werde Politik für „ganz normale Leute machen“. Und die SPD sei der „richtige Freund der einfachen Leute“. Also Normalität und einfache Leute.

Wenn Politiker zu diesem Vokabular greifen – muss man da nicht vorsorglich in Deckung gehen? Sind „Normalität“ und die „einfachen Leute“ nicht Kampfbegriffe, in denen die Ausgrenzung der Minderheit schlummert? Bei Scholz besteht kein Anlass zur Sorge. Er ist spektakulär untalentiert für volkstümliche Auftritte und bei jedem politischen Aschermittwoch eine Fehlbesetzung. Scholz, ganz Hamburger Bürgersohn, ist habituell unfähig zum Populismus.

Das Verbindende wird betont

In der sozialdemokratischen Wortgeschichte sind die „einfachen Leute“ zudem ein Rückgriff auf die Zeit, bevor Schröder die Identität der SPD als „Schutzmacht der kleinen Leute“ auf dem Altar des Neoliberalismus opferte. Scholz benutzt „normal“ zudem nicht im Sinne eiserner Normalität, die das Dissidente aussondern muss. Die Normalen sind eher die Erschöpften, die bei dem Rennen um die perfekte Selbstverwirklichung den Kürzeren ziehen und in einer Gesellschaft, in der alle besonders sein müssen, die Nachhut bilden.

Das unterscheidet dieses Respektkonzept von dem Feldzug, den Sahra Wagenknecht im Namen der Normalität gegen die linksliberalen Eliten anzuzetteln versuchte. Bei Wagenknecht verschwimmen Eliten, Neoliberalismus und Emanzipation zu einem Komplex, den es zu bekämpfen gilt. Diese aggressive Antiidentitätspolitik arbeitet mit Spaltungen gegen Spaltung.

In der Rhetorik von Scholz findet sich nichts Trennendes. Das Verbindende wird betont, zwischen Metropolen und Provinz, zwischen Nichtakademikern und Studierten. Respekt für die einfachen, normalen Leute ist keine Ausgrenzungsvokabel – sondern das Gegenteil.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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