Zukunft des ÖPNV: Deutschlandticket trägt sich finanziell selbst
CDU und SPD streiten um Geld für das 58-Euro-Ticket. Dabei übersteigt sein volkswirtschaftlicher Nutzen seine Kosten, zeigt eine Studie.

„Unterm Strich trägt sich das Deutschlandticket selbst“, sagt Marissa Reiserer, Studienautorin und Verkehrsexpertin von Greenpeace, „Es ist ein Gewinn für Gesundheit, Klima und Gesellschaft.“
Der Umstieg vom PKW auf den öffentlichen Nahverkehr vermeide viele auf die Gesellschaft ausgelagerte Folgekosten der Automobilität, argumentieren die Studienautor:innen. Jeder Kilometer, der mit der Bahn und nicht mit dem Auto gefahren wird, reduziert etwa den CO₂-Ausstoß, senkt das Risiko für Unfälle und mindert gesundheitliche Schäden durch Luftverschmutzung.
All diese Faktoren zusammen betrachtet, hat das Deutschlandticket der Studie zufolge im ersten Jahr seines Bestehens zu volkswirtschaftlichen Einsparungen in Höhe von fast 4 Milliarden Euro geführt. Demgegenüber standen Finanzierungskosten von lediglich 3,45 Milliarden Euro.
Versteckte Kosten des Autofahrens
Den Wert ermittelten die Autor:innen, indem sie die ausgelagerten Kosten des Autoverkehrs in verschiedene Kategorien aufteilten. Darunter fallen Faktoren, die sofort zu Einsparungen führen, wie etwa die Verringerung von Treibhausgasemissionen, Luftschadstoffen, Unfällen und Stau.
Diesen Kategorien ordneten die ein Durchschnittswert pro gefahrenen Autokilometer zu. Beispielsweise verursachen Unfälle jährlich Kosten in Höhe von fast 60 Milliarden Euro, die nicht von Versicherungen abgedeckt sind. Pro Kilometer ergeben sich daraus ausgelagerte Kosten von 6,4 Cent.
Diese Durchschnittswerte multiplizierten die Autor:innen mit der mutmaßlichen Verringerung des PKW-Verkehrs durch das Deutschlandticket. Da die bisherigen Untersuchungen über den Effekt der Nahverkehrsflatrate zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen, orientierten sich die Wissenschaftler:innen am unteren Ende der Forschungslage. Demzufolge gingen die Autor:innen davon aus, dass das Deutschlandticket im ersten Jahr seines Bestehens für einen Rückgang der gefahrenen Autokilometer um 7,6 Prozent sorgte.
Weitere Einsparpotenziale ergeben sich aus mutmaßlichen langfristigen Effekten eines dauerhaften Deutschlandtickets: Wenn etwa durch den Umstieg auf die Bahn Straßen nicht gebaut werden oder Menschen gänzlich aufs Auto verzichten, führe das zu einer weiteren Verringerung des CO₂-Ausstoßes. Bezieht man diese langfristigen Faktoren mit ein, erhöht sich das Einsparpotenzial sogar auf 4,88 Milliarden Euro pro Jahr.
Je günstiger, desto besser
Die volkswirtschaftlichen Einsparungen durch das Ticket potenzieren sich, je mehr Menschen das Ticket nutzen. Dies ließe sich wiederum am einfachsten durch einen günstigen Preis erreichen. Greenpeace rechnet die Ersparnis für ein hypothetisches 29-Euro-Ticket durch: Die jährlich eingesparten Folgekosten könnten sich in so auf 10,7 Milliarden Euro mehr als verdoppeln, während die Finanzierungskosten bei 5,2 Milliarden lägen.
„Das Deutschlandticket gehört langfristig auf einem niedrigeren Preis gesichert“, resümiert Reiserer. Das im Zwischenbericht der Koalitionsverhandlungen geleakte Vorhaben der Koalitionäre, den Ticketpreis ab 2027 deutlich zu erhöhen, kritisiert sie scharf: „Das ist die völlig falsche Richtung“.
Auch für das Argument, das Deutschlandticket würde Autofahrer:innen benachteiligen, äußert die Greenpeace Expertin wenig Verständnis: „Die Autofahrenden zahlen einen Großteil der Kosten, die sie verursachen, nicht selbst. Jede Person, die auf den ÖPNV umsteigt, spart der Gesellschaft Kosten.“
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