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Die Ampel und nukleare TeilhabeKein Wintermärchen

Die Ampelkoalition gibt der atomaren Bewaffnung eine Zukunft. Robert Jungk, Petra Kelly und Heinrich Böll wälzen sich in ihren Gräbern.

Mutlangen 1983: mit Peace-Zeichen gegen den NATO-Doppelbeschluss und Atomraketen Foto: Thomas Pflaum/Bildarchiv Visum

T eilhabe klingt gut, demokratisch-ökologisch. Und atomare Teilhabe? Share a nuke! Hey, es braucht doch nicht jeder seine eigene Bombe. Wenn es denn nur so amüsant wäre.

Erstaunlich geräuschlos hat sich die Ampelkoalition darauf verständigt, für die in Deutschland gelagerten US-Atomwaffen neue Kampfflugzeuge anzuschaffen. Das heißt im Klartext: Diese Regierung gibt der Atombombe eine Zukunft. Denn Teilhabe bedeutet: Beim Luftwaffengeschwader in Büchel, Rheinland-Pfalz, liegen zwei Dutzend Bomben mit einer Zerstörungskraft, die als x-faches Hiroshima berechnet wird, und sie werden von deutschen Piloten im Kriegsfall Richtung Osten zum Einsatz gebracht. Bisher standen dafür Tornados bereit, die als veraltet gelten. Anstatt dies zum Anlass zu nehmen, die anachronistische Bewaffnung abzuschaffen, werden nun 45 extrem teure neue Jets gekauft, vermutlich in den USA.

Ich finde das gravierend, in mehr als einer Hinsicht. Und ich hätte erwartet, an der Basis von Grünen und Sozialdemokratie würde sich wenigstens ein Fünkchen Empörung zeigen. Immerhin wird im Grünen-Grundsatzprogramm von 2020 – nach damals heftiger Debatte – „ein zügiges Ende der nuklearen Teilhabe“ verlangt, und einige SPD-Spitzenpolitiker hatten noch im Wahlkampf den Abzug aller A-Waffen gefordert. Dies ist sozusagen die ästhetische Seite der Angelegenheit, der Beschiss an den Wähler:innen. Nun zum Inhalt und zur Zeitgeschichte.

Die ersten US-Nuklearwaffen kamen 1955 in die Bundesrepublik. Damals entstand die Anti-Atomtod-Bewegung, die älteste zivilgesellschaftliche Strömung für eine bessere Welt, die Mutter von vielem, was folgte. Ohne Namen wie Günther Anders (Jg. 1902) und Robert Jungk (Jg. 1913) wäre Petra Kelly (Jg. 1947) schwer denkbar gewesen, ohne Kelly nicht die heutigen Grünen. Deren parteinahe Stiftung ist nach Heinrich Böll benannt; bereits von Krankheit gezeichnet, ließ sich der Nobelpreisträger die Teilnahme an der Sitzblockade eines Raketenstandorts nicht nehmen.

Charlotte Wiedemann

hat sich als Reporterin vor allem mit muslimischen Gesellschaften befasst. Letztes Buch: „Der lange Abschied von der weißen Dominanz“.

Ich erwähne diese Überlieferungskette nicht nur, weil sie illustriert, wie weit sich heutige Prot­ago­nis­t:in­nen von jenem Geist entfernt haben, ohne den sie kaum auf die große Bühne gelangt wären. Sondern es scheint mir auch interessant, welche philosophischen Veränderungen damit verbunden sind. Aus der einstigen Infragestellung eines industriell-materialistischen Fortschrittsbegriffs wurde allmählich der Glaube an die technologische Machbarkeit der Quadratur des Kreises.

So wird es der Gesellschaft jedenfalls verkauft: Mit schlauen Konzepten ist alles vereinbar, Wohlstand und Klimaretten, Bleifuß und Verkehrswende, Pharmaprofite und Weltgesundheit. Kein Bruch, kein Konflikt, kein Zusammenstoß mit mächtigen Interessen. Keine Entscheidungen, zu denen die Allgemeinheit vielleicht in großen Debatten kommen müsste. Und bloß nicht das Wort Verzicht fallen lassen.

Unter der verbalen Abdeckfolie Klimaschutz lassen sich sogar nuklearbewehrte Kampfjets unterbringen

In diesem Konzept der Vereinbarkeit des Unvereinbaren ist die Vokabel Klimaschutz zu einer Art Abdeckfolie geworden, unter der sich alles Mögliche verstauen lässt, während ständig der Eindruck erzeugt wird, hier werde gerade die Menschheit gerettet. Da lassen sich dann sogar nuklearbewehrte Kampfjets unterbringen – als wären Militär und Rüstungsproduktion nicht Klimakiller ersten Ranges. Und eine Außenpolitik, die sich auf Klimaschutz, Werte, gar Feminismus beruft, passt nun irritierend gut in den Nato-Kurs gegen China und Russland.

Ein gewisser Antimilitarismus gehört zu dem wenigen, was sich von zwei verlorenen Weltkriegen im deutschen Massenbewusstsein niedergeschlagen hat. Umfragen zeigen kontinuierlich, wie viele mit dem antirussischen Kurs der Nato nicht einverstanden sind; dennoch hat friedenspolitisches Denken kaum eine Öffentlichkeit jenseits von Youtube-Kanälen, wo es in die unappetitliche Nähe zum „Querdenker“-Milieu gerückt werden kann. Aber es hat nichts mit rechtem Putin-Verstehertum zu tun, von einer Fortschrittskoalition zu erwarten, dass sie sich für eine europäische Friedensordnung einsetzt, die Russland einbezieht.

Gerade weil der Fortschrittsbegriff dieser Regierung wenig Substanz hat, muss das Ganze zu einem Projekt stilisiert werden, das gleichsam über sich selbst hinausweist. Eine SPD, die mit einem Viertel der Wählerstimmen und mit nur einem Prozentpunkt Vorsprung gegenüber der Union den Kanzler stellt, ruft nun ein sozialdemokratisches Jahrzehnt aus. Als wäre sie nicht mehr die identitätslose Schwurbelpartei von vor vier Monaten.

Eine Äußerung von Olaf Scholz klingt mir besonders im Ohr. „Wenn wir es nicht machen, wer soll es dann von uns lernen?“ Welch Selbstüberhöhung. Die Ampel ist eine Weltlaterne, hell erscheint sie über dem Globus, und alle Gesichter werden sich ihrem Glanze zuwenden: Seht nur, die Deutschen!

Sie werden „Europa zu einem Kontinent des nachhaltigen Fortschritts machen“ (O-Ton Koalitionsvertrag), und durch „europäische Standards setzen wir Maßstäbe für globale Regelwerke“. Wenn alle Welt in der Flüchtlingspolitik das EU-Regelwerk zum Maßstab nehmen würde, dann stünde der Planet in Flammen. An der polnisch-belarussischen Grenze standen 0,005 Prozent der derzeit global Flüchtenden, und Babys mussten erfrieren. Ich hoffe inständig, dass die Toleranz südlicherer Länder ein Maßstab werde.

Was haben wir sonst noch im Repertoire für das Scholz'sche Diktum, dass andere von uns den Fortschritt lernen? Faschistoide Fackelmärsche, vergraulte Pflegekräfte, Wahnreden, in denen Ungeimpfte mit armenischen Völkermordopfern verglichen werden, aggressives Gemäkel, während wir im Impfstoff schwimmen, den andere nicht bekommen dürfen. Kein Wintermärchen gerade, dieses Deutschland. Aber an unserer Ampel wird die Welt genesen.

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16 Kommentare

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  • "werden nun 45 extrem teure neue Jets gekauft, vermutlich in den USA"

    sehen wir mal ab von der Sinnfrage (es macht keinen) und der Feststellung für was die "nukleare Teilhabe ist": das mitsitzen dürfen am Tisch der Atommächte...ohne Mitspracherecht

    DEr Eurofighter kann natürlich die A-Bombe tragen: Bombenschlösser sind meines Wissens in der Nato Standardisiert, ggf. eine kleine zusätzliche Elektronik für das freischalten: technisch kein Problem!!!

    Es geht um die Zertifizierung des Trägers durch die USA. Ein Stück Papier!!!

    Und die USA sagen: kauft unsere Jets für Milliarden, dann geben wir euch das Papier.

    Darum geht es!

    PS: kein US Jet startet ohne Freigabe durch die USA. Keiner. Vor jedem Start. Offenes "Geheimnis". Soviel zu wir sind ein souveräner Staat!

    • @danny schneider:

      Ehra Worte in Fissis Gehörgang vs ♦️ einfach!

  • Wenn es um Machtbeteiligung geht, dann geben auch die Grünen ihre Werte an der Gaderobe ab.

  • "Die nukleare Teilhabe ist ein Konzept innerhalb der Abschreckungspolitik der NATO, das Mitgliedstaaten ohne eigene Nuklearwaffen in die Zielplanung und in den Einsatz der Waffen durch die NATO einbezieht." (Wkigedöns)

    Demnach ist der Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe lediglich, aus entsprechenden Planungen auszusteigen und keinen Einfluss mehr haben zu wollen.

    Das wäre Politik nach dem Drei Affen Prinzip : Nicht sehen, nicht hören nicht sprechen.

    Mit Pazifismus hätte das nichts zu tun.

    • @Rudolf Fissner:

      Sie irren. Es würde bedeuten, dass künftig keine 20 A-Bomben mehr auf deutschem Boden gelagert würden und vor allem keine 8,6 Mrd für neue atomwaffenfähige Kampfjets ausgegeben werden würden. Dieses Geld könnte man wesentlich sinnvoller ausgeben.

      • @Denkdussel:

        Es würde bedeuten, dass die 20 A Bomben woanders rumliegen und dass DE Keinen Einfluß mehr auf Planungen hat. Der Militär-Etat würde deswegen nicht sinken. Was ist damit gewonnen?

    • @Rudolf Fissner:

      “Der junge Mann is sich noch am - Entwickeln!“ Ol Conny für FJS -



      &



      Behielt - gut verborgen in Zusagzerklärungen etc - den Finger am Trigger - der alte Roßtäuscher.

      kurz - Gut & wieder met Schwung!



      De bekannt - cremig bremisch Jung! 🤬 -

      Na Mahlzeit

      • @Lowandorder:

        "So wird es der Gesellschaft jedenfalls verkauft: Mit schlauen Konzepten ist alles vereinbar, Wohlstand und Klimaretten, Bleifuß und Verkehrswende, Pharmaprofite und Weltgesundheit."

        Als ehemalige Reisleitern im Iran und Mali bis kurz vor Corona wird Frau Wiedemann sich mit schlauen Konzepten zu Bleifuß und Klimaretten im Rahmen des internationalen Tourismus wohl bestens auskennen. ( de.wikipedia.org/w...te_Wiedemann#Leben )

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Gebrauchsanweisung für Anfänger in der sorgenfreien Liebe zu Atomwaffen“. (Austria)



    de.wikipedia.org/w...ie_Bombe_zu_lieben

  • Schon wieder so einen dummen widerlichen populistischen demokratie-verachtenden Artikel. Natürlich findet man in einem Koalitionsabkommen nicht nur reine Grüne Positionen. Dann gleich von "Beschiss an den Wähler:innen" zu reden macht es unmöglich demokratisch zu regieren. Das sollte jemand die behauptet gegen Faschistoide Fackelmärsche zu sein nicht machen. Überzeuge Menschen, sorge dafür, dass es das nächstes mal dafür Mehrheiten gibt, statt Leute zu den Fackelmärschen zu drängen.

    • @Victor Venema:

      Wenn die 2 größeren Parteien klar für (nukleare) Abrüstung standen, dann ist das faktisch Verrat an den eigenen Werten und Beschiss des Wählers. Das auch so zu erwähnen ist net antidemokratisch, ganz im Gegenteil: das zu ignorieren wäre alles andere als demokratisch

  • Ein selten guter Beitrag. Mehr davon!

  • Ein sehr zutreffender Beitrag!!



    Es ist atemberaubend, wie sich die Grünen zu einer Aufrüstungspartei mit Atombewaffnungsmöglichkeit entwickelt haben.



    Dazu passt das Säbelrasseln gegen Russland. Das Sicherheitsbedürfnis Russlands wird einfach beiseite geschoben. Geschichtsvergessenheit!

  • Guter Artikel.

    Ich würde ein europäisches Sicherheitskonzept, das Rußland einbezieht, auch super finden. Leider sieht Rußlands - Putins - Vorstellung so aus, daß erstmal Ukraine, Belarus und Baltikum von Natur aus zu Rußland gehören, Finnland am besten auch, also eine Art osteuropäischer Selbstbedienungsladen, und ansonsten die NATO und EU am besten sabotiert gehören. Teile und herrsche. Rußland führt seit 20 Jahren einen Hybridkrieg gegen den Westen, mit Hacking, Desinformationskampagnen und Social Engineering. Das müßte erstmal aufhören, wenn man über eine gemeinsame Zukunft nachdenken möchte.

    Leider lebt Herr Putin geistig im Großen Vaterländischen Krieg, in dem alle Russen Helden und Opfer sind, und sein Vorbild ist Stalin. Deswegen darf man auch in Rußland beides nicht mehr kritisieren. Putin führt immer noch Kalten Krieg und gedenkt ihn zu gewinnen. Er möchte den Zustand wiederherstellen, den er als junger Mann gekannt hat. Starker Staat, klares Feindbild.

    20 Atomwaffen sind im internationalen Vergleich lächerlich wenig. Es ist in etwa die Größenordnung, die nötig ist, um einen minimalen Abschreckungseffekt zu erzielen. Was passiert, wenn man seine Atomwaffen aufgibt, kann man am Beispiel der Ukraine sehen.

    Die Welt ist halt leider so. Appeasement Policy hatten wir schon mal. Hat nicht funktioniert. Gefällt mir alles auch nicht, aber ich meine, daß Rußland im Moment eine klare Bedrohung für Europa ist und auf der Basis muß man dann leider Entscheidungen treffen.

    Ich gebe auch zu bedenken, daß es immer noch Erlasse und Statuten aus der Besatzungszeit geben mag, die der Öffentlichkeit unbekannt sind und die Regierung trotzdem binden. Vielleicht hat man da keine Wahl gehabt.

    • @kditd:

      Sorry - wenn ich recht informiert bin:



      Annalena di Trallafitti hat schon diverse



      Redenschreiber (entre nous - eh‘n Scheißjob - bei der Perle vande ahl Labertäsch - ergo besser die Reißleine - vor Einschlag ziehn - bei sojet Hütchenspielerin - wenn ehna ehra Nerve lieb sin!)



      servíce Gern&Dannichfür

      unterm—— Na da schau her — wg🧑‍🎄🎅🏻



      “20 Atomwaffen sind im internationalen Vergleich lächerlich wenig.“



      www.spiegel.de/pol...-0000-000046275467



      “… Vor genau einem Jahr wurde der deutsche Weihnachtsfrieden durch den Generalinspekteur der Bundeswehr, Heinz Trettner, gestört. Es hieß, er wolle Atom-Minen legen, und der Militär-Experte der »FAZ« - Adelbert Weinstein, betätigte voreilig die Zündung.



      Ein Jahr danach, kurz vor dem Christfest 1965, deponieren die Amerikaner auf deutschem Boden mehrere hundert Atomminen. Diesmal ist keine Detonation zu hören.



      Am 16. Dezember 1964, einen Tag nach Beginn. der jährlichen Nato-Konferenz in Paris, berichtete Weinstein in der »FAZ«, Trettner habe im Nato -Militärausschuß vorgeschlagen, entlang der Zonengrenze »eine Sperre von Atom-Minen« anzulegen. Konsequenz für die Zivilbevölkerung, falls die Minen explodieren: Etwa zehn Millionen Deutsche würden direkt, die ganze Bundesrepublik mittelbar in Mitleidenschaft gezogen.“ Rest selber=>



      Wurde alles geleugnet - klar.



      Mir als Z2-🐽 - wurden stolz die ersten Baugruben vom Trettner-Gürtel präsentiert! Gellewelle.

      kurz - Vermute mal - alsse noch als Quark im Fenster lagen - wa!



      Etwas locker mit dem Leben der Mit&Erdenbewohner - wa! Annalena di Koboldina wirds freuen. Newahr.



      Normal •



      &



      Mal zur Vorkacke - Koalitionsvertrag -



      2013 - 2017 Militärpolitik -



      “ Militärpolitik im Koalitionsvertrag -



      www.ialana.de/arbe...icht-mehr-im-focus

      Kacke am Dampfen Dauerbrenner •

  • Liggers. Wie sagte ich‘s n paar Blätter weiter!

    “DIE ZEIT DER SCHAME - IST ENDGÜLTIG VORBEI“ •