Streit in der Ampelkoalition: Schneller Straßenbau verschoben
Bauprojekte, Agrosprit, Klimaschutz: Beim Krisentreffen im Koalitionsausschuss blieben Grüne und FDP uneins – außer in einem Punkt.
Bereits seit Dezember schwelt der Streit zwischen den beiden Ministerien und auch ihren Parteien, den Grünen und der FDP. Drei Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz, Lemke und Wissing mit dem Versuch der Einigung im Kanzleramt gingen bereits erfolglos zu Ende. Auch das Treffen des Koalitionsausschusses am Donnerstagabend blieb nun ohne Einigung. Noch am Abend ließen Koalitionskreise nur verlauten: „Es gab konstruktive Gespräche zu den Themen Verkehr und Klimaschutz.“
Im Zentrum des Treffens stand die Frage, für welche Verkehrsprojekte nun in Zukunft ein „überragendes öffentliches Interesse“ zu gelten habe. Geht es nach dem Bundesverkehrsminister, soll bei der Planungsbeschleunigung auch der Neu- und Ausbau von Straßen künftig schneller gehen. Die Grünen dagegen wollen die priorisierten Projekte enger fassen. Sie blieben bei dem Treffen bei ihrer Position, dass sie bei einer schnelleren Sanierung altersschwacher Autobahnbrücken mit dabei wären. Beim Neubau von Straßen aber eher nicht.
Noch nicht mal Annäherung zwischen FDP und Grünen
Dem Vernehmen nach soll es bei dem Treffen im Koalitionsausschuss noch nicht mal eine Annäherung zwischen den beiden Positionen von FDP und Grünen gegeben haben. Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz soll über das wenige Einlenken der Grünen überrascht gewesen sein, heißt es. Einen sonderlich schlecht gelaunten Eindruck machten zumindest Spitzen-Grüne am Morgen nach dem Treffen aber nicht. Denn: Für die Grünen könnte es sogar nützlich sein, dass das Thema erst mal vertagt ist.
Nach den Debatten um die Räumung von Lützerath stehen sie bei ihrer Basis und in der Klimabewegung im Verdacht, nicht hart genug für ihre Themen zu verhandeln. Auch innerhalb der Grünen-Fraktion schwand zuletzt die Bereitschaft, jeden Kompromiss zu schlucken. So können Parteispitze, Fraktionsspitze und grüne Kabinettsmitglieder jetzt behaupten, innerhalb der Ampel sehr wohl in Konflikte zu gehen – und eben nicht vorschnell schlechte Kompromisse zu machen.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai bezeichnete die Blockade-Haltung der Grünen am Morgen nach dem Treffen dagegen als „absurd“ und forderte von seinen Koalitionspartner mehr Bewegung im Streit über die Beschleunigung von Planungsverfahren im Verkehr. Bundesverkehrsminister Wissing hätte zudem, so Djir-Sarai einen ordentlichen Plan vorgelegt, wie der Verkehr künftig klimaneutral sein könnte.
Von Agrosprit bis Planungsbeschleunigung
Denn neben dem Streit über den schnelleren Bau von Autobahnen standen beim gestrigen Treffen auch noch einige andere Thema im Raum. Die Grünen hatten schon Tage zuvor ordentlich Druck auf den Bundesverkehrsminister ausgeübt.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke reichte noch am Freitag vorab gemeinsam mit ihrem grünen Parteikollegen und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir einen Gesetzentwurf ein, der Agrokraftstoff bis 2030 an deutschen Tankstellen verbieten soll. Bislang kann der Kraftstoff, der etwas aus Mais, Getreide oder Rüben gewonnen wird, noch mit einer Quote von bis zu 4,4 Prozent herkömmlichen Sprit beigemischt werden.
Die Reaktion aus Wissings Ministerium folgte prompt. Das Haus warnte davor, dass damit die CO²-Emissionen im Verkehr weiter steigen würden. Der Klimaeffekt von Agrokraftstoffen gilt bei Umweltverbänden und WissenschaftlerInnen dagegen als strittig. Das Ministerium aber ließ verlauten, dass diese „im Widerspruch zu der erklärten gemeinsamen Absicht der Bundesregierung, die Klimaschutzziele einhalten zu wollen“, stehe.
Auch das Ministerium für Wirtschaft- und Klimaschutz von Robert Habeck muss noch eine Einigung mit Wissings Haus erzielen. Das Verkehrsministerium hängt bei der Einhaltung der Klimaschutzziele deutlich hinterher. Nicht nur der eigene Klimaexpertenrat der Bundesregierung hatte errechnet, dass bis 2030 noch 261 Millionen Tonnen zu viel CO² im Verkehrssektor anfallen.
Auch ein Gutachten des wissenschaftliche Dienstes des Bundestags wirft Wissing den Verstoß gegen das Klimaschutzgesetz vor. Die Umweltorganisation BUND hatte zudem Anfang dieser Woche die Bundesregierung wegen ihrer Verstöße gegen die Klimagesetze verklagt. Auch der Grüne Habeck drängt Wissings Haus dazu, bei der Einhaltung der Klimaschutzziele nachzulegen, attackierte Wissing aber nicht direkt. Einigungsbedarf dürfte hier aber trotzdem bestehen.
Offene Punkte bis zur Einigung
Zwischen Grünen und FDP sollte daher auch in den kommenden Woche noch einiges an Konfliktpotenzial liegen und ein längerer Weg hin zu einer Einigung. Der Dritte im Ampelbündnis, die SPD, versteht sich in diesen Fragen als einender Faktor zwischen den beiden Ampelpartnern, das betont auch immer wieder ihr verkehrspolitischer Sprecher Detlef Müller. Inhaltlich aber scheint die SPD näher an den Positionen der FDP zu stehen – vor allem in Bezug auf den Kernstreitpunkt: dem Planungsbeschleunigungsgesetz.
Offene Fragen, die hier im Detail in den nächsten Wochen noch zu klären sein dürften, betreffen vor allem die Punkte: Was ist nun eigentlich genau unter dem Neubau von Autobahnen zu verstehen? Geht es hier um Lückenschlüsse – also um zusätzliche Teilabschnitte? Um Autobahnabschnitte die noch vor maroden Brücken liegen? Oder um Fernstraßen, die nachweislich eine besondere Verkehrsauslastung haben?
Als Teil der Verhandlungsmasse gilt auch, um wie viele und welche der Straßenbauprojekte es in Wissings Entwurf denn eigentlich genau gehe, wenn es zu einer Beschleunigung von Bauvorhaben kommen sollte. Unter dem in dem Papier aufgelisteten Projekten aus dem Bundesverkehrswegeplan (BVWP) befinden sich auch solch umstrittene Autobahnen wie die Verlängerung der A100 in Berlin oder der Weiterbau der A20 in Niedersachsen und Schleswig-Holstein.
Würden diese künftig schneller gebaut werden, würden bei der Planung der Autobahnen auch die Standards für die Umweltprüfungen deutlich niedriger ausfallen. Ein breites Bündnis aus Umweltverbänden von BUND über die Deutsche Umwelthilfe bis hin zu Greenpeace laufen dagegen bereits seit Wochen Sturm. Etliche Verbände kritisieren, dass die Umweltstandards des geltenden Bundesverkehrswegeplans ohnehin deutlich zu lasch seien.
Die Denkfabrik Agora Verkehrswende etwa schlug vor, die Koalition solle zunächst die Vorhaben im Bundesverkehrswegeplan bis 2030 überprüfen und dann mit einer neuen Planung für eine schnelle Umsetzung sorgen. „Es wäre nicht angemessen, die Planung der Verkehrsinfrastruktur auf dieser Grundlage zu beschleunigen“, erklärte Urs Maier von Agora Verkehrswende.
In dem ganzen Streit zwischen FDP und Grüne scheint es bislang nur in einem Punkt Einigkeit unter allen Ampelpartnern zu bestehen: Der Ausbau der Schiene muss ebenfalls beschleunigt werden, wenn es um das schnellere Bauen von Verkehrsinfrastruktur geht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt