AfD gibt sich Benimmregeln: Streit über Selbstverharmlosung
Die Bundestagsfraktion hat sich einen Verhaltenskodex gegeben, an den sie sich nicht hält. Diskutiert wird auch über den Kampfbegriff „Remigration“.

Nun steht es auch schwarz auf weiß im beschlossenen „Verhaltenskodex“ der AfD-Bundestagsfraktion: „Die Mitglieder sind um ein geschlossenes und gemäßigtes Auftreten im Parlament bestrebt, um die politische Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit der Fraktion sicherzustellen“, heißt es in dem internen und der taz vorliegenden Papier. Bei Abweichungen soll es sogar Ordnungsmaßnahmen geben. Parteichef Tino Chrupalla wiederum hatte mehrfach in den letzten Wochen geäußert, dass vor allem Abgeordnete seiner Partei sich im Ton mäßigen sollen, und offene Avancen an politische Mitbewerber – zuletzt das BSW in Thüringen – gemacht.
Aus Fraktionskreisen war zu hören, dass die AfD sich von dieser Strategie verspricht, neue Wählerschichten zu erschließen: Der oft raue Tonfall käme etwa bei Frauen schlechter an, welche die Partei weniger wählten. Ebenso soll es der Union schwerer gemacht werden, sich von der AfD abzugrenzen, und diejenige Wählerschaft ins Visier genommen werden, die von Merz enttäuscht worden sei. So jedenfalls die Überlegungen auf der Fraktionsklausur der extrem rechten Partei am Wochenende.
Wie viel das Papier tatsächlich wert ist, zeigte sich wiederum am Montagmorgen, als der parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann bei einer Pressekonferenz zum politischen Rundumschlag ausholte und sich darüber aufregte, dass man in Berlin einen Einbürgerungsantrag auch digital stellen kann: „Die deutsche Politik ist bekloppt“, schimpfte er und insinuierte rassistisch und ohne Faktengrundlage, dass „irgendein Abdullah aus Syrien-Süd“ mit einem Mausklick den deutschen Pass bekommen würde. Die üblichen Stereotype von „Islamisten, Einbrechern und Massenvergewaltigern“ gab es von Baumann noch obendrein.
Weidel mit Hitler-Vergleich
Ins Bild passte, dass Baumann auch die Parteichefin Alice Weidel verteidigte, die noch am Rande derselben Fraktionsklausur, wo Mäßigung beschlossen wurde, die SPD mit Hitler verglich. Der Grund: Die Sozialdemokrat*innen hatten sich auf ihrem Parteitag für ein AfD-Verbot ausgesprochen. Auch Weidel war nicht um Kraftausdrücke verlegen: Die Bundesregierung solle sich schämen; die „Loser-Parteien im Bundestag“ würden die Leute „in diesem Land so unglaublich verarschen“.
Dennoch sorgt der selbst verordnete Mäßigungskurs für Sprengstoff innerhalb der Partei: Denn weiter umstritten ist der Umgang mit dem rechtsextremen Kampfbegriff der „Remigration“. Der Kopf der Identitären Bewegung, Martin Sellner, hatte sich damit immer wieder für die Vertreibung und rechtliche Schlechterstellung deutscher vermeintlich „nichtassimilierter“ Staatsbürger ausgesprochen. Die Partei hat den Begriff weitgehend adaptiert, im Bundestagswahlkampf wurde er regelrecht zur Parteiräson.
Wohl auch aus Angst vor dem drohenden Verbotsverfahren geht die Partei jedoch zunehmend auf Abstand sowohl zu Sellner als auch zum Begriff der „Remigration“. Denn zuletzt hatte das Bundesverwaltungsgericht im Verfahren gegen das rechtsextreme Magazin Compact deutlich gemacht, dass es den Begriff wie von Sellner gebraucht für verfassungsfeindlich halte.
Wie aus unterschiedlichen durchgestochenen Arbeitsversionen des Papiers deutlich wurde, strich die Bundestagsfraktion den Begriff offenbar aus einem ebenfalls auf der Klausur verabschiedeten Strategiepapier – und hat damit für erhebliche innerparteiliche Empörungswellen gesorgt. „Die AfD gibt den Begriff 'Remigration’ nicht auf“, schrieb etwa Daniel Haseloff, Generalsekretär des besonders radikalen Landesverbands Thüringen, empört auf X und fragte weiter: „Anschlussfähigkeit? An wen denn – an die Kartellparteien, die den katastrophalen Zustand unseres Landes zu verantworten haben? Nein, danke!“ Andere warnten vor einer „Merkelisierung“. Der Bundestagsabgeordnete Stefan Keuter sah sich am Montagmorgen im Deutschlandfunk gar zum Zurückrudern veranlasst: „Wir halten natürlich an der ‚Remigration‘ fest.“ Man habe beim Positionspapier nur andere Punkte in den Vordergrund gestellt.
Im Bundesvorstand am Montag soll nach taz-Informationen zudem über ein Abstandsgebot zu Sellner diskutiert worden sein, wohl auch wegen des drohenden Parteiverbotsverfahrens. Der Thüringer Landeschef Björn Höcke hatte sich am Sonntag mit Sellner solidarisiert. Er empfahl Sellners Buch, der Titel: „Remigration“.
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