piwik no script img

Urteil nach Tötung eines GeflüchtetenGericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus

Ein Mann tötet einen Tunesier und zerstückelt die Leiche. Es gibt Hinweise auf rechtsradikales Gedankengut. Nun fiel ein umstrittenes Urteil.

Ein 58-jähriger Tatverdächtiger soll einen 38-jährigen nach einem Streit erschossen haben Foto: Philipp von Ditfurth/picture alliance

Freiburg taz | Es ist ein Prozess über ein grausames Tötungsdelikt mit vielen Ungereimtheiten und vielleicht auch einem unbefriedigenden Urteil. Das Landgericht Waldshut hat den 58-jährigen Patrick E. am Montag wegen Totschlags zu knapp sieben Jahren Haft verurteilt, weil er am Tag vor Weihnachten 2023 den 38 Jahre alten Flüchtling Mahdi B. mit einem Kopfschuss in dessen Wohnung getötet, seine Leiche in sechs Teile zerstückelt und im Rhein versenkt haben soll. Dem Schuss soll einige Stunden davor ein Streit auf der Straße vorausgegangen sein. Mahdi B. soll den Angeklagten und die Familie beleidigt und bedroht haben.

Im Januar wurde der Tunesier als vermisst gemeldet. Die Polizei bildet eine Sonderkommission, vernimmt auch Patrick E., der nach der Tat mit seiner Familie im nahe gelegenen Naturfreundehaus gefeiert hatte. Zunächst fällt kein Verdacht auf ihn. Bis er ein Geständnis ablegt.

Acht Verhandlungstage hat das Landgericht Waldshut angesetzt, anders als sonst üblich ohne einen psychiatrischen Gutachter. Ermittler berichten vom Geständnis des Angeklagten, das er aus tiefer Reue abgelegt habe. Aber auch von Funden rechtsradikaler Literatur. Er hat eine Abmahnung seines Arbeitgebers bekommen, weil er bei einer Fortbildung gesagt habe, „ein anständiger Deutscher kaufe nicht bei Juden“. Das Gericht gibt den rechtlichen Hinweis, dass auch eine Verurteilung wegen Mordes in Frage komme.

Am dritten Verhandlungstag findet eine rechtliche Absprache zwischen Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht statt. Der Angeklagte solle seine wenig glaubwürdige Behauptung fallen lassen, er habe geschossen, weil er geglaubt habe, Mahdi B. greife zu einer Waffe, dann könne er mit einem milden Urteil rechnen. Sogenannte Deals zwischen Prozessparteien sind im Strafprozessrecht klar geregelt, sie sind aber bei Kapitalverbrechen eher die Ausnahme. So wie der Prozess gelaufen ist, bleiben Fragen offen.

Warum kommt erst auf den letzten Metern des Prozesses eine Nebenklage hinzu? Hat die Staatsanwaltschaft die Schwester des Opfers, die in Tunesien lebt, ausreichend informiert und über ihre Rechte aufgeklärt? Die Opferhilfevereinigung „Leuchtlinie“, die sich um die Angehörigen kümmert, bestreitet das.

Wurde die Sympathie von Patrick E. mit rechtsradikalem Gedankengut ausreichend berücksichtigt? Konnte Fremdenfeindlichkeit als Mordmotiv ausreichend ausgeschlossen werden? Warum reist ein Jäger, der 38 legale Waffen hat, mit einer Pistole, die er illegal besitzt, in die Weihnachtsferien?

E. ist mindestens ein christlicher Fundamentalist. In Briefen aus dem Gefängnis stilisiert sich E. zum Helden, der mit seiner Tat vielleicht einen Vorfall wie den Messerangriff von Mannheim verhindert habe. Er bezeichnet sich als gläubigen Christen, bringt zum Prozess eine Bibel mit, und behauptet trotz des Widerspruchs des Richters, das Gericht, vor dem er sich verantworte, sei von Gott eingesetzt.

Trotzdem bleibt das Gericht dabei, es gebe keine belastbaren Beweise, dass die Tat aus Fremdenhass begangen worden sei. „Wir sind nicht auf dem rechten Auge blind“, sagt der Vorsitzende Richter Martin Hauser laut Presseberichten.

Die inzwischen eingeschaltete Nebenklagevertreterin, die Freiburger Anwältin Claudia Meng, kritisiert dagegen den Verlauf des Verfahrens. Die vollständige Ermittlungsakte des Opfers sei ohne Not in den Prozess eingeführt worden. Mahdi B. hatte in den zehn Jahren, in denen er in Deutschland war, viel mit der Polizei zu tun. Er saß fünf Jahre wegen Drogendelikten im Gefängnis. Für unbescholtene Bürger sei er jedoch nie eine Gefahr gewesen.

Am Ende wird Patrick E. zu sechs Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Die Nebenklagevertreterin lässt zunächst offen, ob sie gegen das Urteil Rechtsmittel einlegt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

24 Kommentare

 / 
  • Unabhängig vom nicht geklärten fremdenfeindlichen Motiv und der zu bezweifelnden Reue des Verurteilten: Ich habe mit dem Strafmaß und dem Wort "Totschlag" bei Kopfschuss, Zerstückeln und Entsorgen der Leichenteile große Nachvollziehbarkeitsschwierigkeiten.

    • @Nifty_Monkey:

      Ist Fahrerflucht für Sie auch ein Beweis dafür, dass jemand absichtlich einen "Unfall" herbeigeführt hat?

      • @Chris McZott:

        Wieso "auch ein Beweis"? Dass die Vertuschung nicht zwangsläufig einen Vorsatz bedingt, ist mir klar und habe ich nicht gesagt.

        Alle Indizien(!) scheinen mir einen Vorsatz aber nur schwer ausschließen zu lassen. Dass überdies auch noch eine Absprache getroffen wurde, die in Anbetracht des "Ergebnisses" (toter Mensch) ausgesprochen niedrig erscheint und der Richter sich zu einem merkwürdig defensiven Statement hinreißen ließ, rechtfertigen jedenfalls das journalistische Interesse.

        • @Nifty_Monkey:

          Da geht aber etwas durcheinander: Sowohl Totschlag als auch Mord müssen vorsätzlich begangen werden. Fehlt der Vorsatz ist es nur fahrlässige Tötung.

          Mord unterscheidet sich vom Totschlag durch die niedrigen Beweggründe (davon sind im Gesetz ein paar ausformuliert, z.B. Heimtücke und Habgier).

          Ein niedriger Beweggrund konnte nicht nachgewiesen werden. Das liegt auch auf der Hand. Leider lässt der Kommentar der taz etwas entscheidendes aus, um das geringe Stafmaß zu verstehen. Der Täter hat sich selbst gestellt. Ohne dieses Geständnis wäre es nie zu einer Anklage gekommen, da es außerhalb des Geständnisses keine Beweise (z.B. DNA-Spuren) gab. Wenn aber der Täter selbst gesteht, dürfte es schwierig sein, einen niedrigen Beweggrund dem Täter NACHZUWEISEN. Woher soll der Nachweis kommen, wenn der Täter es nicht mitteilt und es keine Zeugen und sonstigen Beweise gibt?

          Der Deal beruht darauf, dass der Täter nicht mehr sagte, er habe sich bedroht gefühlt. Wir erinnern uns: Es gibt nur noch den Täter. Wenn er den Teil nicht widerrufen hätte, hätte das ganze auch mit Freispruch oder fahrlässiger Tötung ausgehen können, da eine Notwehrlage nicht ausgeschlossen werden kann.

          • @Strolch:

            Stimmt, ich habe etwas unglücklich die populäre Unterscheidung von Mord / Totschlag bemüht.

            Nichtsdestotrotz geben die Indizien in diesem Fall einen möglichen Hinweis auf niedere Beweggründe. Der Täter kam mit einer nicht registrierten Waffe zur Wohnung des Opfers. Es gibt eine Vorgeschichte. Wut, Heimtücke, Ahnungslosigkeit und angesichts einer Schusswaffe Wehrlosigkeit des Opfers. Und der Vertuschungsversuch wird ja dann doch insofern wieder relevant, als die ursprüngliche Verdeckungsabsicht (nicht registrierte Waffe, Zerstückeln und Verstecken) der Aufklärung (sich stellen) gegenüber steht.

            Und eine Suche nach dem Opfer gab es ja bereits. Wie die Ermittlungsarbeit und der juristische Prozeß ohne sein Geständnis verlaufen wären, ist mindestens Spekulation. "Zunächst fiel kein Verdacht auf ihn".

    • @Nifty_Monkey:

      Ach ja? Vielleicht wird es klarer, wenn du dir ins Gedächtnis rufst, ab wann Richter einen Vorsatz feststellen können:



      "Danach liegt bedingter Vorsatz vor, „wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein“ "



      Oh sorry das war die Definition für Ausländer, welche man nach einem Autounfall wegen Mordes verknacken möchte.



      Für einen Nazis ist es schon außergewöhnlich, dass man versucht ihm einen Totschlag anzuhängen, nur weil er nach einem Streit nach Hause geht, seine Waffe holt und jemandem -dazu noch einem nicht-Deutschen- in den Kopf schießt.

  • Wenn ich den Artikel richtig gelesen habe, ist nirgendwo von unwiderlegbaren Beweisen die Rede, sondern ein Geständnis hat zur Verurteilung geführt.



    Warum aber sollte ein Täter, gegen den es keine Beweise gibt, gestehen, wenn nicht aus Reue ?

    Und Reue wird im allgemeinen beim Strafmaß berücksichtigt.

    Und der Satz



    "Für unbescholtene Bürger sei er jedoch nie eine Gefahr gewesen."



    ist doch Unsinn.



    Ein notorischer Krimineller ist für jeden eine Gefahr, und was ist eigentlich ein "unbescholtener Bürger" in diesem Zusammenhang ?

  • Was sollen diese rhetorischen Fragen im Text sein, außer ein Ruf nach Umkehr der Beweislast?

    • @Wurstprofessor:

      Es ist der Wunsch, dass jemand die Fragen beantwortet, der dies von Berufswegen macht. Z.B. ein Journalist!

  • Also jemanden nach mehreren Stunden in den Kopf zu schießen ist kein Mord?



    Da kann man sich ja gleich die Gerichte sparen.

  • "Konnte Fremdenfeindlichkeit als Mordmotiv ausreichend ausgeschlossen werden?"

    Genau dieser Satz (gepaart mit der Überschrift) macht deutlich, wo der Fehler liegt. Ein Mordmotiv muss vor Gericht nicht ausgeschlossen, sondern bewiesen werden. Allein die Literaturfunde und die Abmahnung sind eher schwache Indizien.

    Wird die Anwältin Rechtsmittel einlegen? Mit höchster Wahscheinlichkeit schon, den sie wird dafür vom Steuerzahler bezahlt. Ist hierdurch eine Änderung des Urteils zu erwarten? Mit höchster Wahrscheinlichkeit nein, wenn es nicht zu einer erneuten Beweisaufnahme kommt.

    "Hat die Staatsanwaltschaft die Schwester des Opfers, die in Tunesien lebt, ausreichend informiert und über ihre Rechte aufgeklärt?" Hat die Staatsanwaltschaft eine entsprechende Pflicht?

  • Die Nebenklage kann (leider) nur ein freisprechendes Urteil anfechten.

  • Jetzt mal unabhängig von dem Deal, gibt es da einen Zuschlag wegen Rassismus und niederen Beweggründen zum Strafmaß und noch einen wegen der illegalen Waffe?

    Ansonsten mal die Frage, wofür braucht ein einzelner Jäger 38 Waffen und warum wird die Anzahl nicht auf ein sinnvolles (?) Maß begrenzt?

  • "Für unbescholtene Bürger sei er jedoch nie eine Gefahr gewesen."

    Worin besteht der Unterschied zwischen "bescholtenen" und "unbescholtenen" Bürger:innen, für die das Opfer eine Gefahr hätte sein können? Ich bin mir unsicher, ob ich diese Kategorisierung der Anwältin Frau Claudia Meng korrekt nachvollziehen bzw. gutheißen kann.

    • @*Sabine*:

      Über diesem Satz bin ich auch gestolpert.

      Was ist in den Augen der Anwältin/des Autoren "unbescholten" und "bescholtenen"?

      Was die Frage angeht ob der Angeklagte Täter ein Rechter ist oder nicht...



      Frage an anwesende Anwälte: würde das feststellen ob jemand rechts/links ist etwas am Urteil ändern?



      Desweiteren muss es für die Feststellung dieses nicht zu 100% nachgewiesen werden?

      • @Keine Sonne:

        Frage an anwesende Anwälte: würde das feststellen ob jemand rechts/links ist etwas am Urteil ändern?

        Nein, das würde nichts ändern. Nur wenn die Tat selbst aus niedrigem Beweggründen, wozu Fremdenhass gehört, begangen wäre, würde dies was ändern.

        • @Strolch:

          Danke für Ihre Antwort.



          Es hilft mir etwas weiter

  • "Konnte Fremdenfeindlichkeit als Mordmotiv ausreichend ausgeschlossen werden?"

    Es muss als Motiv nicht ausreichend ausgeschlossen werden, sondern zweifelsfrei nachgewiesen werden, und das war nach Ansicht des Gerichts offensichtlich nicht der Fall

    • @Christian Deinhart:

      Hier noch mal die Begründung für einen Mord nachdem ein vermeintlicher Ausländer einen Autounfall verursacht hat:



      "Danach liegt bedingter Vorsatz vor, „wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein“



      Für "Deutsche", also Besoffene Polizisten, Rentner die trotz Medikamenten Auto fahren und dabei viermal so viele Leute töten und natürlich Nazis, welche erst noch ihre Schusswaffen holen zählt das natürlich nicht

      • @Genosse Luzifer:

        Sie haben keine Ahnung, aber viel Selbstbewusstsein. Sie zitieren nur die Anforderungen an den Vorsatz. Vorsatz war hier gegeben. Wie auch in den Raserfällen.

        Mord wie Totschlag setzen Vorsatz voraus. Mord verlangt aber noch eine besondere Begehungsweise der Tötung. Etwa niedere Beweggründe - was bei Fremdenfeindlichkeit denkbar ist. Da Mord so hart bestraft wird sind die Gerichte aber gehalten, da sehr vorsichtig zu sein. Daher hat man es hier wohl nicht angenommen. Ob Raser deswegen oder wegen des Merkmals der gemeingefährlichen Art der Begehung verurteilt wurden, weiß ich gerade aber nicht.

      • @Genosse Luzifer:

        Das ist keine Begründung, sondern eine abstrakte Definition für Vorsatz. Hat mit dem Fall aber nichts, aber auch gar nichts zu tun. Der Vorsatz war kein Problem. Und zwar ziemlich sicher kein bedingter, sondern Absicht.

  • Ist der Satz ''Für unbescholtene Bürger sei er jedoch nie eine Gefahr gewesen'', ein Zitat der Anwältin Claudia Meng?



    Ist der Grund bekannt (öffentlich) wieso der Täter in der Wohnung des Opfers war?



    Wurde die von den Polizisten geäußerte, tiefe Reue des Täters, strafmildernd bewertet obwohl er sich ja jetzt, scheinbar, für die Tat als eine art Held stilisiert ?

  • Noch in Gedanke dazu:

    So wie der Täter sich "aus tiefster Reue" und mit der Bibel in der Hand dem Gericht stellt, bin ich mir nicht sicher, ob der Täter nicht in erster Linie ein gefährlicher christlicher Fundamentalist ist und nur in zweiter Linie rechts.



    Letztlich sind alle religiösen Fundamentalisten (Gottes) Reichsbürger auf Erden und unsere Gesetze sind für sie nur Tand, denen man eher aus Bequemlichkeit folgt.

  • Vielleicht ist die Erwartungshaltung an so einen Prozess bei einigen Leuten einfach zu hoch.

    In dubio pro reo gilt auch hier.

    Ich bin mir nicht sicher, was (und wie) das Gericht da noch an Aufgaben lösen können soll. Wenn man nur ein Geständnis hat und keine Zeugen, darf der Richter sich nicht was dazudenken.