Verkehr und Klima: Traumtänzer auf der Fakten-Autobahn
Sich die Welt machen, wie sie uns gefällt, funktioniert nur bedingt. Und es gehört sicher nicht zu den Privilegien von Politikmachenden.
L eugnen ist enorm erleichternd. Für einen selbst. Für den Rest der Welt ist es oft einfach enervierend. Ändert aber nichts daran, dass wir uns alle schön und regelmäßig unser Leben zurechtleugnen. Ich zum Beispiel glaube zurzeit tatsächlich, dass ich noch nie besonders viel Schlaf gebraucht habe und einfach „effizient“ schlafe. Fünf Stunden Koma, dann bin ich wie neu. Oder dass ich ganz bestimmt, wenn unsere Kinder erst etwas größer sind, wieder mit meinen Freundinnen die Welt bereisen und Bücher schreiben werde. Was einen halt so durch den Tag bringt.
Gute Leugner gehen gern in die Politik. Sagen, was ist (etwa: wir sind im Krieg mit Russland, die Klimakatastrophe ist unausweichlich, falls wir nicht endlich unsere verweichlichten westlichen Hintern hochkriegen), kommt da irgendwie nicht so gut an. Wenn die eigenen Illusionen aber deckungsgleich genug mit denen anderer Traumtänzer sind, kann man sogar als vor wenigen Jahren noch halbtot geglaubte Partei eine Regierung terrorisieren.
Wie diese Woche: „Der Autobahnausbau hat mit den Klimazielen gar nichts zu tun.“ So gelogen vom FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler im Deutschlandfunk. Dabei hat eine Studie des Umweltbundesamts ebenfalls diese Woche erst gezeigt, dass ein Tempolimit zweieinhalbmal mehr CO2 einsparen würde als gedacht. Würde man nicht nur auf Autobahnen ein Limit von 120 km/h umsetzen, sondern auch eines von 80 km/h auf Landstraßen, könnte so ein Sechstel der nötigen CO2-Einsparungen für die 1,5 Grad-Grenze erreicht werden.
Gut, werden Sie jetzt denken, auch auf neu ausgebauten Autobahnen könnte man langsamer fahren, vorausgesetzt, die FDP ließe das zu. Doch für die Idee, mehr Straßen seien der richtige Abzweig in die Verkehrswende, braucht man natürlich ebenso viel guten Willen. Aber hey, nichts für ungut, FDP. Auch mein Gehirn spielt viele Fakten zugunsten meines Weltbilds runter und hält nur ein begrenztes Maß an Widersprüchen aus. Wie den, dass Menschen, die meine volle Solidarität haben, nicht unbedingt besonders nett sein müssen – sozusagen als Gegenleistung.
Das Ganze funktioniert natürlich umso besser, je mehr Leute den Quatsch glauben wollen. Ja je größer die Zahl der Gläubigen, desto besser. Gut zu beobachten war das – ebenfalls diese Woche – mal wieder beim Erinnern an die Befreiung von Auschwitz vor 78 Jahren. Dem Auftakt sozusagen zu einer der Lieblings-Illusionen hierzulande, nämlich der, dass bald darauf auch wir Deutschen durch die Alliierten von dieser Zecke Nationalsozialismus befreit wurden – als hätte die nicht einen ganz dankbaren Wirt gehabt.
Geht’s dagegen um private Belange, ist das mit dem Leugnen meist nur so semi-erfolgreich. Mit Entsetzen (ob meines ebenfalls erfolgreich verleugneten Alters!) musste ich mich diese Woche auch noch an die Lewinsky-Affäre erinnern. 25 Jahre ist es her, dass Bill Clinton glaubte, das Leugnen sei eine super Idee. Und ja: Seine ist eine der ganz wenigen politischen Lügen, die mir sympathisch sind. Weil: was gehen mich und Millionen das Sexleben anderer an – auch wenn’s der US-Präsident ist?
Gleichzeitig war natürlich gerade diese Lüge politisch dumm – eben weil’s nicht um irgendeine – wenn auch noch so krude – Weltanschauung ging, für die sich wohl Anhänger hätten finden lassen. Sondern halt nur um Clinton und sein kleines privates Missgeschick. Aber gerade da urteilt es sich halt am schönsten und schärfsten. Der hat seine Frau betrogen? Mistkerl! Das Kind da isst den ganzen Tag nur Kekse? Aus Weißmehl? Ich ruf das Jugendamt!
Das ist der komische Twist an der Sache: Kritisch sind die Menschen immer da, wo sie sich moralisch im Recht fühlen. Auch ich. So hatte ich diese Woche starke Gefühle (für Meghan und Harry!), nachdem ich es endlich geschafft hatte, die Netflix-Doku zu Ende zu schauen. Späte Rache für Diana und so. Wahrscheinlich war ich dabei auch nur Opfer gekonnter Illusion, wer weiß. Für die kommende Woche wünsche ich mir und Ihnen mehr Fakten als Fiktion.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen