tazler und Merkels Flüchtlingspolitik: Kanzlerin der Herzen

Auch in der taz gibt es viel Zustimmung für die Politik der Kanzlerin. Sollte man deshalb gleich CDU wählen? Oder nur für Merkel beten?

Angela Merkel hält ihre Hände in Form einer Raute

Machen diese Hände gute Politik? Foto: dpa

Angela Merkel bekommt für ihre Flüchtlingspolitik viel Zustimmung – aber eher links der Mitte. Bei „Anne Will“ warb Merkel jetzt gezielt um Wechselwähler: Es freue sie zwar, dass der Grüne Winfried Kretschmann sie unterstütze, sagte Merkel. Aber wer ihre Politik gut finde, sollte bitte CDU wählen. Äh, bei aller Liebe, da fragen wir uns: Schaffen wir das? Acht tazler*innen berichten:

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Es ist etwas Schlimmes passiert: Ich habe zum ersten Mal das Gefühl, CDU wählen zu müssen. Um genau zu sein: Merkel. Die Kröte CDU müsste ich halt mitschlucken. Neben SPD-Siggi, der seine Fahne in jeden stinkenden Furz der vermeintlich Zukurzgekommenen hält, Linken-Sahra als besorgter Bürgerin und Grünen, die nach dem knallharten Staat rufen, wirkt Merkel souverän und menschlich, wie sie bei „Anne Will“ bewies.

Sie will sich nicht in ein paar Jahren für ihre Politik schämen müssen und hat einen Plan, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum nicht morgen ist. Ich weiß, dass dieser Plan Fehler beinhaltet (sichere Herkunftsländer, Kuscheln mit Erdoğan), aber immerhin weist er einen Weg. Sollte es tatsächlich so weit kommen, dass ich CDU wählen sollte, hoffe auch ich, dass ich mich später nicht dafür schämen muss. (Jürn Kruse)

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Oma, du glaubst, wenn Angela Merkel stürzt, bricht das Chaos aus, weil die Merkel als einzige Politikerin Europa und die Menschlichkeit hochhält. Omi, auch ich habe Merkel Respekt für ihr „Wir schaffen das“ gezollt. Aber der schwand, als sie und ihre Partei damit anfingen, „das“ zu schaffen, indem sie willkürlich sichere Herkunftsländer herauspickten, den Geflüchteten Familiennachzug verweigerten und Abschiebelager namens „Aufnahmeeinrichtung“ einrichteten. Omi, du wirst 2017 erleben, wie unbegründet deine Sorgen waren. Alles Liebe, Anna (Anna Lehmann)

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Achtung, Richtigstellung: Angela Merkel ist nicht die Schutzheilige der Asylbewerber. Sie kämpft auch nicht gegen eine Obergrenze. Sie will die Obergrenze nur an anderer Stelle durchsetzen als Seehofer und Co: im Mittelmeer, nicht in Freilassing. Indem sie die Außengrenzen der EU dicht macht, tastet sie das individuelle Recht auf Asyl an. Und zur Belohnung soll ich jetzt auch noch die CDU wählen? Nein danke, so einfach gibt es meine Stimme nicht. (Tobias Schulze)

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Angela Merkel hat auf Deutschlands besondere Verantwortung in Europa verwiesen. Dass sie mit Blick auf Clausnitz auf den im Grundgesetz verankerte Schutz der Menschenwürde verwiesen hat, ist Lichtjahre von der Haltung eines Helmut Kohl entfernt. Wer ein humanes Europa will, muss Merkel wählen. Eine mögliche schwarz-grüne Koalition im Bund verlöre mit ihr als Bundeskanzlerin viel von ihrem Schrecken. Weniger wegen der Grünen, die jede Kröte schlucken würden, wenn sie dafür irgendwo ein Windrad bauen dürfen. Sondern wegen Merkel, deren Partei sich unter ihrer Ägide auf vielen Feldern grünen Positionen angenähert hat. Meine Stimme hätte sie. Die Frage ist nur: Was macht man mit der CSU? (Daniel Bax)

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Keine Frage: Der Auftritt von Angela Merkel war stark. Einer Reihe ihrer Sätze kann uneingeschränkt zugestimmt werden – weil sie eigentlich Selbstverständliches enthielten. Dass leider allzu viele das anders sehen, ist aber kein Grund, sie zur „Kanzlerin der Herzen“ zu küren oder gar CDU zu wählen. So nötig es ist, Merkel gegen die nationalistischen und rassistischen Plärrer zu verteidigen, so fatal wäre es, deshalb nicht mehr ihre Politik in toto zu beurteilen. Sie wolle „Europa zusammenhalten und Humanität zeigen“. Gut. Nur: Dazu passt weder ihr unsolidarisches Agieren in der Griechenlandkrise, das die Not der Menschen vergrößert hat, noch die Verschärfung der Asylgesetzgebung. Und dass sich unter ihrer Regentschaft die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnete, darf man auch nicht vergessen. (Pascal Beucker)

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Nach zehn Jahren Rumdümpeln macht Angela Merkel jetzt endlich entschlossen Politik. Und zwar gute. Ich möchte sie gerne dabei unterstützen. Aber deshalb eine Partei wählen, die ihre „Menschenrechtsbeauftragte“ Erika Steinbach vor sich hin hetzen lässt und sich außerstande sieht, etwas so Einfachem wie der Ehe für alle zuzustimmen? Im Gegenzug aber das Elend von Menschen auf der Flucht zum Politikum aufbläst, während ihre Vorsitzende ihr Amt für Grundwerte der Menschlichkeit riskiert? Tut mir leid – das kann ich einfach nicht. (Johanna Roth)

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Natürlich habe ich nie CDU gewählt – und bis Ende 40 hätte es viele Möglichkeiten dazu gegeben. Aber es ist einfach so, wie es der grüne Abgeordnete Konstantin von Notz nach der „Anne Will“-Sendung am Sonntagabend twitterte: „In Sachen #Flüchtlingskrise ist A. #Merkel tatsächlich aus einem ganz besonderen Holz geschnitzt – aus einem guten + europäischen.“

Es geht mir derzeit so wie vielen: Nach all ihren prinzipienlosen Eiertänzen in den vergangenen zehn Jahren erlebe ich Merkel erstmals als eine standhafte Politikerin: die mal wieder klüger ist als die meisten anderen ihrer Klasse, die zweitens aber für eine insgesamt gute, richtige und wichtige Politik ihre Kanzlerschaft zu opfern bereit ist. Und das flößt mir Respekt ein. Ich weiß, vieles davon ist genau ihr Kalkül. Aber so ist Politik. Ob ich für Merkel auch CDU wähle? Noch nicht. (Philipp Gessler)

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Was wäre Mutti nur ohne Vati? Neue Lebensformen hin oder her: In einer echten Krise wird das bürgerliche Baden-Württemberg wohl Schutz beim Bewährten suchen. In diesem Fall beim grünen Landesvater, der sich, wenn er seine Laubsägearbeiten beendet hat, in seinen Dienst-Benz schwingt und Mutti dabei hilft, Europa zu retten. Dem CDU-Mann trauen das die wenigsten zu. Guido Wolf gibt wohlfeile Treueschwüre für die Kanzlerin ab und unterschreibt gleichzeitig jedes neue Positionspapier von Julia Klöckner.

Vielleicht tut man Angela Merkel also sogar einen Gefallen, wenn Wolf bald Geschichte ist und als starker Mann in der Südwestunion Merkel-Gefolgsmann Thomas Strobl übrig bleibt. Und wenn es am Ende vielleicht für eine grün-schwarze Koalition reicht, wären sich Mutti und Vati so nah wie nie. Klingt alles ein bisschen muffig? Ja, aber am Ende wird es der bürgerlich-aufgeklärte Baden-Württemberger halten, wie es Kretschmann vormacht: für die Kanzlerin beten und Grün wählen. (Benno Stieber)

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