USA in der Ukraine: Geheime Verhandlungen mit der Opposition
US-Unterhändler verhandeln mit der ukrainischen Ex-Regierungschefin Tymoschenko und dem früheren Staatschef Poroschenko. Es geht um Neuwahlen.

Das zentrale Thema der Gespräche soll die Möglichkeit gewesen sein, rasche Präsidentschaftswahlen abzuhalten – nach einer vorläufigen Waffenruhe, aber noch vor ernsthaften Friedensverhandlungen. Laut amerikanischen Journalist:innen ist das Trump-Team überzeugt, dass Selenskyj jede Wahl verlieren würde, da die ukrainische Gesellschaft angeblich kriegsmüde und von der Korruption enttäuscht sei.
Das ukrainische Magazin NV berichtet unter Berufung auf eine politische Quelle, die an den Gesprächen beteiligt war, dass Tymoschenko dabei eine wichtige Rolle spielen könnte: Ihr solle das Amt der Sprecherin des Parlaments angeboten werden, und nach einem erzwungenen Rücktritt Selenskyjs solle sie als Interimspräsidentin fungieren – bis zur Durchführung von Wahlen. „Es gab mehrere Treffen mit Tymoschenko, das Letzte in Europa. Aber natürlich ist das nur eine der Möglichkeiten, die derzeit diskutiert werden – auch mit ihr“, erklärte die Quelle.
Der Abgeordnete der Partei von Julija Tymoschenko, Serhij Jatuschtschok, bestätigte gegenüber ukrainischen Journalist:innen, dass Tymoschenko Treffen mit US-Außenminister Marco Rubio und dem US-Sondergesandten für Ukraine- und Russland-Fragen Keith Kellogg gehabt habe. Er bestätigte zudem, dass das Thema Wahlen während dieser Gespräche zur Sprache gekommen sei.
Entschiedene Ablehnung
Tymoschenko kommentierte den Politico-Bericht und erklärte, die Ukraine sei bereit zu Verhandlungen zur Beendigung des Krieges „unter starker Führung Trumps“. Gleichzeitig betonte sie jedoch, dass Wahlen erst nach einem fairen Frieden möglich seien.
Auch Ex-Präsident Petro Poroschenko reagierte auf die Publikation und erklärte, sein Team arbeite „öffentlich und transparent mit den amerikanischen Partnern zusammen, um die parteiübergreifende Unterstützung der Ukraine zu bewahren“. Er bekräftigte jedoch seine entschiedene Ablehnung von Wahlen während des Krieges: „Wahlen sind erst nach einer Waffenruhe und einem Friedensabkommen mit Sicherheitsgarantien für die Ukraine möglich“, so Poroschenko.
Sowohl Julija Tymoschenko als auch Petro Poroschenko gehören zur alten politischen Elite der Ukraine. Die 64-jährige Tymoschenko war zweimal Premierministerin, nachdem sie 2004 eine der führenden Figuren der „Orangen Revolution“ gewesen war. Dreimal kandidierte sie für das Präsidentenamt, landete jedoch jedes Mal auf Platz zwei oder drei.
Gegen sie wurde mehrfach in Zusammenhang mit Korruptions- und Gasskandalen ermittelt. Schließlich wurde sie jedoch aufgrund eines politisch motivierten Verfahrens unter Präsident Wiktor Janukowytsch inhaftiert. Nach der „Euromaidan“-Revolution wurde sie rehabilitiert und konnte ihre politische Karriere fortsetzen.
Höchste politische Ämter
Der 59-jährige Petro Poroschenko, einst Verbündeter Tymoschenkos während der „Orangen Revolution“, hatte ebenfalls höchste politische Ämter inne. Der Geschäftsmann wurde Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats, Außenminister und Wirtschaftsminister. Seinen größten politischen Erfolg hatte er im Mai 2014: Nach dem Euromaidan und dem Beginn der russischen Aggression wurde er bereits im ersten Wahlgang mit über 50 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt. Doch die Wähler:innen wandten sich von ihm ab: 2019 unterlag er im zweiten Wahlgang mit 24,5 Prozent gegen Selenskyj, der 73,2 Prozent erhielt.
Poroschenko ist in mehrere Strafverfahren verwickelt, darunter wegen Hochverrats, Korruption und mutmaßlicher Zusammenarbeit mit den Besatzungsverwaltungen der Regionen Donezk und Luhansk. Dabei geht es um überteuerte Kohlegeschäfte. Im Rahmen dieser Ermittlungen verhängte der Nationale Sicherheitsrat der Ukraine im Februar 2025 Sanktionen gegen ihn.
Bei den letzten Parlamentswahlen 2019 erzielten beide Parteien fast ähnliche Ergebnisse: Der Block von Julija Tymoschenko erhielt 8,18 Prozent und 26 Mandate, während „Europäische Solidarität“ von Petro Poroschenko mit 8,1 Prozent und 25 Mandaten ebenfalls in der Opposition landete.
Heute ist die Unterstützung für beide Politiker:innen in der ukrainischen Gesellschaft sehr gering. Jahrzehnte an der Macht, Korruptionsskandale und politische Intrigen haben ihre Popularität stark beschädigt. Laut einer Umfrage des internationalen Forschungsprojekts IBIFUkraine1 lag die Unterstützung für Tymoschenko zwischen Dezember 2024 und Januar 2025 bei nur 3,9 bis 5 Prozent. Bei Poroschenko schwankte sie zwischen 6,1 und 8 Prozent.
Zusammen rücken
Während Washington und Moskau sich offenbar darin einig sind, Selenskyj aus dem Amt zu drängen, rückt die ukrainische Gesellschaft enger um ihren amtierenden Präsidenten zusammen. „Diese Politiker:innen waren mehr als 20 Jahre an der Spitze der Ukraine. Sie haben nicht gegen Korruption gekämpft, sondern sie stärker werden lassen. Sie dachten nicht an den Staat, sondern an ihre eigenen Geschäfte. Sie sind eine toxische Last für die Zukunft der Ukraine“, sagt Wolodymyr, ein Rentner aus Kyjiw.
„Amerikanische Politiker:innen können wünschen, träumen, hoffen – aber das ist unser Land, unser Präsident. Wir sind ein souveräner, unabhängiger Staat und kein Bundesstaat von Trump. Die Ukrainer:innen sind dem amerikanischen Volk sehr dankbar, aber es liegt an uns, zu entscheiden, wer unser Präsident sein wird und wer nicht“, meint die IT-Spezialistin Larysa.
Der Soldat Oleh warnt vor den Gefahren einer Wahl zum jetzigen Zeitpunkt: „Es gibt viele Klagen über Selenskyj und sein Umfeld. Aber Wahlen würden uns spalten – Russland würde das nutzen, und wir könnten so unsere Staatlichkeit verlieren“.
Eine der wenigen realistischen Chancen für die politischen Gegner:innen Selenskyjs und deren Unterstützer:innen scheint daher zu sein, seine Kandidatur bei den Wahlen mit allen Mitteln zu verhindern. Ob die USA diesen Schritt in ihrem Annäherungskurs an Russland tatsächlich gehen werden, dürfte sich in naher Zukunft zeigen.
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