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Illustration: Mathias Hühn

Wortschöpfungen aus dem SprachkursAbc für Ukrai­ne­r*in­nen

Jagt man in Deutschland Pilze? Wann schneidet es draußen? Ein neuwortreiches Win-win-Abc aus dem Sprachkurs für Ukrainerinnen.

F ür einen professio­nellen Journalisten ist es Alltag, Buch­staben zu Wörtern und dann zu sinnvollen Sätzen und Texten zu komponieren – zur Aufklärung, zum Lernen, zur Unterhaltung. Sprache als Mittel für Zwecke. Da kam der Deutschkurs für Ukrainerinnen gerade recht. Sprachkompetenz mal direkt zweckeinsetzen.

Unser wöchentlicher kleiner Ukraine-Sprachtreff, initiiert von der Bürgerstiftung Lebensraum Aachen, hat keine Unterrichtsmaterialien, keine vorgegebenen Regeln. Es wird gequatscht, Thema egal; Hauptsache Mund auf und üben, Learning by Doing. Mit manchen meiner Ukrainerinnen (sehr vereinzelt mal ein Ukrainer) ist es mühsam, meist aber erstaunlich flüssig. Mal erzählt Galyna etwas, mal frage ich, dann will Svetlana etwas wissen oder eine der vielen Oksanas. Grammatik und Regeln sind Schwerpunkte in den Kursen der Sprachschulen, die alle seit zwei Jahren machen, für ihre Zertifikate. Und was soll ich sagen: Ich habe selbst verblüffend viel gelernt. Ein Win-win-Abc für alle.

A wie Aachen. Das ist unser Lernort, das kleine Büro der ukrainischen Community. Gut 3.000 Geflohene sind in Deutschlands Westzipfel, eine Handvoll kommt montags zum Sprachtreff, erzählen, fragen, beidseitig Neues lernen.

B wie bremsen. „Abends bremst das Licht“, sagt Maryna einmal. Gemeint war brennen. Andererseits na­he­lie­gend:­ Licht bremst die Dunkelheit aus.

C wie ch. Ganz schwieriger Klang. Aachen sprechen alle Sprachschülerinnen mit weichem ch aus, ähnlich China. Ein kehliges ch gelingt nur mühsam. Als ich sage, China spräche man in Bayern wie Kina, ist die Verwirrung komplett. Könne man doch auch Aaken sagen, meint eine. Dann ist man schon nah beim niederländischen Aken.

D wie der, die, das. Slawische Sprachen kennen keine Artikel; die sind in die Substantive integriert je nach Fall: Ukraine, Ukraina … Also lassen die Teilnehmerinnen sie auf Deutsch auch gerne weg. Da muss der Lehrer einschreiten, manchmal reicht auch ein ironisch-strenger Blick. Schon kommt: „O ja, ich gehe in die Stadt“, statt „Ich gehe in Stadt“.

E wie essen. Siehe I wie Ingredienzen und J wie Jägerschnitzel

F wie Fottlouch. Ist die Aachener Version von Arschloch, Fott halt der Hintern. Solche lokalen Feinheiten sollen die Damen auch lernen. Hören es, schreiben es auch auf, trauen sich aber nicht recht, das selbst zu benutzen.

Illustration: Mathias Hühn

G wie großschlank. Als wir einmal über dünn, schlank, dick reden, sagt kokett die etwas füllige Oksana: „Ich bin großschlank.“ Wie soll man auch auf das Wort vollschlank kommen?

G wie gute Gruppe. „Guten Tag Gruppe“, schreibt eine auf Whatsapp. Eine besondere und sehr charmante Anrede. Nachricht: Sie könne leider nicht. Philosophische Antwort einer anderen: „Ich werde heute sein.“

H wie Herr. Apropos Anrede. „Warum schreibt man in Brief Herr und Frau?“, fragt eine. „Muss es dann nicht Dame heißen?“ Tja, hmmm … Nicht schlecht! Ist wenig logisch, aber halt Usus, Gewohnheit. Und diskriminierend. Damenrechtlerinnen, nehmt euch des Themas mal an!

I wie Ingredienzen. „Fisch salz-sauer“, den Julyka so liebt, ist leider unüblich, sage ich. „Warum?“ Tja, immer muss ich unsere Sprache verteidigen, „es gibt nur die Kombination süß-sauer, sonst halt salzig oder sauer.“ Beim Thema Essen folgt dann ein Moment, der mich zunächst sprachlos macht:

J wie Jägerschnitzel. „Was ist ein Jägerschnitzel?“, fragt eine. Meine arglos neunmalkluge Antwort: „Ein Schnitzel mit Pilzen, oft mit Sahnesauce.“ – „Aber warum Jäger? Jagt man in Deutschland Pilze?“ Der Unfug war mir noch nie aufgefallen. Nun werden auch keine Jägersleut paniert, sondern es liegt angeblich daran, dass Pilze im Wald, also dem Revier der Jäger, wachsen. Siehe auch W wie Wildschweinschnitzel. Was eine Schnitzeljagd ist, muss ich demnächst mal ansprechen.

K wie Kommunikation. Es sei gut „zu kommunikatieren“, sagt eine mal. Ja, könnte sein. Heißt aber kommunizieren, sage ich.

L wie Learning by Doing. Siehe F wie Fehler.

M wie Murphy’s Law. Das übersetzt Irynas App mit „Gesetz der Gemeinheit“. Interessant, gar nicht so schlecht.

M wie Maarkstrickste. „Ich war Sonntag in Maarkstrickste.“ Bitte, Marx trickste? Kommt jetzt postsowjetische Kommunismuskritik? Nein, Iryna II wollte erzählen, dass sie in Maastricht war. Wir üben die Aussprache, mit richtiger Betonung hinten auf tricht. Schnell folgt die Frage: Was ist tricht? Trichter? Nein, der Name stammt vomlateinischen Mosae Traiectum („Maasübergang“) ab und geht auf die von den Römern errichtete Brücke zurück. Maastricht ist die älteste Stadt der Niederlande.

M wie Mädchen, das. Warum sagt man das Mädchen, fragt eine. Tja. Manchmal siegt halt das grammatikalische Geschlecht über das natürliche. Tut mir leid: Muss man halt wissen und lernen. Genauso wie andersherum Anastasiia oder Nataliia. Schreiben sich mit zwei i. Warum, frage jetzt ich, eines reicht doch. Ist so, höre ich, muss man halt wissen.

N wie Nordlicht. In der Nacht waren Polarlichter bis in unsere Gegend zu sehen. Ein Aufregerthema. Eine hatte als Kind ein paar Jahre weit im Osten Sibiriens gelebt („gleich Alaska daneben“) und schwärmt vom Polarlicht: „Ich habe Nordlicht-Charakter.“ Tolles Wort, sage ich. „Das ist doch google-gut, oder?“, antwortet sie.

O wie Oksana. So heißen offenbar alle Ukrainerinnen, die nicht Iryna heißen. Zeitweilig waren mal drei von sieben Teilnehmerinnen Oksanas.

P wie Pixibuch. Lesen in Pixibüchern gehörte auch mal dazu. Eine Kindergeschichte spielte am Meer, es ging um ein aufblasbares Krokodil und einen Hai. Großes Gekicher rundum. Wegen des Hais, des Krokodils? Und warum? Heißt auf Russisch Schwanz, kichert eine, im Sinne von … – Sie wissen schon. Richtig erklären wollte es keine. Kicher, giggel, lach. Na gut, Deutschkurse müssen auch Spaß machen, bitte sehr.

P wie Plural. Tja, zum Beispiel Bier. „Nach drei Bier bin ich betrunken.“ Warum nicht nach drei Bieren, sind doch mehrere? Zwei verschiedene Weine, aber zwei Sorten Wein. Gut, da steckt der Plural im Wort „Sorten“, aber … Können wahrscheinlich Germanistik-Drittsemester erklären, ich nicht. Ich möchte auch kein Deutsch lernen müssen. Apropos Getränke: Sekt heißt auf Ukrainisch Champagnskoye. Na, sage ich, wenn ihr in die EU wollt, müsst ihr einen neuen Namen suchen. Champagner gibt es gebiets­geschützt nur aus der Champagne, nicht ausder Ukrapagne.

Q wie: siehe X wie auch Y.

R wie relaxen. „Deutsche arbeiten viel und gern.“ Die Beobachtung von Oksana II ist mäßig überraschend. Zusatz: „Und sie relaxen so gut.“ Ach! „So viele Menschen in Cafés, so viel Pause.“

Illustration: Mathias Hühn

S wie schneiden. „Da, es schneidet“, sagte eine zwischendurch. Sie hatte nach draußen gezeigt. Schnee fiel.

S wie Sonne. Svetlana sagt, sie fände das deutsche Wort sonnenbaden so schön. Baden in der Sonne. Stimmt!

S wie sprechen. Oksana III lobt „das Gesproch“. Sie meint Gespräch. Hätte aber auch Gesproch heißen können. Pech gehabt. Und dank Gespräch wieder so ein teuflischer Umlaut, hier ä. Siehe auch U wie Umlaute.

T wie Tschüss und Tschö, wa. Umgangssprache (siehe auch F wie Fottlouch) soll zwischendurch immer mal dazugehören. Die Damen sollen ja nicht als Grammatik-Asse weitermachen, sondern sich im Alltag zurechtfinden. Also zum Beispiel die Grußbegriffe Tschüss und Tschö kennen und das Aachen-typische „Tschö, wa“. Klappt muhsam, dann immerhin mühsam. Eine halbe Stunde später sagt eine strahlend beim Herausgehen, als wäre sie gebürtige Aachenerin: „Bis nächste Woche. Tschö, wa!“

T wie Tischchen und Teppichchen. Solche Wörter bereiten besondere Mühe. Sag doch kleiner Tisch oder Teppich, schlage ich vor. Den Deutschlernenden kommt Aachen manchmal zugute, nicht weil man hier in rheinischer ch-sch-Verwirrung Tichschen sagen würde, nein: AachenerInnen sind maulfaul. Im Aachener Dialekt sagt man seit Ewigkeiten statt Mittwoch: Mi’woch. Reicht doch, versteht jedeR, warum der Zunge unnötige Purzelbäume zumuten. Der kurze Sprechhüpfer im Mi’woch ist übrigens die gleiche Glottisschlag genannte Pause, die man beim Gendern macht, etwa bei „Liebe Leser-innen“. Aachener-innen können sich somit, so sie diese Zusammenhänge kennen würden, als stolze Erfinder-innen des Genderns fühlen.

U wie Umlaute. Sind für Ostsprachensprechende die Hölle, wegen des ö. Wir üben die Holle bis zur Hölle. Klappt. Das „Tschö, wa“ hatte schließlich auch geklappt.

V wie verbessern. Gravierende Fehler verbessere ich kurz. Das finden alle gut. Hilft ja. Und, sage ich immer: Versucht’s! Macht falsch, was nur geht! Fehler, die ihr hier macht, passieren euch draußen nicht mehr oder zumindest seltener. Und ich ermuntere, sich gegenseitig zu korrigieren. „Ich glaube, Iryna“, fährt ihr Svetlana mal dazwischen, „du musst sagen: Wir gehen nach draußen, nicht zu draußen.“

W wie Wildschweinschnitzel. Damit der Jagdcharakter beim Jägerschnitzel (siehe J) berücksichtigt wird, kommt der Vorschlag, es müsse wenigstens ein Wildschweinschnitzel in der Pfanne liegen. Gute Idee, aber die Pilze würde das immer noch nicht erklären. Yulia macht den Vorschlag, dass wir alle mal gemeinsam Pilze jagen gehen, im nahen Wald. Gesagt, getan: Die Jagdausbeute geriet indes dürftig. Und so durfte ich mannigfaltige Lobpreisungen ukrainischer Wälder hören. Offenbar müssen sich Bäume dort mühen, Platz zum Wachsen zu finden inmitten all der Steinpilzteppiche, sage ich. „Was ist Steinpilzteppich?“

W wie Weißpilze. Unser Jagdausflug endete mit der Erkenntnis, dass Steinpilze auf Ukrainisch übersetzt Weißpilze heißen. Deutlich passender. Was soll auch ein Stein in diesem göttlich köstlichen Pilz? Iryna III zeigt ein Foto ihrer Tochter, mit einem Riesen-Weißpilz, mindestens ein Dreipfünder, gefunden bei Monschau. Pilztechnisch ist die Eifel offenbar die Ukraine Deutschlands.

X wie auch Y. Kamen nicht nennenswert vor.

Z wie zusammen lernen. Dieser Text geht nach Erscheinen auch an meine Ukrainerinnen. Mögen wir alle etwas lernen.

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18 Kommentare

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  • Also das mit dem Jägerschnitzel ist streng genommen unvollständig. Ein Jägerschnitzel in den Ostbundesländern ist wohl eine panierte Jagdwurstscheibe. Musste ich jedenfalls traurig lernen in einer Kantine in Cottbus.

  • Als an den Niederrhein emigrierter Oberpfälzer sind mir die "Schtolpaschtoina" der deutschen Sprache, inklusiver ihrer regionalen Ausprägungen sehr präsent.

    Im Übrigen finde ich des A-Z sehr "sümmbadisch". "Senks Good!"

  • Maastricht (lat. Mosae Traiectum). tricht = Trichter? Nein... doch! wiktionary- Artikel Trichter:

    frühneuhochdeutsch trehter, spätmittelhochdeutsch trahter, mittelhochdeutsch trihter, althochdeutsch trahtāri, trahteri, thretāri, trehteri, trihteri, im 11. Jahrhundert von gleichbedeutend lateinisch trāiectōrium → la entlehnt[1] bzw. von lateinisch trāiectiō → la „Übergang“[2]

  • Das Problem mit den Umlauten kenne ich auch von syrischen Geflüchteten.Dazu gibt es Übungen.



    Witzigerweise spricht sich zum Beispiel das ü leichter, wenn man von i ausgeht und nicht, wie es naheliegend scheint, von u., also iiiiüüüü



    Einfach mal ausprobieren ;-)

  • Zu "S wie schneiden": In Bayern sagt man "schneiben", also "Es schneibt".

  • Wenn man selbst mal etwas Sprachkurs für ukrainische Flüchtlinge versucht hat, findet man sich in dem Artikel sofort wieder. Wunderbar!

  • Fremd in der Stadt, fragen wir nach dem Weg. "Da hinten, an der Lampe, müssen Sie links gehen" , sagt uns die freundliche Dame - mit der wir dann, nachdem wir unser Schmunzeln erklären und sie uns über ihre Herkunft Ukraine aufklärt, herzlich lachen. Sie meinte "Ampel".

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Jagt man in Deutschland Pilze?" Die einen sagen so, die anderen so. Weil:



    de.wiktionary.org/...oden_schie%C3%9Fen



    Na, dann wird halt zurückgeschossen. Ab wann? Keine Ahnung. Uhr kaputt.

    • @95820 (Profil gelöscht):

      Traumhaft 🙂🎩👍

      • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

        ...muß mich anschließen - einfach die 👑 ung 🙃😉

  • Die dicksten Weißpilze gibts natürlich rund um Pripyat.

  • Ich möchte nicht klugscheissern, aber..



    Das Pendant zu "Mann" ist "Weib", das Pendant zu "Herr" ist "Frau"; und "Dame" ist das französische Pendant zu "Monsieur".



    Das "Mädchen" ist neutrum weil es der Diminutiv von "Maid" (femininum) ist, so wie das "Jungchen" neutrum ist weil es der Diminutiv von "Junge" ist.

    • @Slartibartfast:

      Um genau zu sein: "Frau" geht auf mhd. "frouwe" zurück, welches "Herrin" bedeutet und von der Wortbildung her dem gleichen Schema folgt: Man nehme ein Wort im Maskulinum und hänge eine Endung an - von "frô" (siehe"Fronleichnam") zu "frouwe".



      Nur ist durch den Import von "Dame" die "frouwe" auf einen niedrigeren sozialen Rang geschoben worden, wo sie wiederum das Weib (mhd. noch "diu wîp", als femininum!) verdrängt hat...



      Zu irgendwas muss mein Germanistikstudium ja gut gewesen sein ;-)

    • @Slartibartfast:

      Ich gebe zu Bedenken : Herrlich meint "wie bei einem (höhergestellten) Herrn" , nicht wie beim "gewöhnlichen Mann". Dann wäre das äquivalente Wort für Frauen "Dame", die ebenfalls als "höhergestellt" als ein Weib betrachtet wird.



      Und auch das Wort "Klugscheißer" bedeutet ja genau genommen den Verlust von Klugheit durch Stuhlgang. Ich wäre dadurch soeben dümmer geworden.

      • @Monomi:

        ...meinen Sie - ein Schlaumeier auf WC ? 😉 😂🤣😅

  • Bezüglich des Pixibuchs: Es ist der "Hai", warum auch immer (google mit safesearch hilft da nicht weiter). Ruft bei Bulgar*innen das gleiche Gegiggel hervor, aus demselben Grund.

    • @Tetra Mint:

      Das böse Wort lautet „Chuj“. Die Mutter aller russischen Mutterflüche. Und scheinbar auch aller ukrainischen. Und bulgarischen. (Oder Vaterflüche?). Chuj bedeutet wörtlich „Pimmel“ , oder „Schwanz“, und ist darüber hinaus, nach einem einschlägigen russischen Wörterbuch der Flüche und Schimpfwörter, Bestandteil von rund 500 Wortfügungen unterhalb der Standardsprache.

    • @Tetra Mint:

      Wahrscheinlich ähnlich wie bei Deutschen, als sie zum ersten Mal den Namen Johnny Depp gehört haben.