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Volksinitiative vor GerichtHamburg gegen direkte Demokratie

Eine Hamburger Volksinitiative will Bürgerentscheide auch auf Bezirksebene verbindlich machen. Der Senat hält das für verfassungswidrig und klagt.

Will mehr Mitsprache auf Hamburger Bezirksebene: „Mehr Demokratie“ Foto: Axel Heimken/dpa

Hamburg taz | Ist eine Volksinitiative, die sich für mehr Demokratie einsetzt, etwa verfassungswidrig? Aus Sicht des Hamburger Senats ist dies im Fall der Volksinitiative „Bürgerbegehren und Bürgerentscheide jetzt verbindlich machen – Mehr Demokratie vor Ort“ eindeutig zu bejahen.

Am Dienstag beginnt deshalb die mündliche Verhandlung vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht. Es soll auf Antrag des rot-grünen Senats über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit und damit über die Durchführung des Volksbegehrens entscheiden. Die Ini hält das Vorgehen für absurd. „Uns geht es um ein Mehr an Beteiligung und Demokratie“, sagt deren Sprecher Bernd Kroll.

Mitte 2019 hatte die vom Verein „Mehr Demokratie“ angeführte Volksinitiative ihre Arbeit aufgenommen. Insgesamt hatten sich rund 30 Bürgerini­tiativen in dem Bündnis vereint, um künftig auch Bürger­entscheide auf Bezirksebene rechtlich bindend zu machen.

„Erfolgreiche Bürgerentscheide oder der Beschluss des Bezirks über die Annahme von Bürgerbegehren dürfen nur im Wege eines neuen Bürgerentscheids abgeändert werden“, lautet eine der zentralen Forderungen. Denn bezirkliche Bürgerbegehren kann der Senat bislang mit dem Verweis ablehnen, dass ein gesamtstädtisches Interesse gegeben sei.

Zu viele Bürgerentscheide würden außer Kraft gesetzt

Die In­itia­to­r:in­nen beklagen, dass die Stadt seit der Einführung mehr als 20 Bürger­entscheide und Bürgerbegehren evoziert, also außer Kraft gesetzt, oder aber alternativ die Bezirke angewiesen habe, die aufgeworfene Frage im Sinne des Senats zu bearbeiten.

Seit 1998 gibt es das Gesetz über Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, seither wurden rund 150 Entscheide und Begehren auf bezirklicher Ebene angeschoben. Einer Untersuchung von „Mehr Demokratie“ zufolge ging es dabei thematisch überwiegend um Wohngebietsprojekte, um öffentliche Sozial- und Bildungseinrichtungen sowie um Verkehrsprojekte, auf die Bür­ge­r:in­nen Einfluss nehmen wollten.

Die Volksinitiative umgeht die vorgesehenen Anforderungen

Marcel Schweitzer,Sprecher des Hamburger Senats

Marcel Schweitzer, Sprecher des Senats, verweist darauf, dass die Initiative sich nicht an den rechtlich vorgegebenen Ablauf gehalten habe. Damit Volksbegehren auf Bezirksebene verbindlich werden, „bedarf es einer Verfassungsänderung sowie einer Änderung vom Bezirksverwaltungsgesetz“. Und dafür müsse ein konkreter Gesetzesänderungsvorschlag zur Abstimmung gestellt werden.

„Dies ist aber nicht der Fall, daher umgeht die Volksinitiative die dafür vorgesehenen Anforderungen“, sagt Schweitzer. Der Senat sei in diesen Fällen rechtlich verpflichtet, zum Verfassungsgericht zu gehen, wenn er Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit habe. Nach Krolls Ansicht wiederum ist eine Verfassungsänderung gar nicht notwendig.

Verstoß gegen das Demokratieprinzip?

Auch betont der Senat in seiner Klageschrift, dass die Initiative gegen das Demokratieprinzip verstoße. Würde der demokratisch gewählte Senat keine Macht mehr über die ihm untergeordnete bezirkliche Verwaltung ausüben dürfen, könne er laut der Klageschrift seine „parlamentarische Verantwortung“ nicht mehr sicherstellen.

Aus Sicht der Initiative würde aber gerade die Volksgesetzgebung für mehr Demokratie sorgen. Ohnehin liege der zentrale Konflikt in der Frage, wie groß der direktdemokratische Einfluss in der Stadt sein solle, so Kroll. Der Senat wolle ihn möglichst gering halten.

Anfang 2020 überreichte die Initiative mehr als 14.000 Unterschriften im Rathaus – damit war die erste Hürde bis zum Volksentscheid geschafft. Der nächste Schritt im Rahmen der Volksgesetzgebung wäre nun das Volksbegehren, gegen das der Senat vor dem Verfassungsgericht vorgeht.

Volksentscheide häufig verfassungswidrig

Mit dem Begehren würde die Bürgerschaft verpflichtet, die Forderungen der Initiative zu übernehmen. Dafür braucht sie zuvor 50.000 Unterschriften. Übernimmt die Bürgerschaft ein erfolgreiches Volksbegehren nicht, kommt es danach zum Volksentscheid.

Dass das Hamburgische Verfassungsgericht Volksinitiativen verbietet, ist nicht gänzlich ungewöhnlich. Ende letzten Jahres erklärte es eine Initiative zur Streichung der Schuldenbremse für verfassungswidrig. Bereits im Mai 2019 hatte das Gericht ebenfalls auf Antrag des Senats die Volksinitiative für mehr Personal in Krankenhäusern gestoppt.

Nach der Anhörung am Dienstag wird ein Urteil im kommenden Februar erwartet.

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7 Kommentare

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  • Komplexe Strukturen wie ein moderner Staat und seine Administration können nicht effizient durch bindende Volksentscheide geführt werden. Letztendlich sind Bürgerinitiativen nichts anderes als der Ausdruck persönlicher Eigeninteressen.



    Die teilweise marode Infrastruktur und der unzureichende Ausbau von Solar- und Windenergie sind traurige Beispiele wie ineffizient die „direkte Demokratie“ sein kann.

  • Man sollte aus dem Desaster des ersten hamburgischen Volksentscheides gelernt haben.

    Die von den Grünen damals durchgesetzte Möglichkeit der "direkten Demokratie" machte damals sogleich die ebenfalls von den Grünen durchgesetzte Schulreform rückgängig. Eine Kampagne gut vernetzter Oberschichtsangehöriger und der BILD briet einem Milieu, das in Staat und Wirtschaft ohnehin überrepräsentiert ist, eine legislative Extrawurst. Direkte Demokratie klingt nett, ist aber in der Realität oft nichts anderes als ein Vehikel, mit der sich die Bourgeoisie noch mehr Einfluss sichert, als sie sowieso schon hat. Faktisch eine Art Klassenwahlrecht.

    Das sah man auch bei den von "Mehr Demokratie" veranstalteten sogenannten Bürgerräten. Menschen mit niedrigem Einkommen und Bildungsabschluss waren systematisch unterrepräsentiert.

    • @Suryo:

      Das sehe ich ähnlich. Als voll berufstätiger Mensch hätte ich gar nicht die Zeit, mich wirklich mit den Fürs und Widers einzelner Bezirksangelegenheiten zu beschäftigen, um eine sinnvolle Entscheidung zu treffen. Das ist ein Luxus, den sich vielleicht Rentner, Teilzeithausfrauen oder Lehrer leisten können, aber die meisten Menschen müssen das an gewählte Gremien outsourcen können. Dazu kommt, dass bei Referenzen niemand für die Konsequenzen seiner aktuellen Entscheidung zur Verantwortung gezogen werden kann, während Abgeordnete, die wiedergewählt werden wollen auch im Auge haben müssen, wie sich etwas auswirkt und nicht nur die eigenen Interessen im Blick haben können. Zumal es hier um ein Gremium geht, bei dem man einzelne Abgeordnete wählen kann und nicht nur Parteilisten (womit manche schon überfordert sind).

    • @Suryo:

      Im Gegenteil - gerade weil vielerorts die repräsentative Demokratie, die im Grunde immer eine gelenkte Demokratie ist, versagte, sind mehr Elemente direkter Demokratie in Deutschland dringend notwendig!

      • @Herbert Eisenbeiß:

        Die Empirie spricht nicht dafür.

        • Jan Lorenz , Autor ,
          @Suryo:

          Wo haben sie denn die empirische Information zu Bürgerräten her: "Menschen mit niedrigem Einkommen und Bildungsabschluss waren systematisch unterrepräsentiert." de.wikipedia.org/w...rgerrat_Demokratie und weitergehende Originalquellen legen nahe, dass genau das Gegenteil der Fall ist: Es gibt systematische Bemühungen dies (auch gegen den Self-Selection-Bias) zu realisieren.

          • @Jan Lorenz:

            Beim Bürgerrat "Deutschlands Rolle in der Welt" war es definitiv so, das zeigen selbst die Daten von Mehr Demokratie e.V.