Ukrainische AKWs als Kriegswaffe: Was Robert Jungk schon wusste
Im Krieg gelten keine Regeln mehr. Zivile Atomkraft kann durch einen Angriff zur katastrophalen Gefahr werden.
D iese Art von Bedrohung ist neu in der Geschichte der Atomkraft: Erstmals ist eine Nuklearanlage im Krieg zu einem unmittelbaren Angriffsziel geworden. Die Atomsicherheit am ukrainischen Saporischschja mit seinen sechs Blöcken ist damit nicht mehr gegeben. Im Krieg sind schließlich viele Szenarien für AKWs denkbar.
Eine Katastrophe durch einen Angriff mit schweren Waffen ist genauso möglich wie das schlichtere Szenario, dass einer anrückenden Armee die Technik entgleitet, während die Soldaten versuchen, die Reaktoren unter eigene Kontrolle zu bringen. So bewahrheiten sich in der Ukraine gerade alle Befürchtungen, dass im Kriegsfall auch die tollsten Regeln nicht mehr helfen, die die Weltgemeinschaft angesichts des Zerstörungspotenzials der Atomtechnik einmal beschlossen hat.
Die Charta der Vereinten Nationen, das Völkerrecht und die Satzung der Internationalen Atomenergiebehörde ächten zwar bewaffnete Angriffe auf zivile Atomanlagen, doch im Krieg sind solche Dokumente so gut wie nichts mehr wert. Damit entlarvt Saporischschja den Slogan „Atoms for Peace“ als hohle Phrase. Mit diesen Worten öffnete US-Präsident Eisenhower 1953 das Tor zur „friedlichen Nutzung der Atomenergie“.
Sein Konzept war es, den Staaten der Welt beim Aufbau einer zivilen Atomwirtschaft zu helfen, sofern sie sich im Gegenzug bereit erklärten, ihre militärischen Atomprogramme einer Kontrolle durch die UN zu unterwerfen. Nun wird im Krieg auch die zivile Atomkraft zur Waffe. Den sensibleren Blick für die Zusammenhänge hatte einst der Publizist Robert Jungk.
Er schrieb schon 1977 in seinem Buch „Atom-Staat“, es sei „mit der technischen Nutzbarmachung der Atomkraft der Sprung in eine ganz neue Form der Gewalt gewagt“ worden. Auch die erklärte Absicht, die Technik nur zu konstruktiven Zwecken zu nutzen, ändere nichts an ihrem „lebensfeindlichen Charakter“. Diesen belegt nun die drohende Katastrophe von Saporischschja. Schade, dass – auch in der aktuellen Atomdiskussion in Deutschland – Robert Jungk beinahe vergessen ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr