Wahlkampf vor Bohrplattform: Grüne nehmen Kurs auf Gasausstieg
Umweltministerin Steffi Lemke und Grünen-Parteichef Felix Banaszak warnen vor den Folgen von Gasförderung für Klima und Natur. Die fossilen Pläne dürften nicht Realität werden.
![Eine Frau und ein Mann auf einem Schiff vor einer Bohrinsel Eine Frau und ein Mann auf einem Schiff vor einer Bohrinsel](https://taz.de/picture/7517929/14/IMG-3003-1.jpeg)
Noch zwei Wochen bis zur Wahl, und die Grünen sehen die Bewältigung der ökologischen Krisen im Wahlkampf über Bord gegangen. Banaszak will das ändern. Deshalb besuchen er und Lemke Borkum – und setzen mit einer Bootsfahrt ein Zeichen gegen die geplante Gasförderung vor der Küste.
Klimapolitisch falsches Signal
Der Ort ist bewusst gewählt: Das niederländische Unternehmen One-Dyas hat die Genehmigung erhalten, hier ein Gasfeld zu erschließen. Nur das Unterseekabel zur Stromversorgung der Plattform fehlt noch. Doch seit zwei Jahren regt sich Widerstand: Umweltverbände, Klimaschützende und Inselbewohner*innen protestieren gegen das Projekt vor der ostfriesischen Insel. Wissenschaftler*innen und Energieexperten an Bord der Grünen Ausfahrt zeigen sich besorgt.
„Neue Gasfelder in Deutschland sind weder notwendig noch sinnvoll“, kritisiert Simon Müller, Berater für Klima- und Energiepolitik. „Klimapolitisch senden sie ein völlig falsches Signal.“ Die geplante Fördermenge von 5 bis 13 Milliarden Kubikmetern klinge viel, doch allein im vergangenen Jahr wurden Windkraftanlagen genehmigt, die das 15- bis 45-Fache an Wärme liefern könnten. Zudem sinke die Gasnachfrage in Deutschland, während sich auf internationalen Märkten eine Überversorgung abzeichne. „Dieses Projekt wird schlicht nicht gebraucht.“
Der Meeresbiologe Lars Gutow vom Alfred-Wegener-Institut warnt vor den ökologischen Risiken: Der Eingriff in die sensible Natur sei zu groß, seltene Riffe und die Artenvielfalt unter Wasser würden gefährdet. Es bestehe die Gefahr von Hohlräumen und Erdbeben. Peter Richter, Besitzer eines denkmalgeschützten Hauses auf Borkum, sorgt sich um den Tourismus: „Jeder Borkumer arbeitet direkt oder indirekt in der Branche. Wird hier eingegriffen, sind Existenzen in Gefahr.“
Mara Kleine von Fridays for Future und Mitglied im Bundesvorstand der Grünen Jugend formuliert es noch schärfer: „Es ist offensichtlich absurd, mitten im Nationalpark Wattenmeer ein Gasfeld zu errichten. Wir brauchen und wollen es nicht. Distanzieren wir uns und verhindern es“, fordert sie die Grünen-Spitze auf.
![Eine Gruppe Menschen schaut besorgt aus dem Fenster eines Schiffes Eine Gruppe Menschen schaut besorgt aus dem Fenster eines Schiffes](https://taz.de/picture/7517929/14/IMG-2984-2.jpeg)
Als die Gasplattform in Sicht kommt, wollen Banaszak und Lemke dem nachkommen. Doch dreieinhalb Meter hohe Wellen schaukeln die Fähre hin und her. Gischt peitscht über das Deck, Banaszak und Lemke klammern sich an die Reling.
Grüne fordern Gasausstieg bis 2035
Beim Landgang auf Borkum verkünden die beiden dann, dass sich die Grünen für einen bundesweiten Öl- und Gasausstieg bis 2035 einsetzen wollen. Im Bundestagswahlprogramm fehlt diese Passage bislang, dort ist nur die Rede davon, die Nutzung von fossilem Gas „schrittweise“ zu reduzieren und „so schnell wie möglich, spätestens bis 2045“ auszusteigen, um die Klimaziele zu erreichen.
Lemke verweist auf Fortschritte beim Meeresschutz in dieser Legislaturperiode: ein Aktionsprogramm zur Renaturierung, die erste Nullnutzungszone auf See. „Aber es kommt darauf an, dass wir diese Schritte nicht wieder rückgängig machen, sondern ausbauen“, sagt sie. „Es geht vor Borkum nicht nur um Natur- und Klimaschutz – sondern auch um den Schutz unserer Heimat.“
Geht es nach den Grünen, dürfte die Plattform nicht in Betrieb gehen. Die Gasförderung sei ein „Symbol für verfehlte Energiepolitik“, sagt Parteichef Banaszak, die Alternative – der beschleunigte Ausbau der Erneuerbaren – längst vorhanden.
Jakob Blasel, Co-Vorsitzender der Grünen Parteijugend, wertet das als Erfolg der Klimabewegung Fridays for Future und der Grünen Jugend, die seit Monaten in der Frage Druck auf die Partei gemacht haben. Allerdings hatte Vizekanzler Robert Habeck in der Ampelkoalition selbst für den Ausbau der Gasinfrastruktur gesorgt.
Genehmigung für Unterseekabel fehlt
Doch der wahre Gegner sitzt nicht mit an Bord. Die Gaslobby, Union und FDP sehen in der heimischen Gasförderung eine notwendige „Brückentechnologie“. Auch Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil, der eine rot-grüne Landesregierung anführt, zeigt sich offen für das Projekt.
Laut One-Dyas fehlt nur noch die Genehmigung für das Seekabel zum nahegelegenen Windpark, um die Bohrinsel mit Strom zu versorgen. Dagegen hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) geklagt, da die Leitung den Meeresboden und geschützte Steinriffe zerschneidet. Alle anderen Installationsarbeiten seien abgeschlossen, die nötigen Genehmigungen von Deutschland und den Niederlanden erteilt. Lediglich eine bilaterale Vereinbarung zwischen beiden Ländern stünde noch aus. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will laut Medienberichten erst mögliche Gerichtsentscheidungen abwarten, bevor er die Vereinbarung unterzeichnet.
Der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Sascha Müller-Kraenner, fordert Niedersachsens grünen Umweltminister Christian Meyer auf, „klare Kante“ zu zeigen und die Verlegung des Seekabels nicht zu genehmigen. Meyer solle seinen Ermessensspielraum nutzen, um den Start der Gasförderung zu blockieren.
Lemke hält dagegen: „Das ist keine Entscheidung, die nur die Grünen oder ein Umweltminister allein treffen. Solche Entscheidungen werden gemeinsam in der Landesregierung getragen.“ Offenbar wartet der wahre Sturm an Land.
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