Wohnungsnot in Städten: Ein total normaler Lebensentwurf
Städter*innen bekommen oft zu hören, sie seien selbst Schuld, wenn sie keine Wohnung finden. „Zieht doch aufs Land“. Eine Verteidigung.
N iemand hat die Pflicht, auf’s Dorf zu ziehen. Einige Menschen haben Bock auf Landleben. Andere können sich in den Vororten verorten. Und dann sind da eben auch Leute, die brauchen die Stadt. Bedürfnisse sind unterschiedlich. Lebensentwürfe auch.
Ich bin ein Stadtmensch. In Kreuzberg habe ich angefangen, meine Haare offen zu tragen. Ich habe nicht vor, wieder in Haargummis zu investieren. Wie viel Raum meine Haare bekommen dürfen, ist nach wie vor ein Indikator dafür, wie sicher ich mich als Schwarze Frau an einem Ort fühle. Und ja: Das reicht als Grund, dort bleiben zu wollen.
Es gab Zeiten (noch gar nicht lange her), da war die Wohnraumfrage in meinem Umfeld ständiges Thema. Wohnungsnot, Wohnungssuche und überteuerte Mieten waren anerkannter Smalltalk vor dem Späti oder beim ersten Date. Stadtentwicklung, Wohnungs- und Mietenpolitik bestimmten die politischen Debatten meiner Stadt und führten viele Menschen und Gruppen zusammen, die sonst kaum Berührungspunkte hatten.
Menschen sind desillusioniert
Und für einen Moment fühlte es sich ein bisschen so an, wie Teil einer Bewegung zu sein, die tatsächlich etwas erreichen könnte: Als könnten viele der bedrohten Wohnhäuser, Kiezkneipen, Clubs und Kinderläden gerettet werden. Als könnten wir Berlin davor bewahren, eine anonyme Starbucks-Hölle zu werden, in der sich nur noch Airbnb-Gäste bewegen.
Einen gekippten Mietendeckel und einen erfolgreichen, aber nicht umgesetzten Vergesellschaftungs-Volksentscheid später ist die Berliner Mieter*innenbewegung müde und ich bin es auch. Es liegt wohl im existenziellen Kern der Sache, dass Menschen nach vielen Rückschlägen desillusioniert sind. Aber wann sind die Leute eigentlich so gemein geworden? Als ich den Hilferuf eines Freundes teile, der wegen einer unverschämten Eigenbedarfsklage seine Wohnung verliert, wird mir ausführlich erklärt, dass er doch Brandenburg in Betracht ziehen soll.
Warum? Was an „Ich suche eine Wohnung in Berlin“ habt ihr nicht verstanden? Auf meiner eigenen Suche bekam ich Ähnliches zu hören. Eine Bekannte warf mir außerdem „Kiez-Kult“ vor, weil ich möglichst in der Nähe meiner Freundinnen, meines Arbeitsplatzes und meiner Stammkneipe bleiben wollte. Und ja: Für viele bedeutet ein Umzug eben auch ein Stück Identitätsverlust. Ich habe gestandene Frankfurter nach Offenbach ziehen sehen. Es war nicht schön.
Es braucht Solidarität
„Zieht doch aufs Land“ oder „Selbst schuld, wenn man unbedingt in der Stadt wohnen muss“ sind wohl die häufigsten Kommentare unter Artikeln zur Mietenexplosion. Nichts Neues und umso irritierender, dass solche Sprüche nun auch von irgendwie linken Städter*innen kommen. Woher kommt diese Einstellung?
Nichts ist falsch daran, in der Stadt wohnen zu wollen. Es ist nicht elitär, nicht arrogant, nicht selbstverliebt. Es ist einfach ein total normaler Lebensentwurf. Niemand muss sich dafür rechtfertigen oder gar schämen. Eine Familie, die auch mit einem weiteren Kind noch im vertrauten Umfeld wohnen will? Das ist doch kein unverschämter Gedanke. Menschen kämpfen um eine Zweizimmerwohnung innerhalb des S-Bahnrings. Nicht für eine Villa im Grunewald mit Seezugang.
Es gibt weiterhin viel Solidarität. Die braucht es auch. Nicht nur für Durchschnittsverdienende wie mich und meine Friends. Viele Menschen sind in noch viel prekäreren Situationen und das ist an jeder Straßenecke sichtbar. Zynismus und Besserwisserei hilft da kein Stück weiter: Am 1. Juni ist Mietendemo in Berlin.
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