Wirbel um Schwangerschaftsabbruch: Abtreiben ist Menschenrecht
Dreihundert Abgeordnete wollen eine Neuregelung des § 218. Alles nur Wahlkampf? Die Selbstbestimmung über den Uterus kommt wieder zu kurz.
D er Schwangerschaftsabbruch soll neu geregelt werden. Völlig unvermittelt und ohne parlamentarischen Vorlauf hat eine Abgeordnetengruppe von Grünen und SPD im Bundestag einen Reformvorschlag eingebracht. Der Strafrechtsparagraf 218 soll gestrichen werden. Das überrascht. Soll damit polarisierender Wahlkampf gemacht werden?
Hat doch die scheidende Ampel ihrem Anspruch auf Fortschritt in Frauenfragen nicht genügt. Die Förderung von Projekten gegen Gewalt an Frauen und die steigende Anzahl an Femiziden sowie das Handeln gegen Zwangsprostitution fehlten.
Nun soll ein historisches Frauenthema, die Streichung des § 218, im Eilverfahren „abgearbeitet“ werden. Im Schnelldurchlauf ist so eine Menschenrechtsfrage nicht zu behandeln. Es braucht mehr Raum und Zeit, um angemessen zu diskutieren.
Schließlich geht es um das Frauenbild, das die bisherige Verfassungsrechtsprechung prägte. An diesem sind seither alle Versuche, den § 218 zu streichen, gescheitert. Denn der Lebensschutz des Ungeborenen wurde darin über das Selbstbestimmungsrecht der Frau gestellt.
Das Grundrecht auf Gleichstellung wird der Frau da, wo sie offenkundig „das andere Geschlecht“ ist, durch eine Gebärpflicht verletzt. Diese biologistische Festlegung ist die menschenrechtliche Frage, um die es eigentlich gehen muss.
Freiheit bis zur zwölften Woche
Mit der vorgeschlagenen Regelung soll die Frau künftig zwar straffrei, der Schwangerschaftsabbruch aber weiterhin rechtswidrig sein. Für Fragen nach der zwölften Woche soll das Schwangerschaftskonfliktgesetz den Rahmen vorgeben.
Zählt bis zur zwölften Woche ihr Selbstbestimmungsrecht, wird es mit fortschreitender Schwangerschaft schwächer und an das Recht des Embryos und Fötus gebunden. Das ist neu. Aber keine Abkehr vom Frauenbild, das es zu überwinden gilt.
Was zunächst wie eine pragmatische Lösung erscheint – Fristenregelung in den ersten drei Monaten und Straffreiheit – ist angreifbar. Wird der Frau in der gesamten Schwangerschaft die freie Entscheidung, ob sie Mutter werden will, zugestanden? Das ist zu bezweifeln.
Konkurrenz zwischen Embryo und Frau
Hier wird die Konkurrenz zwischen Embryo und Frau erneut nicht aufgehoben. Mit der Festlegung, den Embryo bis zur zwölften Woche aus dem Lebensschutz auszuschließen, kann man zwar den Stichtag für eine erleichterte Abtreibung begründen.
Aber die Frage, ob die Selbstbestimmung über die körperliche Integrität und Emanzipation als das menschenrechtliche Argument ausschlaggebend ist, bleibt beantwortet.
Das ist nicht unwesentlich. Hat doch das Bundesverfassungsgericht in einer anderen Grundsatzentscheidung – zur Befürwortung von Sterbehilfe – die Autonomie in die unantastbare Menschenwürde eingebunden. Daher muss man heute fragen: Kann die Gebärpflicht, in welcher Form auch immer, überhaupt menschenrechtskonform sein?
Neuer Rechtsstatus für Embryo
Die Initiatorinnen des Reformvorschlags orientieren sich an der ExpertInnenkommission der Bundesregierung. Diese schlägt die generelle Straffreiheit für die Frau vor, favorisiert – und das ist neu – ein „gestuftes Würdekonzept“ für den Embryo im Uterus.
Begründet wird das von den ExpertInnen mit seinem Entwicklungsgrad bis zur zwölften Woche. Ab dann vergrößere sich der Grundrechtsstatus des Fötus. Im Verlauf der Schwangerschaft nimmt die Selbstbestimmung der Frau also stetig ab.
Doch wie lassen sich unterschiedliche Grundrechte des Embryos begründen? In der frühen Phase des Lebens wird schließlich nicht unterschieden, ob sich der Embryo im Labor oder Uterus entwickelt.
Das Embryonenschutzgesetz garantiert die Menschenwürde des Ungeborenen. Wird die Fristenregelung das ändern? Der Gedanke drängt sich auf, ob das ein Türöffner für das Forschen am menschlichen Embryo ist. Ob die Abgeordnetengruppe dieses Ziel verfolgt, ist nicht bekannt.
Anachronistisches Frauenbild bleibt
Was bewegt sich nun im Vergleich zum Status quo? Die Straffreiheit. Sie ist eine wichtige, aber nicht die einzige emanzipatorische Herausforderung. Es geht ebenso um das Menschenbild der Frau; um eine Patriarchats- und kulturkritische Auseinandersetzung und um die besondere Geschichte des Abtreibungsrechts in Deutschland.
Die prinzipielle Gebärpflicht braucht eine Aufarbeitung. Der § 218 ist von einer anachronistischen Ideologie von Mutterschaft geprägt. Die DDR hatte mit ihrem Abtreibungsrecht die Entmündigung der Frau aufgehoben. Dieses moderne Frauenrecht überlebte die Wiedervereinigung nicht.
Es ist ein größerer Bogen zu schlagen, wenn heute über eine Reform des Schwangerschaftsabbruchs zu reden ist. Klare, menschenrechtliche Argumente im Interesse der Frauen sind vonnöten, nicht nur, aber gerade weil am rechten Rand Frauenfeindlichkeit auflebt.
Neues Gesetz wirft Fragen auf
Die Bedenken gegen den Reformvorschlag beziehen sich nicht nur auf den eiligen politischen Stil, sie beziehen sich auf den Gesetzestext selber. Viele Fragen wirft er auf.
Und im Ergebnis bliebe das biologistische Frauenbild nicht erschüttert, und das Embryonenschutzgesetz stünde bei einem gestuften Rechtsstatus des Embryos zur Diskussion. Was wäre mit dieser Fristenregelung also gewonnen?
Ohne fundamentalistische Anmutungen müssen diese Überlegungen nun morgen im Bundestag erörtert werden. Bevor ein so wichtiges Rechtsthema zur Abstimmung gestellt wird, muss Gelegenheit bestehen, sich gesellschaftlich und im Parlament der Werte zu vergewissern, auf denen ein zeitgemäßes Frauenrecht gründet.
Gerade bei kontroversen Positionen ist es geboten, ein respektvolles Klima zu schaffen. Ob eine Schwangere bereit ist, Mutter zu werden, kann einzig ihre Entscheidung sein. Dieses Postulat gilt es, in eine Gesetzesreform einzubringen.
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