Kommentar CDU/CSU-Attacken auf Schulz: Union ohne Heiland
Der Hype um den SPD-Kanzlerkandidaten offenbart: Die Union hat keine Idee mehr. Sie ist programmatisch nackt. Ein „Weiter so“ mit Merkel ist zu wenig.
W enn Wahlkämpfer Wahlkämpfern Wahlkampf vorwerfen, ist das immer amüsant. Zumal wenn die Kontrahenten seit drei Jahren geräuscharm zusammen regieren. Und die Wahl, um die es geht, nicht in sechs Tagen, nicht in sechs Wochen, sondern in sechs Monaten stattfindet.
All das ist eine Folge des Schulz-Hypes, der die Union langsam doch nervös macht. Die Zeiten, als die einzige Frage lautete, wer ab Herbst an Merkels Seite mitregieren darf, sind erst einmal vorbei.
Weil Schulz, der Retter der SPD, lieber zu einer lange anberaumten Feier der SPD-Fraktion als zum Koalitionsausschuss geht, feuert die Union rhetorisch nun aus allen Rohren: Party statt Politik. Schizo-Schulz. Das wirkt dann doch etwas überzogen. Bemerkenswert ist, dass die Rollenzuordnung zwischen Kanzlerpartei und Juniorpartner auf dem Kopf steht.
Normalerweise hat die SPD das unschöne Problem, die richtige Dosis zwischen Attacke und Verbindlichkeit zu finden. 2009 und 2013 suchten die SPD-Kanzlerkandidaten Steinmeier und Steinbrück vergeblich die Antwort auf die Frage, ob sie Merkel richtig unter Beschuss nehmen oder doch lieber nett behandeln sollten. Genutzt hat beides nicht.
Ähnlich ratlos schwankt die Union nun zwischen „Wir tun so, als wäre gar nichts passiert“ und hyperventiliert wirkenden Angriffen. Der SPD-Heiland hingegen schwebt in anderen Sphären, fordert Respekt, beschwört Gerechtigkeit und erwähnt die Union kaum mal mit einem Wort. Das kommt der Harmoniesehnsucht des Wahlvolks sehr entgegen.
Ja, Umfragen sind flüchtiger Ruhm. Ja, abwarten, wie grantig die SPD wird, wenn mal wieder was mies läuft. Doch die Union leidet nicht nur unter einer Inszenierungsschwäche. Das selbstverständliche Bewusstsein, die Macht gepachtet zu haben, hat einen Riss bekommen und in den Vordergrund gerückt, was zuvor im Halbschatten lag: Die Union hat keine Idee mehr. Sie ist programmatisch nackt. Ein „Weiter so“ mit Merkel ist zu wenig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Verfassungsrechtler für AfD-Verbot
„Den Staat vor Unterminierung schützen“
Koalitionsvertrag in Brandenburg steht
Denkbar knappste Mehrheit