Ungleichheit in der Coronakrise: Armut ist kein Naturgesetz
Die Coronakrise trifft wenig Verdienende stärker als andere. Die Mittel, der sozialen Ungerechtigkeit entgegenzuwirken, sind bekannt.
M anchmal bestätigen Studien auf traurige Weise das, was ohnehin schon alle wissen. Klar trifft Corona die alleinerziehende Aldi-Verkäuferin härter als den Marketingmanager mit Ehefrau und Kind. Sie lebt in der engen Mietwohnung, er im abbezahlten Haus mit Garten. Sie muss jeden Morgen zur Arbeit, er bleibt im Homeoffice. Sie kann dem Kind kaum beim digitalen Unterricht helfen, weil ihr Zeit und ein iPad fehlen, für ihn ist beides kein Problem.
Die ökonomisch Starken kommen mit der Pandemie besser klar als die Schwachen. Die These, dass Corona die soziale Ungleichheit in Deutschland verschärft, wird nun durch neue beeindruckende Daten des Wissenschaftszentrums Berlin und anderer Institute belegt. Gut so. Wie skandalös ungleich die Verhältnisse hierzulande sind, liegt normalerweise hinter einem Schleier, weil zu wenig darüber geredet wird.
Es ist nämlich kein Naturgesetz, dass die untere Hälfte der Deutschen fast nichts besitzt, während die oberen 10 Prozent über gut zwei Drittel des Nettovermögens verfügen. Ebenso wenig ist es Zufall, dass jedes fünfte Kind von Armut bedroht ist. Diese Zustände sind politisch gewollt.
Die Union, die seit fast 16 Jahren die Kanzlerin stellt, stemmt sich verlässlich gegen alle Initiativen, die die Spaltung zwischen Arm und Reich mindern würden – ob es nun eine faire Erbschaftsteuer oder ein höherer Mindestlohn ist. Auch Gerhard Schröders SPD und die Grünen haben in ihrer Regierungszeit Ungleichheit massiv gefördert, indem sie riesige Summen von unten nach oben leiteten und den größten Niedriglohnsektor Europas installierten.
Die Rezepte gegen die Spaltung in Vermögende und Habenichtse sind bekannt. Mit einer stärkeren Besteuerung von Vermögen ließe sich die Reichtumsexplosion zumindest verlangsamen. Es bräuchte eine Abgabenentlastung für Niedrigverdiener und eine solidarische Lohnpolitik in unteren Verdienstklassen. Außerdem steht die kluge Idee im Raum, eine Sozialerbschaft einzuführen, wie sie etwa der Ökonom Thomas Piketty vorschlägt. Jeder Bürger bekäme aus einem aus Steuern gespeisten Fonds ein Startkapital ausbezahlt.
Auch Leute ohne Erbe könnten so in eine Ausbildung oder eine Immobilie investieren. Leider ist nicht damit zu rechnen, dass die nächste Regierung das Thema ernster nimmt. Die Union wird die Ungleichheit weiter ignorieren. Und SPD, Grüne und Linke scheitern seit Jahren daran, ein vernünftiges Konzept für ein Mitte-links-Bündnis im Bund auf die Beine zu stellen. So versagt jede Partei auf ihre Weise. Aber alle jammern gemeinsam über die AfD, wissend, dass das Gefühl, abgehängt zu sein, eine wichtige Ursache für deren Erfolg ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste