Wohlstand für die ganze Welt: Kann Wachstum klimagerecht sein?
Für den größten Teil der Welt ist Degrowth keine Perspektive. Wie können Klimaschutz und Entwicklung zusammengehen? Eine Analyse in fünf Schritten.
D ie Klimakrise kann verheerende Folgen haben, diese Erkenntnis ist in Deutschland mittlerweile in der Mehrheitsgesellschaft angekommen. Und politische Fragestellungen, die über viele Jahre ein Nischendasein fristeten, haben jetzt den Sprung in die große Öffentlichkeit geschafft, etwa: Muss die Wirtschaft angesichts der Klimakrise schrumpfen? Die Degrowth- oder Postwachstums-Bewegung proklamiert: Grünes Wachstum gibt es nicht – wir müssen weniger konsumieren, weniger produzieren, weniger emittieren.
Doch die Forderung nach einem Ende des Wachstums hat oft eine Leerstelle: Ihr fehlt die globale Perspektive. Grün schrumpfen oder grün wachsen, das wird in Deutschland für Deutschland diskutiert oder in den USA für die USA. Die Klimakrise aber schert sich nicht um nationale Grenzen. Das CO2-Budget kann man zwar auf einzelne Länder herunterrechnen, letztlich gibt es nur ein einziges: für die ganze Welt.
Kaum jemand bestreitet noch, dass die globalen Treibhausgasemissionen sinken müssen, und zwar stärker, als es die bisherigen politischen Maßnahmen bereits bewirken. Aktuell ist eine Erderhitzung um durchschnittlich 2,7 Grad wahrscheinlich. Das ist zwar besser als die mehr als 4 Grad, um die sich die Erde ganz ohne Klimaschutzpolitik erhitzen würde, aber es ist immer noch ein Szenario, in dem Milliarden Menschen unter Dürren, Fluten, Hitzewellen und Hungersnöten leiden werden.
Für einen großen Teil der Welt sind Hunger und Armut dabei nicht nur mögliche Zukunftsszenarien, sondern die bittere Gegenwart. Länder wie Deutschland oder die USA, mit einer hohen Wirtschaftsleistung und einem hohen CO2-Ausstoß, bilden global gesehen die Ausnahme. Die allermeisten Staaten auf der Welt sind ärmer, sie produzieren weniger – und emittieren weniger.
Was bedeutet es also für die Welt, wenn grünes Schrumpfen gefordert wird, weil grünes Wachstum nicht möglich sei? Was bedeutet eine solche Forderung für ein Land wie Gabun, in dem das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf seit 1990 um mehr als 20 Prozent gefallen ist?
Was bedeutet sie für ein Land wie Laos, wo sich die Wirtschaftsleistung pro Kopf seit 1990 vervierfacht hat, aber die Emissionen pro Kopf im selben Zeitraum auf das 23-Fache angewachsen sind? Gibt es für Länder, die bisher kaum zur Klimakrise beigetragen haben, ein Recht auf wirtschaftliche Entwicklung, auch wenn diese auf fossilen Brennstoffen basiert? Und wie viel Wirtschaftsleistung ist eigentlich notwendig, damit Menschen ein würdiges Leben führen können, egal ob in Deutschland oder Malawi?
Um diese Fragen zu beantworten, lohnt sich ein Blick auf die Zusammenhänge zwischen Wirtschaftsleistung, Treibhausgasemissionen und menschlichem Wohlergehen. Versuchen wir’s, in fünf Schritten.
Schritt 1: Je mehr Wirtschaftsleistung, desto mehr Emissionen
Wer etwas vergleichen möchte, muss es messen können. Sowohl für Wirtschaftsleistung als auch für Treibhausgasemissionen gibt es deswegen international anerkannte Maßeinheiten, die uns allen geläufig sind. Wirtschaftsleistung wird als Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessen, das bedeutet: Für einen bestimmten Zeitraum, zum Beispiel für ein Jahr, wird berechnet, was alle Waren und Dienstleistungen, die in einem Land in dieser Zeit hergestellt wurden, zusammen wert sind. Vorleistungen, die man braucht, um andere Güter und Dienstleistungen zu erzeugen, werden nicht mitgerechnet: Es zählt der Preis eines fertigen Stuhls. Der Preis einer Schraube, die in dem Stuhl verbaut wurde, ist bereits in den Preis des Stuhls eingeflossen und wird nicht noch einmal extra gezählt.
Treibhausgase sind Bestandteile der Atmosphäre. Sie bewirken, dass ein Teil der Wärme, die die Erde abstrahlt, nicht im Weltall verschwindet, sondern auf die Erde zurückgestrahlt wird und diese erwärmt. Weil diese Gase unterschiedlich viel Wärme absorbieren können und unterschiedlich lange in der Atmosphäre bleiben, hat jedes von ihnen ein anderes Treibhauspotenzial. Das macht Rechnungen dadurch oft sehr kompliziert, deshalb werden häufig nur die Emissionen von Kohlenstoffdioxid (CO2) betrachtet, dem häufigsten Treibhausgas.
Wenn man Länder miteinander vergleicht, ist es sowohl beim BIP als auch bei den Emissionen besser, diese Größen pro Kopf zu berechnen, damit der Vergleich nicht dadurch verzerrt wird, dass in dem einen Land viel mehr Menschen leben als in dem anderen. In unserer Grafik sind auf der vertikalen Achse die CO2-Emissionen pro Kopf dargestellt und auf der horizontalen Achse das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf.
Man sieht einen deutlichen Zusammenhang zwischen den beiden Faktoren: Länder, die eher unten eingetragen sind, also pro Kopf wenig Treibhausgase emittieren, stehen auch eher im linken Bereich der Grafik, wo das BIP pro Kopf niedrig ist.
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Wäre der Zusammenhang zwischen BIP und CO2 in jedem Land genau gleich, wären alle Länder-Punkte exakt auf einer Linie angeordnet. Das ist nicht der Fall, es gibt Ausreißer zu allen Seiten. Irland und Libyen stoßen zum Beispiel pro Kopf in etwa die gleiche Menge an CO2 aus, obwohl in Irland die Wirtschaftsleistung deutlich höher ist als in Libyen. Die Tendenz ist trotzdem klar: Je mehr Waren und Dienstleistungen produziert werden, desto mehr CO2 beziehungsweise Treibhausgase werden ausgestoßen.
Aber was bedeutet das für unsere Ausgangsfragen? Müssten wir dann nicht auf der ganzen Welt die Wirtschaftsleistung senken, um die Treibhausgasemissionen und damit die Erderwärmung zu reduzieren? Dafür müssen wir uns anschauen, wozu Wirtschaftsleistung eigentlich wichtig ist.
Schritt 2: Je höher die Wirtschaftsleistung, desto größer die Zufriedenheit
Mit dem Bruttoinlandsprodukt wird die Wirtschaftsleistung eines Landes gemessen, das hatten wir bereits. Doch oft wird das BIP auch als Indikator für andere Entwicklungen genommen: wie gut es einem Land geht, wie zufrieden seine Bewohner:innen sein können.
An dieser Verwendung des BIP, bei der mehr Wirtschaftsleistung immer als besser gilt, gibt es viel Kritik. Schließlich gibt es alle möglichen Faktoren, die für ein gutes Leben wichtig sind, aber nicht in das BIP einfließen: etwa, wie gerecht die Einkommen eines Landes verteilt sind, wie gut seine Krankenhäuser organisiert sind oder wie sicher es ist, abends auf die Straße zu gehen.
Dazu kommt, dass unbezahlte Arbeit nicht ins BIP einfließt und dass eine höhere Wirtschaftsleistung nicht immer bedeuten muss, dass es Menschen wirtschaftlich besser geht. Wenn das Feld, auf dem ein Dorf bislang Getreide für den Eigenbedarf angebaut hat, an eine Firma verkauft wird, die dort Baumwolle kultiviert, um sie woanders zu verkaufen, und den Arbeiter:innen dafür einen Hungerlohn auszahlt – dann steigt das BIP, aber die Menschen aus dem Dorf sind möglicherweise schlechter versorgt als vorher.
Manche Kritiker:innen gehen deswegen sogar so weit zu sagen, das BIP sage rein gar nichts darüber aus, wie gut es sich in einem Land leben lasse. Dann wird gern Bhutan als Beispiel genommen, gemessen am BIP eins der ärmsten Länder, dessen Bewohner:innen aber angeblich die glücklichsten der Welt sein sollen. Belegen lässt sich das allerdings nicht: Zwar versucht Bhutan tatsächlich, das Glück seiner Bevölkerung mit einem eigens dafür entwickelten Index für „Bruttonationalglück“ zu erfassen, doch es gibt keine Vergleichswerte aus anderen Ländern, mit denen man diese Zahlen interpretieren könnte.
Glück, Zufriedenheit, menschliches Wohlergehen: Die Diskussion, wie abhängig oder unabhängig diese Faktoren von der Wirtschaftsleistung eines Landes sind, wird dadurch erschwert, dass es nicht einfach ist, sie überhaupt zu messen.
Es gibt Statistiken dazu, wie Menschen ihre eigene Lebenszufriedenheit auf einer Skala von 1 bis 10 einschätzen, aber die sind nicht ohne Probleme: Vielleicht gebe ich mir heute für meine Lebenszufriedenheit 7 von 10 Punkten, aber wenn ich morgen noch einmal befragt werde, wenn der Himmel grau ist und meine Milch gerade übergekocht, sind es nur noch 5 von 10. Auch gesellschaftliche und kulturelle Unterschiede, wie wir überhaupt über Zufriedenheit sprechen, können unsere Selbsteinschätzung beeinflussen. Zudem vergleichen wir uns eher mit unseren Nachbarn aus dem gleichen Land als gleich mit der ganzen Welt.
Um menschliches Wohlergehen zu messen, ist es deswegen am besten, wenn man sowohl auf die Selbsteinschätzung der Lebenszufriedenheit schaut als auch auf Faktoren, die leichter und objektiver zu messen sind.
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Wenn wir etwa von den Menschenrechten oder den Entwicklungszielen der UN ausgehen, können wir festlegen, dass eine geringe Kindersterblichkeit, ausreichende medizinische Versorgung oder der Zugang zu sauberem Trinkwasser zum menschlichem Wohlergehen beitragen. Auch die Chance auf ein langes Leben oder die Möglichkeit, nur so viel arbeiten zu müssen, dass noch Freizeit bleibt, sind Indikatoren, die uns dabei helfen können, menschliches Wohlergehen zu erfassen.
Setzt man also verschiedene dieser Faktoren in ein Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, so, wie wir es bereits mit den Treibhausgasemissionen gemacht haben, dann erkennt man auch hier einen klaren Zusammenhang: Je höher das BIP, desto besser sind die Werte bei unseren Indikatoren für menschliches Wohlergehen, egal ob Lebenszufriedenheit, Lebenserwartung oder einer der anderen.
Das heißt nicht, dass die Kritik an der Eindimensionalität des BIP unberechtigt wäre. Aber wir sehen, dass die Wirtschaftsleistung für viele unserer Wohlergehen-Faktoren nicht egal ist: In einem Land mit einem sehr geringen BIP, beispielsweise in Burundi, ist die Kindersterblichkeit höher, die Lebenserwartung wie auch die selbst eingeschätzte Lebenszufriedenheit geringer, der Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung oder sauberem Trinkwasser schlechter und die Zahl der Arbeitsstunden pro Person größer als in einem Land mit höherer Wirtschaftsleistung.
Für unsere Ausgangsfragen ist das ein Problem. Die Wirtschaft zu schrumpfen, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, könnte also dazu führen, dass es der Bevölkerung deutlich schlechter geht. Anders gesagt: Mit der Wirtschaftsleistung von Burundi hätte Deutschland zwar vermutlich ähnlich geringe Treibhausgasemissionen, aber eben auch eine höhere Kindersterblichkeit.
Nun behauptet aber keine Wachstumskritikerin und kein Klimaschützer, die ärmsten Länder der Welt sollten zum globalen Maßstab werden.
Wenn wir ausgehend von den Berechnungen des Weltklimarats IPCC annehmen, dass die Welt für die 1,5-Grad-Grenze ab etwa 2050 aufhören muss, Treibhausgase zu emittieren – eine eher optimistische Rechnung, die CO2-speichernde Technologien mit einschließt – dann hat jeder Mensch auf der Erde bis dahin ein Budget von etwa 3 Tonnen pro Jahr. Das sind deutlich weniger als die 8,1 Tonnen, die in Deutschland 2021 im Schnitt verbraucht wurden, aber auch deutlich mehr als in Burundi, wo der Pro-Kopf-Ausstoß 2021 bei nur 0,06 Tonnen lag. Dennoch: 3 Tonnen, das ist weniger als der weltweite Durchschnitt, der bei mehr als 4 Tonnen liegt.
Schritt 3: Immer noch mehr macht es nicht immer noch besser
Für manche Länder ist es aber sehr wohl möglich, die Wirtschaftsleistung zu senken, ohne dass es der Bevölkerung deswegen schlechter gehen muss. Der starke Zusammenhang zwischen der Wirtschaftsleistung und unserem Wohlergehen gilt nämlich nur bis zu einem bestimmten Punkt. So flacht etwa die Kurve, die den Zusammenhang zwischen Bruttoinlandsprodukt und Lebenserwartung darstellt, ab einem BIP von etwa 40.000 Dollar pro Kopf deutlich ab.
Das heißt: Steigert ein Land seine Wirtschaftsleistung über dieses Maß hinaus, hat das kaum noch positive Effekte auf die Lebenserwartung. Ähnliches gilt für andere Indikatoren: Der gesamten Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser zu gewährleisten, schaffen fast alle Länder bereits ab einem BIP von 20.000 Dollar pro Kopf, danach gibt es keine Steigerung mehr. Ab einem BIP von etwa 50.000 Dollar pro Kopf sind die Leute – beim Selbsteinschätzen auf einer Skala von 1 bis 10 – nicht zufriedener, wenn die Wirtschaftsleistung weiter steigt.
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Immer noch mehr ist also nicht immer noch besser. In allen Ländern, die über diesen Schwellenwerten liegen, wäre es möglich, die Wirtschaftsleistung und damit auch die Treibhausgasemissionen zu senken, ohne das Wohlergehen signifikant zu verringern. Deutschland, wo das BIP pro Kopf im Jahr 2020 gut 51.000 Dollar betrug, ist so ein Land.
Dass die Deutschen sich als zufriedener empfinden, wenn Deutschland sein BIP weiter steigert, ist unwahrscheinlich. In den USA gaben sich Menschen im Jahr 2003 durchschnittlich 7,5 von 10 Punkten für ihre Lebenszufriedenheit. Damals lag das BIP pro Kopf bei gut 54.000 Dollar. 2019 war es auf gut 62.000 Dollar gestiegen, aber die durchschnittliche Lebenszufriedenheit hatte mit 6,9 Punkten sogar etwas abgenommen.
Könnte es dann nicht vielleicht als Lösung ausreichen, die Wirtschaftsleistung global umzuverteilen? Würde es reichen, wenn alle Länder, die mehr produzieren, als für ein gutes Leben notwendig ist, etwas von ihrer Wirtschaftsleistung abgeben an die Länder, die noch unter den genannten Schwellenwerten liegen? Sodass die Wirtschaft insgesamt nicht wachsen muss und die globalen Treibhausgasemissionen nicht steigen?
Die Antwort lautet leider: nein. Durch den Vergleich unserer Indikatoren für menschliches Wohlergehen wie Lebenserwartung, Lebenszufriedenheit, Kindersterblichkeit oder Zugang zu Bildung können wir grob zu dem Ergebnis kommen, dass dieser Schwellenwert, ab dem ein höheres BIP nicht mehr zu einem besseren Leben führt, bei ungefähr 35.000 Dollar pro Kopf liegt.
Die meisten Länder haben das aber noch lange nicht erreicht: Der weltweite BIP-Durchschnitt lag im Jahr 2021 bei gut 12.000 Dollar pro Kopf. Selbst wenn also reiche Länder ihre Wirtschaft schrumpfen würden – global gesehen müsste sie trotzdem wachsen, wenn alle Länder ein BIP von 35.000 pro Kopf erreichen sollen.
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Dass die Wirtschaft wachsen muss, um Armut und Hunger, eine hohe Kindersterblichkeit oder mangelnden Zugang zu Bildung zu überwinden, ist ein Problem. Schließlich haben wir gesehen, dass mehr Wirtschaftswachstum auch mehr Emissionen bedeutet. Ein ganz schönes Dilemma, wenn wir beides wollen: für alle Menschen gute Lebensbedingungen schaffen und die Klimakatastrophe verhindern. Doch es gibt auch Überlegungen, die Lösungsansätze zeigen.
Schritt 4: Ungleichheit macht unzufrieden
Der Schwellenwert, ab dem mehr Wirtschaftsleistung nicht mehr ein noch besseres Leben bedeutet, liegt bei einem Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt von etwa 35.000 Dollar. Diese Annahme von uns stützt sich auf empirische Daten aus Gesellschaften, die es wirklich gibt. Wären diese Gesellschaften anders strukturiert, könnte diese Schwelle auch schon bei einem etwas geringeren BIP liegen.
Zum Beispiel, wenn Geld gerechter verteilt wäre. Die Frage, wie Glück und Ungleichheit zusammenhängen, wird wissenschaftlich heiß diskutiert, weil das Thema ideologisch aufgeladen und die Datenlage dazu sehr komplex ist. Jede Methode, diese Frage zu beantworten, hat deswegen auch ihre Schwächen. Aber in der Tendenz zeigen die meisten Studien, dass größere Ungleichheit tatsächlich dazu führt, dass Menschen weniger zufrieden sind. Es kommt also nicht nur auf die Höhe der Wirtschaftsleistung an, sondern auch darauf, wie der erwirtschaftete Reichtum eingesetzt und verteilt wird.
Schritt 5: Der Norden muss dem Süden grünes Wachstum ermöglichen
Vor allem eine Statistik macht Mut. Betrachten wir, wie sich die weltweite Wirtschaftsleistung und der Ausstoß von CO2 durch fossile Industrien über die letzten 30 Jahre verändert haben, sehen wir, wie die beiden Linien immer weiter auseinandergehen: Während die weltweite Wirtschaftsleistung weiter stark wächst, hat sich der Anstieg der CO2-Emissionen im Vergleich verlangsamt. Mehr Wirtschaftsleistung bedeutet also nicht mehr in dem Maß mehr Emissionen, wie es noch vor 30 Jahren der Fall war.
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Schaut man sich diese Entwicklung für einzelne Länder an, sieht man allerdings, dass das Ausmaß dieser Entkopplung stark variiert. Getrieben wird sie hauptsächlich von Industriestaaten wie beispielsweise Schweden oder Großbritannien. Dank Energiewende gelingt es in diesen Ländern, Wirtschaftsleistung und CO2-Emissionen zu entkoppeln. In vielen anderen Ländern basiert wirtschaftliches Wachstum nach wie vor hauptsächlich auf dem Einsatz fossiler Energien. Indien etwa plant, zur Steigerung seiner Wirtschaftsleistung in den nächsten Jahren noch deutlich mehr Kohle zu verfeuern als bisher.
Daraus folgt, dass es nur einen Weg gibt, in Ländern wie Indien Armut zu verringern und gleichzeitig die Klimakatastrophe zu verhindern: Auch in diesen Ländern muss Entkopplung, also grünes, auf erneuerbaren Energien basierendes Wirtschaftswachstum möglich werden. Dafür braucht es Geld. Es stimmt, dass die Klimakatastrophe viel teurer wäre als die Energiewende, und es stimmt, dass erneuerbare Energien auf lange Sicht günstiger sind als fossile Brennstoffe. Aber erst einmal muss für die Umstellung auf Erneuerbare investiert werden, das gilt in Deutschland genauso wie in Indien.
Für grünes Wachstum in armen Ländern braucht es also Geld, das diese Länder meist nicht haben. Einen Ausweg aus dieser Situation gibt es nur, wenn reiche Länder armen Ländern helfen, die Energiewende zu bezahlen. Aus einer globalen Gerechtigkeitsperspektive wäre das nur folgerichtig, schließlich sind es die armen Länder, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben und am härtesten von den Krisenfolgen betroffen sind. Aber wie sollen die Industriestaaten grünes Wachstum finanzieren, wenn sie ihre eigene Wirtschaftsleistung reduzieren müssen?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Dafür gibt es sehr wohl Möglichkeiten. Beispielsweise ein globaler Schuldenschnitt, wie ihn Hilfsorganisationen, Klima-Aktivist:innen und Entwicklungsforscher:innen längst fordern: Reiche Länder sollen armen Ländern ihre Schulden erlassen, damit diese Geld für Energiewende und Naturschutz haben, statt Zinsen und Tilgung an reiche Länder zahlen zu müssen. Eine Milliarde Euro Schulden könnte etwa Deutschland Pakistan erlassen, ein Land, das schon jetzt unter Flutkatastrophen leidet und gleichzeitig in einer tiefen Schuldenkrise steckt.
Auch Einnahmen aus einer CO2-Steuer könnten dazu verwendet werden, die Umstellung auf erneuerbare Energie in anderen Ländern zu finanzieren. Selbst wenn nur die reichsten Menschen in den Industriestaaten auf ihren enormen CO2-Verbrauch Abgaben zahlen würden, käme schon eine gute Summe zusammen: Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie hätte allein Großbritannien mehr als 143 Milliarden Euro eingenommen, wenn es vor 20 Jahren eine CO2-Steuer für das oberste Prozent der Top-Verdiener eingeführt hätte.
Fazit
Der Blick auf die globalen Verhältnisse macht deutlich: Postwachstum ist für Länder wie Deutschland ein wichtiger Impuls. Denn selbst wenn es gelingt, Wirtschaftswachstum und CO2-Emissionen zu entkoppeln, gibt es andere Faktoren, die unendliches Wachstum verunmöglichen, beispielsweise die Endlichkeit materieller Ressourcen. Vor allem aber führt mehr Wirtschaftsleistung in reicheren Ländern gar nicht mehr dazu, dass es Menschen besser geht.
Für den größten Teil der Welt aber ist es keine Option, nicht mehr zu wachsen oder gar zu schrumpfen. Degrowth in Deutschland muss deswegen um eine Perspektive für klimafreundliches globales Wachstum erweitert werden. Aus moralischen und aus Gerechtigkeitsgründen. Und auch, weil es sonst keine Lösung geben wird, die Klimakrise abzuwenden und Armut zu überwinden.
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