Verfassungsgericht zu Fall Oury Jalloh: Aussitzen nach Aktenlage

Die Karlsruher Richter lehnen neue Ermittlungen im Fall Oury Jalloh ab. Das Urteil markiert den Schlusspunkt von 18 Jahren deutschem Justizversagen.

Demonstranten mit Transparenten

Gedenken an Oury Jalloh in Dessau im Jahr 2018 Foto: xcitepress/imago

Ganze 40 Monate hat das Bundesverfassungsgericht gebraucht um im Fall des 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannten Oury Jalloh zu entscheiden: Die Akten bleiben zu, das Verfahren wird nicht wieder aufgerollt. Normal ist für solche Verfahren ein Bruchteil dieser Zeit – im Schnitt dauern sie etwa ein Jahr. Die Initiative „Gedenken an Oury Jalloh“, die mit dem Bruder des Toten hinter der Verfassungsbeschwerde stand, hatte sich indes auf die Ablehnung eingestellt.

Für sie stellte das Karlsruher Urteil nur einen notwendigen Zwischenschritt auf dem Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dar. Denn dort will sie das Verfahren neu aufrollen lassen. Dies ist erst dann möglich, wenn der nationale Instanzenweg ausgeschöpft wurde. Das wurde mit der extrem langen Verfahrensdauer verschleppt.

Dass die Karlsruher Richter die Einstellung der Ermittlungen in Sachsen-Anhalt bestätigten, verwundert nicht. Ihr Urteil fusst auf den Akten der Justiz. Und die hat in dem Verfahren von Beginn an fast alles unterlassen, was nötig gewesen wäre, um dem Verdacht eines anderen Tathergangs nachzugehen als einem Suizid Jallohs. Beweismittel, Asservaten, Einsatzprotokolle verschwanden, Videoaufnahmen wurden gelöscht, offene Widersprüche Sachverständiger nicht aufgeklärt, offensichtliche Lügen von Beamten vor Gericht auf sich beruhen gelassen.

Je länger die Liste solcher Versäumnisse wurde, desto mehr fehlt es heute in den Akten an hinreichenden Grundlagen für einen „Tatverdacht gegen einen konkreten Beschuldigten“, wie es die Verfassungsrichter jetzt feststellten. Die Indizien, die die Initiative in jahrelanger Arbeit sammelte, fanden in die Akten keinen Eingang. Und geht man von der Aktenlage aus, die die Staatsanwaltschaft gesammelt hat, sind weitere Ermittlungen tatsächlich „nicht aussichtsreich“, auch das schreiben die Karlsruher Richter.

Ob am Ende in Straßburg ein anderes Urteil steht, sei dahin gestellt. Doch der Gang dorthin ist die logische Konsequenz aus einem Versagen der deutschen Justiz, das 18 Jahre zurück reicht und heute seinen absehbaren, vorläufigen Schlusspunkt fand.

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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

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