Vorwurf der Apartheid an Israel: Ein Staat, nicht zwei

Im Zusammenhang mit Israel ist immer öfter von Apartheid die Rede. Hintergrund ist eine weitverbreitete postkoloniale Lesart des Nahostkonflikts.

Trump Graffiti an der Mauer in Bethlehem

Trump unterschreibt: Graffiti an der Mauer in Bethlehem Foto: Manngold/imago

BERLIN taz | Es ist einer der umstrittensten Begriffe im Israel-Palästina-Konflikt: Apartheid. Die Diskussion infolge des jüngsten Berichts von Amnesty International, in dem die Menschenrechtsorganisation Israel auf 280 Seiten „Apartheid gegenüber den Palästinenser*innen“ vorwirft, war also zu erwarten.

Neu ist die Debatte derweil nicht, ob der Apartheidsbegriff für die von Israel militärisch besetzten und teils annektierten Gebiete – und womöglich auch für Kernisrael – angemessen ist, oder ob es sich lediglich um einen Kampfbegriff handelt, mit dessen Hilfe Israel delegitimiert werden soll.

In der Debatte wird die Situation in Nahost nur teilweise mit dem einstigen Apartheidssystem in Südafrika parallel gestellt. Men­schen­recht­le­r*in­nen versuchen vielmehr, den Begriff vom südafrikanischen Kontext zu lösen. Hierbei greifen sie auf internationales Recht zurück, in dem Apartheid ein klar definierter Straftatbestand ist. Ver­fech­te­r*in­nen des Apartheidsbegriffs argumentieren, dass die Situation in Israel/Palästina zumindest teilweise die Kriterien der Definition des Römischen Statuts von 1998 erfüllt.

Die Kontroverse um den Begriff geht einher mit einer zunehmenden Abkehr sowohl der palästinensischen als auch der israelischen Seite vom jahrzehntelang verfolgten Ziel einer Zweistaatenlösung. Denn seit den gescheiterten Oslo-Verhandlungen in den 1990er-Jahren ist es immer unrealistischer geworden, dass die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen jemals in einem eigenen souveränen Nationalstaat an der Seite Israels leben werden.

Unterschiedliche Rechtssysteme

Die Hoffnung auf zwei friedlich koexistierende Staaten verblasste vor dem Hintergrund eines äußerst komplizierten Status quo in Nahost, der in Fachkreisen als „Einstaatenrealität“ diskutiert wird. Diese ist beispielsweise der argumentative Ausgangspunkt der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem, wenn sie schreibt: „Mehr als 14 Millionen Menschen, etwa zur Hälfte Juden und Palästinenser, leben zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer unter einer einzigen Herrschaft“ – nämlich der Regierung Israels.

Aus dieser immer mehr auf Dauer angelegten Souveränität Israels über das gesamte israelisch-palästinensische Territorium ergibt sich die Forderung vieler Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen nach gleichen Rechten für alle – was ihnen wiederum teilweise als Antisemitismus ausgelegt wird, da die Forderung das Selbstverständnis Israels als jüdischer Staat infrage stellt.

Die Einstaatenrealität zeichnet sich dadurch aus, dass Israel die Land- und Seegrenzen sowie die Währungspolitik fast vollständig kontrolliert. Zudem gelten für Menschen in Israel und den palästinensischen Gebieten unterschiedliche Rechtssysteme abhängig von ihrer religiös-ethnischen Zugehörigkeit, dem spezifischen Wohnort und ihrer Staatsbürgerschaft. Außerdem ist im Westjordanland teils eine geografische Separation von Ara­be­r*in­nen und Sie­der*in­nen zu beobachten, die von israelischer Seite mit der Sicherheit begründet wird.

Trump stärkte postkoloniale Lesart des Konflikts

Vor allem von Palästinenser*innen, aber auch von internationalen Wis­sen­schaft­le­r*in­nen, wird die Einstaatenrealität in Nahost mit zunehmender Tendenz durch die Perspektive des Postkolonialismus analysiert. Die anhaltende Siedlungspolitik spielt dabei eine zentrale Rolle, die de facto auf eine dauerhafte Aneignung von Teilen des Westjordanlands durch Israel hinausläuft.

Offen kolonialistische Argumentationsmuster zeigten sich während der US-Präsidentschaft Donald Trumps, als eine offizielle Annexion von Teilen des Gebiets mit expliziter Unterstützung der USA erwägt wurde, was viele Beobachter*in­nen in ihrer postkolonialen Lesart des Konflikts bestärkte. Neben dem Begriff Apartheid wird von Kri­ti­ke­r*in­nen der israelischen Besatzungs- und Siedlungspolitik daher auch der ebenfalls umstrittene Begriff des „Siedlerkolonia­lismus“ verwendet.

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