Vergewaltigungsprozess in Frankreich: Abgründe sexueller Perversionen
Bei den Gerichtsverhandlungen kommen immer neue grausige Details ans Licht. Die Verteidigung versucht, das Opfer auf infame Weise zu diskreditieren.
Der Fall ist vor allem in seinem Ausmaß in der französischen Kriminalgeschichte einzigartig und schockiert weit über das Land hinaus. Wenn jetzt vor den Richtern und Angeklagten die Einzelheiten aufgerollt werden, tun sich vor der Öffentlichkeit Abgründe sexueller Perversionen auf.
Der Prozess, der auf ausdrücklichen Wunsch von Gisèle Pelicot öffentlich ist, hat eine exemplarische Bedeutung. In der zweiten Prozesswoche versuchen die Anwälte der Verteidigung, das Opfer zu destabilisieren oder zu diskreditieren.
Empört über die provokativen Versuche, die Schuld der Vergewaltiger, denen sie vor Gericht ins Gesicht blickt, mit Suggestionen zu mindern oder ihr als Opfer gar eine Verantwortung unterzuschieben, hat sie ihnen zugerufen: „Eine Vergewaltigung ist und bleibt eine Vergewaltigung!“ Sie bedauert nicht, dass die Verhandlungen nicht hinter verschlossenen Türen geführt werden, aber bemerkt zu ihrer eigenen Erfahrung: „Ich verstehe jetzt, warum (andere) Opfer von Vergewaltigungen nicht vor Gericht gehen.“
Gisèle Pelicot lässt sich nicht beirren
Für Gisèle Pelicot gehen die Anwälte der Verteidigung in schockierender Weise zu weit, indem sie versuchen, sie in mit heimlich aufgenommenen Fotos zu diskreditieren, auf denen sie nackt, mit einem Sextoy und in Vergewaltigungsszenen zu sehen ist. Das Interesse der Verteidiger dürfte sein, mit den Bildern zu belegen, dass sie vielleicht doch in einigen Fällen wusste, was geschah und das duldete.
Einer der Verteidiger erlaubt sich sogar die Frage, ob sie nicht „eine nicht eingestandene exhibitionistische Neigung“ habe. Zu den gezeigten Fotos gehören Bilder, auf denen angeblich zu sehen ist, wie sie nackt aus dem Badezimmer kommt oder sich in jüngeren Jahren an einem FKK-Strand sonnt.
Die mutig und selbstsicher auftretende Gisèle Pelicot lässt sich nicht beirren und beleidigen: Zu keinem Zeitpunkt habe sie bemerkt, dass ihr Mann diese Bilder oder Videos aufgenommen habe, sie sei bewusstlos gewesen, als er und diese vielen Männer sie vergewaltigt hätten.
Aber ist es vertretbar, wenn die Verteidigung der Angeklagten auch jetzt noch gravierende Zweifel an der Schuld oder die Unschuldsvermutung geltend macht, nachdem Dominique Pelicot selber die Anklagepunkte bestätigt und seine Schuld eingestanden hatte: „Ich bin ein Vergewaltiger wie alle anderen Betroffenen hier im Saal.“
Volles Geständnis abgelegt
Er bezeichnet sich selber als Opfer einer Vergewaltigung im Alter von neun Jahren. Mit 14 habe man ihn gezwungen, auf einer Baustelle bei der Vergewaltigung einer Frau mit Behinderung mitzumachen. „Man kommt nicht als Perverser auf die Welt, man wird es“, sagt er zuletzt zur Erklärung.
Ein volles Geständnis hat auch einer der Mittäter vor Gericht abgelegt. Er hat erklärt, wie ihm Dominique Pelicot auf einer (inzwischen eingestellten) Plattform alle Einzelheiten – namentlich die völlige Betäubung seiner Frau mit einem geeigneten Medikament – geschildert und ihn zu Vergewaltigungen animiert habe. Er habe dies zuerst abgelehnt, aber zuletzt nicht nur akzeptiert, sondern diese Praktiken dann mit seiner eigenen Gattin nachgeahmt. Jeder Prozesstag in Avignon liefert zusätzliche schockierende Fakten.
Wenige der Mitangeklagten bitten um Verzeihung. Die übrigen versuchen bisher glaubhaft zu machen, dass sie der (fälschlichen) Meinung waren, es habe sich um ein mit dem Opfer abgesprochenes Szenario gehandelt. Oder sie sagen, dass sie sich der kriminellen Tragweite nicht bewusst gewesen seien, weil der Mann die Zustimmung gegeben habe. Das habe ihnen genügt.
„Sie sagen, sie hätten bloß gemacht, was man von ihnen verlangte! Und ein eigenes Hirn haben sie nicht?“, entgegnete Gisèle Pelicot. „Und man soll nicht von sexuellen Handlungen reden, das sind Vergewaltigungen. Ich rege mich gewöhnlich nicht auf, aber jetzt reicht’s!“ Vor Gericht steht somit die patriarchalische Vorstellung, dass ein Mann durch die Ehe über seine Frau verfügen könne.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“