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Ukrainische AKWs als KriegswaffeWas Robert Jungk schon wusste

Bernward Janzing
Kommentar von Bernward Janzing

Im Krieg gelten keine Regeln mehr. Zivile Atomkraft kann durch einen Angriff zur katastrophalen Gefahr werden.

Das beschädigte AKW in Saporischschja Foto: Alexander Ermochenko/reuters

D iese Art von Bedrohung ist neu in der Geschichte der Atomkraft: Erstmals ist eine Nuklearanlage im Krieg zu einem unmittelbaren Angriffsziel geworden. Die Atomsicherheit am ukrainischen Saporischschja mit seinen sechs Blöcken ist damit nicht mehr gegeben. Im Krieg sind schließlich viele Szenarien für AKWs denkbar.

Eine Katastrophe durch einen Angriff mit schweren Waffen ist genauso möglich wie das schlichtere Szenario, dass einer anrückenden Armee die Technik entgleitet, während die Soldaten versuchen, die Reaktoren unter eigene Kontrolle zu bringen. So bewahrheiten sich in der Ukraine gerade alle Befürchtungen, dass im Kriegsfall auch die tollsten Regeln nicht mehr helfen, die die Weltgemeinschaft angesichts des Zerstörungspotenzials der Atomtechnik einmal beschlossen hat.

Die Charta der Vereinten Nationen, das Völkerrecht und die Satzung der Internationalen Atomenergiebehörde ächten zwar bewaffnete Angriffe auf zivile Atomanlagen, doch im Krieg sind solche Dokumente so gut wie nichts mehr wert. Damit entlarvt Saporischschja den Slogan „Atoms for Peace“ als hohle Phrase. Mit diesen Worten öffnete US-Präsident Eisenhower 1953 das Tor zur „friedlichen Nutzung der Atomenergie“.

Sein Konzept war es, den Staaten der Welt beim Aufbau einer zivilen Atomwirtschaft zu helfen, sofern sie sich im Gegenzug bereit erklärten, ihre militärischen Atomprogramme einer Kontrolle durch die UN zu unterwerfen. Nun wird im Krieg auch die zivile Atomkraft zur Waffe. Den sensibleren Blick für die Zusammenhänge hatte einst der Publizist Robert Jungk.

Er schrieb schon 1977 in seinem Buch „Atom-Staat“, es sei „mit der technischen Nutzbarmachung der Atomkraft der Sprung in eine ganz neue Form der Gewalt gewagt“ worden. Auch die erklärte Absicht, die Technik nur zu konstruktiven Zwecken zu nutzen, ändere nichts an ihrem „lebensfeindlichen Charakter“. Diesen belegt nun die drohende Katastrophe von Saporischschja. Schade, dass – auch in der aktuellen Atomdiskussion in Deutschland – Robert Jungk beinahe vergessen ist.

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Bernward Janzing
Fachjournalist mit Schwerpunkt Energie und Umwelt seit 30 Jahren. Naturwissenschaftler - daher ein Freund sachlicher Analysen.
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29 Kommentare

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  • Agesichts der konkreten Bedrohung des größten Atomkraftwerks Europas ein sehr kritischer Artikel im Spiegel:



    "Renaissance der Atomkraft Abschalten, jetzt erst recht!"



    www.spiegel.de/pol...-8509-0f01e366c9d6

    • @Brot&Rosen:

      Realität durchkreuzt Streckpläne:



      "Kein Streckbetrieb möglich AKW Emsland soll planmäßig vom Netz gehen"



      www.n-tv.de/politi...ticle23512764.html

      • @Brot&Rosen:

        "Dr. Eva Stegen



        Zum #Atomkraftwerk #Neckarwestheim erklärt der Ex-Atomaufseher im @BMUV



        , Majer, daß die #Korrosion zum totalen Rohrabriß führen kann.



        Nach allen vorliegenden Unterlagen bestehe die akute Gefahr eines schweren Atomunfalls.



        youtu.be/Q8GJXQv5mYk



        @SWRAktuellBW



        @UmweltBW



        #Atomkraft



        youtube.com



        Sicherheitsrisiko Kernkraftwerk Neckarwestheim? | Zur Sache! Baden-...



        Ein Gutachten, dass dem SWR exklusiv vorliegt, warnt vor Sicherheitsmängeln im Kernkraftwerk. Durch Korrosion "



        twitter.com/EvaSte...wWhIC8larbo5srAAAA

        Jetzt ist der grüne Ministerpräsident gefragt:

        "S Mueller-Kraenner



        Danke an @OlafLies für das klare Statement, dass das AKW Lingen zum Ende des Jahres vom Netz geht. Jetzt warte ich auf ein ebenso klares Statement von Winfried Kretschmann zum Ende von Neckarwestheim. Von Herr Söder erwarte ich zu Isar2 gar nichts mehr. #Atomkraft @Umwelthilfe"



        twitter.com/EvaSte...wWhIC8larbo5srAAAA

        Und von der TAZ würde ich mir eine Berichterstattung dazu wünschen.

  • Selbst schon damals das erwähnte Buch Atom-Staat gelesen habend, erachte ich den daraus abgeleiteten Schluss als a)zu allgemein und b)der aktuellen Situation nicht gerecht werdend.



    Grund: betr. a) Dass AKWs hoch gefährlich sind, ist bekannt und streitet kein von Verstand seiender Mensch ab.



    betr. b) So wie uns das von Putin in einer Art EinMann-Herrschaft geführte Russland hinsichtlich der gelieferten Gasmenge zittern lässt, so setzt dieser Kriegsverbrecher gegen den (Osten, wie den) Westen die Vulnerabilität besagten AKWs (auch) in Bezug auf ganz Europa ein.



    Jeder, welche* noch in Erinnerung hat, wie damals "Tchernobyl" bei uns im Westen einschlug, weiß noch, was für existenzielle Verunsicherungen für uns damit einhergingen. Und anders als aktuell, handelte es sich dabei um einen (dusselig provozierten) testerzeugten Supergau zu Friedenzeiten, und nicht um ein AKW, welches militärisch hart umkämpft ist. Das ist objektiv völliger Wahnsinn und das Spielen mit unser aller existenziellen Zukunft, was dieser AlleinHerrscher im Kremel hier in Ausleben seines Narzissmus über uns drohend herabrieseln lässt!

    ANGESICHTS DESSEN sollten sich die "angesprochenen Kräfte" in Russland die Frage stellen, was für "Flachpfeifen" müsst ihr sein, dass ihr selbst angesichts einer solch massiven Bedrohung der Welt nicht in der Lage seid, diesen alleinherrschenden Despoten im Kreml zu stürzen, sodass derartige Gefahren gebannt werden können?!?! Denn, anders als mit Putin, wird die Welt zu verhandeln jederzeit bereit sein. Also was hindert Euch, den zentralen Verursacher dieses Gemetzels in der Ukraine ENDLICH zu ELIMINIEREN??? Denn dass Russland - egal was die Zukunft bringen möge - hier (auf Dauer wirkend) auch nur einen schlichten Blumentopf gewinnen kann, ist schlicht ausgeschlossen; was auch jeder Hintlerwäldler mittlerweile begriffen haben sollte.



    ;-)

  • Deutsche A-Kraftwerke sind geschützt gegen Angriffe. Das Bedrohungsszenarium sieht hier aufsteigende Abfangjäger vor, die es zur Zeit nicht gibt und Vernebelung der Kraftwerke - sogenannte Nebelkerzen.

    Vermutlich hat unsere Regierung dem Atomwaffensperrvertrag deshalb noch nicht unterzeichnet, da die stationären friedlich genutzten Atombomben getarnt auf unserem Land stehen.



    Damit wäre die Unterzeichnung nun endlich unter Berücksichtigung einer Absage zum Streckbetrieb ab 01.01.2023 möglich, da dann auch unsere Lichter in der öffentlichen Verwaltung nicht ausgehen.

  • Ja, Robert Jungk hat dies visionär beschrieben und leider könnte sich vieles weiterhin bewahrheiten. Aktuell machen die Bedrohung noch einmal deutlich, dass Verhandlungen absolut unabdingbar sind. Die einzige Gefahr ist, dass sie scheitern, die Hoffnung ist, dass wenigstens das Schlimmste verhindert werden kann.

    • @PolitDiscussion:

      Und mit wem wollen Sie verhandeln?

      • @mwanamke:

        Tja. Diese Frage bleibt auch Monate nach Kriegsbeginn offen. Weiß wohl keiner...

    • 6G
      659975 (Profil gelöscht)
      @PolitDiscussion:

      Sie meinen nicht Verhandlungen, sondern Erpressung:



      Putin: Wenn ihr mich meinen Krieg nicht gewinnen laßt, zerstöre ich ein paar AKW's in der Ukraine.



      Meinen sie diese Art von Verhandlung?

  • ..neben der aktuellen Bedrohungslage in der Ukraine noch ein guter Grund mehr, sich von Atomkraft zu veabschieden

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Zivile Atomkraft kann durch einen Angriff zur katastrophalen Gefahr werden."

    Neiiiiiiiin, deutsche Atomkraftwerke sind immun gegen russische Raketen. Die prallen einfach ab.



    Herr Söder hat somit völlig recht. Weiter mit Atomkraft, bis zum bitteren Ende.

  • Dass per definitionem ein Staat, der Atomkraft friedlich nutzt, in kurzer Zeit aus dem Material für Brennstäbe auch Material für Sprengkörper produzieren kann, also im Prinzip waffenfähiges Material i.w.S. bevorratet, liegt auf der Hand. Ein gefährliches 'Junktim'. Kernenergie ist die teuerste Energie, auch das ist eine Binsenweisheit, wiederholt wurde es kürzlich auch von Mojib Latif. Damit unterstrich er die Unvereinbarkeit eines wirksamen Klimaschutzes mit dem Ausbau der Atomindustrie. Eisenhower als US-Präsident sah am Ende seiner Amtszeit die Welt differenzierter als noch in Uniform, er hatte den Begriff des militärisch-industriellen Komplexes, der teilweise heute zum militärisch-informationellen Komplex mutiert ist, erkannt und dessen inhumane, unkalkulierbare Zukunft adressiert. Neben Robert Jungk prägte ein Wissenschaftler und Manager die kritische Einstellung meiner Generation, an den ich hier zusätzlich erinnere: Klaus Traube. Es geht wieder los, weil 'es ist (wieder) an der Zeit'.



    //



    www.sr-mediathek.d...7&id=26636&tbl=pf/



    //



    youtu.be/RFWu3Oxo2pw/



    //



    taz.de/Die-Ampel-u...Teilhabe/!5819189/



    //



    taz.de/Nachruf-auf...physiker/!5334483/

    • @Martin Rees:

      "also im Prinzip waffenfähiges Material i.w.S. bevorratet"



      Einfach Brennstäbe in die Bombe stecken? Ganz so einfach ist es dann zum Glück doch nicht aus den auf etwa 12-13% angereicherten Pellets auf bombenfähige 93% zu kommen, sonst wäre etwa der Iran schon längst Atommacht.

  • Vor Kurzem gab es schon mal Ängste bzgl. der Sicherheit ukrainische AKWs .



    Das deutsche Kurzzeitgedächtnis ist löchrig.



    Bauen wir doch suf eine strahlende Zukunft!

    • @Philippo1000:

      Zum Glück ist die Endlagerung von Kohlendioxid in der Atmosphäre völlig unbedenklich.



      Und wenn wir wieder su einen schönen warmen Sommer haben, kaufe ich mir eine Klimaanlage.



      Nein, im Ernst: der einzige Ausweg wäre der Verzicht, und dafür geht es zns noch viel zu gut. Atomkraft sehe ich dennoch entspannter als Kohlestrom.

      • @Carsten S.:

        Diese Kraftwerke sind ggf. (Krieg, Terror) sowas wie feindliche Atombomben im eigenen Land. Sehr entspannend.

        • @guzman:

          Kernkraftwerke kann man schützen. Wenn es nötig ist, befürworte ich eine europäische oder ggf. auch deutsche Nuklearbewaffnung, um einen möglichen Angreifer abzuschrecken. Was Verträge und Memoranden wert sind, haben wir ja gesehen. So viel zum Thema Atomwaffensperrvertrag.



          Bei Kernkraftwerken bestehtvimmerhin ein Risiko. Bei der CO2-Vergiftung besteht kein Risiko, sondern die Gewissheit, dass das nicht gut ist und viele Menschenleben kostet. Da ist mir persönlich das Risiko lieber, da es nicht unbedingt eintreten muss.

        • @guzman:

          "sowas wie feindliche Atombomben"



          Streng genommen sind es eher sowas wie große, schmutzige Bomben. Wenn so ein Reaktor hoch geht ist das idR kein Atom-, sondern eine Wasserstoffexplosion, allerdings beträgt das readioaktive Inventar eines AKW zig Tonnen und nicht 'nur' ein paar Kilo wie in einer Bombe.

          • @Ingo Bernable:

            Trotzdem ist das Risiko eher lokal begrenzt. Ein leichtwassermoderierter Siedewasser- oder Druckwasserreaktor wie in Deutschland brennt nicht wie ein graphitmoderierter Druckröhrenreaktor wie in Tschernobyl, und die Tsunamigefahr in Deutschland ist auch überschaubar.



            100 t Uran (metallisch) sind ca. 5 Kubikmeter. Oxidisch ist es sicherlich etwas mehr. Der Anreicherungsgrad reicht nicht für eine nukleare Explosion. 100 t ist eine typische Menge für das Spaltstoffinventar eines grossen KKW.



            Das ganze ist natürlich eine regionale Katastrophe, aber es gibt keinen Mechanismus, der das Material über hunderte Kilometer Umkreis verteilt.



            Natürlich kann es Wasserstoff-, oder genauer gesagt, Knallgasexplosionen geben, oder eine Kernschmelze. Alles nicht gut, aber von den Ausmassen vermutlich weniger schlimm als Majak oder Tschernobyl. Ausserdem ist ja das Risiko eines Unfalls nicht hoch, sondern nur der dabei angerichtete Schaden. Für mein Empfinden sind die deutschen KKW derzeit gut geführt und das Risiko vertretbar.



            Dagegen abzuwägen ist die Verzichtsbereitschaft der Einwohner und der Energiebedarf unserer Industrie. Es hat alles seinen Preis.



            In wie weit stünden wir eigentlich besser da, wenn z.B. Cattenom oder Doel oder Tihange angegriffen würden? Oder Leibstadt?

  • Und konkret? In der SZ steht: 》Krieg in der Ukraine

    Was die Situation am Atomkraftwerk so gefährlich macht

    Geschosse schlagen auf dem Gelände von Europas größtem AKW in Saporischschja ein. Feuern die Russen auf ihre eigene Stellung? Oder sind es die Ukrainer, obwohl die Invasoren das Kraftwerk offenbar als Schutzschild nutzen?《 (der Rest ist hinter ner Paywall)

    Wissen Sie die Antwort? Oder ist das eh sowieso klar, wie bei dem AI-Bericht: kann nicht sein?