Trumps Auftritt vor der UNO: Angekommen in der Welt der postfaktischen Außenpolitik
Interessiert sich noch jemand für den Wahrheitsgehalt von Aussagen mächtiger Politiker, die die Weltpolitik bestimmen? Gegenwehr ist alternativlos.

D ie Vereinten Nationen finanzieren Großangriffe auf den Westen. Der Klimawandel ist ein Riesenschwindel. Die Ukraine ist ein Nazi-Konstrukt. Deutschland kehrt zurück zur Atomkraft. In London herrscht die Scharia. Palästina gab es nie. Der Krieg zwischen Kambodscha und Armenien ist beendet. All diese Aussagen wurden in jüngster Zeit von mächtigen Politikern getroffen. Nicht alle sind aus der Rede des US-Präsidenten Donald Trump vor der UN-Vollversammlung am Dienstag, auch Wladimir Putin und Benjamin Netanjahu sind dabei. Aber sie alle sind Lügen, geäußert zur Rechtfertigung eigenen Unrechts und zur Diskreditierung außenpolitischer Gegner.
Die Welt ist in der Ära der postfaktischen Außenpolitik angekommen. Tatsachen zählen nicht mehr, nur Behauptungen. Trump sagt, er habe in sieben Monaten sieben Kriege beendet. Putin stellt seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine als Abwehrkrieg gegen die Nato dar. Netanjahu setzt alle Palästinenser mit der Hamas gleich. Alle drei Behauptungen sind leicht zu widerlegende Verdrehungen der Tatsachen, aber sie begründen die Außenpolitik aller drei und bekommen damit unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt einen Wirklichkeitsgehalt – eine subjektive Wirklichkeit, die reales, objektives Handeln prägt. Im frühen 19. Jahrhundert, als Kaiser Napoleon schon einmal Europa auf den Kopf stellte, definierten deutsche Philosophen diese subjektive Wirklichkeit als Ausgangspunkt von Kunst und Wahnsinn zugleich.
Als Weltordnungsprinzip hat Deutschland damit Probleme und ist da nicht allein. In einer vernunftorientierten Welt ist Diplomatie ein Werkzeug zur Justierung zwischenstaatlicher Beziehungen, und wie alle Werkzeuge funktioniert es nicht, wenn man sich beim Gebrauch von der Fantasie leiten lässt statt von der Realität. Europa, vornehmlich Deutschland, gestaltet Außenpolitik nicht als Kunstwerk, sondern als Handwerk, voller Inhalte, Ziele und Ansprüche sowohl an sich selbst als auch an andere. Trump und die anderen sehen darin eher ein Gewinnspiel, das Spaß machen und den eigenen Ruhm mehren soll.

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Was tatsächlich passiert, ist egal, Hauptsache, man sieht dabei gut aus. Und was andere von einem wollen, ist erst recht egal. Soll man sich jetzt an eine solche Welt gewöhnen? Es gibt in Deutschland, wie die guten Umfragewerte der AfD zeigen, durchaus Sehnsucht nach der magischen Welt von Trump, Putin und den anderen skrupellosen Machtpolitikern, wo man nur etwas behaupten muss, damit sich alle danach richten. Dem Wahn mit Mut und Verstand zu begegnen, erscheint aktuell hoffnungslos. Aber es ist alternativlos.
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