Online-Unterricht in Corona-Krise: Profiteure mit Schwachstellen

Mit dem Lockdown geht Unterricht endlich online – und digitale Lernangebote etwa von Microsoft boomen. Doch die bringen nicht nur Vorteile.

Junge im virtuellen Unterricht

Im virtuellen Klassenzimmer: Schüler einer Grundschule in der US-Stadt Phoenix im August Foto: Cheney Orr/reuters

BERLIN taz | Bewährungsprobe Corona: Apps, virtuelle Lernräume, Software und Plattformen für Mathe, Deutsch oder Sprachen sollten im Lockdown umgehend für alle Klassenstufen zur Verfügung stehen. Das wünschten sich Elternverbände und Lehrkräfte. Zur Freude von Firmen, die seit Jahren versuchen, digitale Angebote im Unterricht zu etablieren.

Mit zu den größten Anbietern im Bildungsbereich zählt Microsoft. In der Pandemie hat der Konzern verschiedene Online-Fortbildungen zusammengestellt, die Lehrenden helfen sollen, den Unterricht digital zu gestalten – mit den konzerneigenen Produkten natürlich. Es gibt einen Leitfaden mit dem Titel „Vier Schritte zum Fernunterricht mit Teams“.

Teams ist Teil des Pakets „Office 365“. Das stellt Microsoft für Schulen in einer Basisversion kostenlos zur Verfügung, nicht nur in Deutschland, sondern beispielsweise auch in den USA, Großbritannien, Mexiko oder Indonesien. Enthalten ist eine Software für Videokonferenzen und zum digitalen Zusammenarbeiten. Laut Microsoft nutzen mehr als 150 Millionen Schüler:innen, Studierende und Lehrkräfte die Konzerntechnologie für den virtuellen Unterricht oder für den Aufbau digitaler Lernplattformen.

Aber auch kleinere Anbieter spüren die hohe Nachfrage. So registrierte die Webseite Sofatutor rund 1,5 Millionen Zugriffe in der Woche – rund viermal so viele wie vor dem Lockdown. Die Online-Lernplattform richtet sich an Schüler:innen von der Grundschule bis zum Abschluss. Es gibt Erklärvideos, Übungen, aber auch klassische Arbeitsblätter zum Ausdrucken und einen Hausaufgaben-Chat. Ähnlich funktionieren die Plattformen scoyo oder Anton.

Beim Datenschutz mangelhaft

Neben solchen Angeboten richteten zahlreiche Schulen selbst gehostete Lernräume ein, die den Austausch mit den Schüler:innen daheim fördern sollten. Genutzt wurden natürlich auch Youtube, Facebook und andere soziale Medien. Alle verstehen sich als Gewinner in der Pandemie und erhoffen sich mehr Akzeptanz für die Digitalisierung des Schulalltags.

Aber der Schub rückt auch Schwachstellen in den Mittelpunkt. Microsoft-Teams bekam bei einem Ranking der Berliner Datenschutzbeauftragten von mehreren Videokonferenzdiensten eine rote Ampel verpasst. Die Liste der Mängel ist knapp zwei Seiten lang. Und auch der EU-Datenschutzbeauftragte warnte kürzlich vor dem Einsatz von Microsoft-Produkten und riet zu Alternativen „mit höheren Datenschutzstandards“.

Aber: „Es geht auch im Marktmacht“, sagt Britta Schinzel, emeritierte Informatikprofessorin, heute im Vorstand des Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung. Schüler:innen gewöhnten sich schnell an die ihnen vorgesetzte Software – und wollten sie danach auch privat nutzen. Bei Microsoft wäre das „Microsoft 365 Family“, Kostenpunkt 99 Euro pro Jahr. Geld, das nicht jede Familie hat.

Digitalisierung auf politischer Ebene

Schule startet: Deutschland hat den Schulstart im Corona-Jahr bereits weitgehend hinter sich. Am oder kurz nach dem 1. September startet nun in vielen Ländern weltweit das Schuljahr. Viele Regierungen zögern jedoch mit einer Rückkehr zum Alltag – niemand möchte die Fehler Israels oder Australiens wiederholen. Dort wurden die Kinder zu früh wieder zusammen in die Schulen gesteckt, eine zweite Coronawelle war die Folge.

Schule startet nicht: Bleiben die Schulen geschlossen, fällt für Millionen Schüler:innen der Unterricht aus. Weil es keine stabile Internetverbindung gibt, weil die Familien keine oder nicht genügend Computer oder Smartphones haben. Ein Drittel aller Schulkinder weltweit, vermeldete Unicef vergangene Woche, blieb im Lockdown von Bildung ausgeschlossen: mehr als 463 Millionen Kinder und Jugendliche.

Das taz-Dossier: Die taz bringt zum globalen Schulstart 2020 Berichte unserer Korresponent:innen aus den USA, Brasilien, Uganda, den Niederlanden, China und weiteren Ländern. Alle Texte gebündelt finden Sie nach und nach hier.

Björn Schießle von der Free Software Foundation Europe kritisiert mangelnde Mitsprachemöglichkeiten – von Schüler:innen und Eltern. „Wenn die Schule sich etwa für eine bestimmte Cloudlösung entscheidet, lässt sich da kaum etwas dran ändern.“ Und gerade, wenn etwa Leistungsbeurteilungen oder persönliche Aufsätze in der Cloud landeten, sei mangelhafter Datenschutz ein Problem. Zumal mit der Entscheidung für eine Software auch Fakten geschaffen würden.

Schießle sieht weltweit die Länder im Vorteil, die sich früh um Digitalisierungsstrategien gekümmert haben. „Deutschland hat da viel verschlafen.“ Er fordert eine Lösung auf politischer Ebene: „Man darf das nicht auf die Schule oder einzelne Lehrer auslagern, sondern die Bundesländer sind es, die für nachhaltige, datenschutzkonforme Lösungen sorgen müssen.“ Politiker:innen, Ministerien müssten sich mit Themen wie Datenschutz und digitaler Souveränität auseinandersetzen und diese ernst nehmen, statt einfach auf die bekannten Lösungen von großen Anbie­tern zu setzen.

Der Lockdown schaffte, was Bil­dungs­ex­per­t:innen seit Langem predigen: die Erkenntnis, dass Deutschland bei Digitalangeboten in der Schule kläglich versagt hat. Es mangelt an Soft- und Hardware, mancherorts fehlte gar WLAN für den Zugang zum Netz. Ob Corona die Bildungslandschaft nachhaltig digitalisiert hat? Plattform- und Softwareanbietern zufolge ist das keine Frage. Unabhängige Studien lassen aber noch auf sich warten.

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