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Trumps Auftritt vor der UNOAngekommen in der Welt der postfaktischen Außenpolitik

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Interessiert sich noch jemand für den Wahrheitsgehalt von Aussagen mächtiger Politiker, die die Weltpolitik bestimmen? Gegenwehr ist alternativlos.

US-Präsident Donald Trump bei der Generaldebatte der UN: Außenpolitik als Gewinnspiel, das Spaß machen und den eigenen Ruhm mehren soll Foto: Kay Nietfeld/dpa

D ie Vereinten Nationen finanzieren Großangriffe auf den Westen. Der Klimawandel ist ein Riesenschwindel. Die Ukraine ist ein Nazi-Konstrukt. Deutschland kehrt zurück zur Atomkraft. In London herrscht die Scharia. Palästina gab es nie. Der Krieg zwischen Kambodscha und Armenien ist beendet. All diese Aussagen wurden in jüngster Zeit von mächtigen Politikern getroffen. Nicht alle sind aus der Rede des US-Präsidenten Donald Trump vor der UN-Vollversammlung am Dienstag, auch Wladimir Putin und Benjamin Netanjahu sind dabei. Aber sie alle sind Lügen, geäußert zur Rechtfertigung eigenen Unrechts und zur Diskreditierung außenpolitischer Gegner.

Die Welt ist in der Ära der postfaktischen Außenpolitik angekommen. Tatsachen zählen nicht mehr, nur Behauptungen. Trump sagt, er habe in sieben Monaten sieben Kriege beendet. Putin stellt seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine als Abwehrkrieg gegen die Nato dar. Netanjahu setzt alle Palästinenser mit der Hamas gleich. Alle drei Behauptungen sind leicht zu widerlegende Verdrehungen der Tatsachen, aber sie begründen die Außenpolitik aller drei und bekommen damit unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt einen Wirklichkeitsgehalt – eine subjektive Wirklichkeit, die reales, objektives Handeln prägt. Im frühen 19. Jahrhundert, als Kaiser Napoleon schon einmal Europa auf den Kopf stellte, definierten deutsche Philosophen diese subjektive Wirklichkeit als Ausgangspunkt von Kunst und Wahnsinn zugleich.

Als Weltordnungsprinzip hat Deutschland damit Probleme und ist da nicht allein. In einer vernunftorientierten Welt ist Diplomatie ein Werkzeug zur Justierung zwischenstaatlicher Beziehungen, und wie alle Werkzeuge funktioniert es nicht, wenn man sich beim Gebrauch von der Fantasie leiten lässt statt von der Realität. Europa, vornehmlich Deutschland, gestaltet Außenpolitik nicht als Kunstwerk, sondern als Handwerk, voller Inhalte, Ziele und Ansprüche sowohl an sich selbst als auch an andere. Trump und die anderen sehen darin eher ein Gewinnspiel, das Spaß machen und den eigenen Ruhm mehren soll.

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Was tatsächlich passiert, ist egal, Hauptsache, man sieht dabei gut aus. Und was andere von einem wollen, ist erst recht egal. Soll man sich jetzt an eine solche Welt gewöhnen? Es gibt in Deutschland, wie die guten Umfragewerte der AfD zeigen, durchaus Sehnsucht nach der magischen Welt von Trump, Putin und den anderen skrupellosen Machtpolitikern, wo man nur etwas behaupten muss, damit sich alle danach richten. Dem Wahn mit Mut und Verstand zu begegnen, erscheint aktuell hoffnungslos. Aber es ist alternativlos.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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8 Kommentare

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  • "Dem Wahn mit Mut und Verstand zu begegnen, erscheint aktuell hoffnungslos. Aber es ist alternativlos." Wie wahr, wie wahr lieber Dominic Johnson. Brainrot, Gehirnfäule ist vor allem in den USA auf dem Vormarsch, aber auch der Rest der Welt ist nicht frei davon. Schauen wir darauf, wie die wenigen Verstandesmenschen mit Verabtwortung und Macht darauf reagieren, so ist kaum zu erkennen wo die raffinierte psychologische Behandlung der Irren beginnt und wann die nackte Unterwürfigkeit zu Tage tritt. Denn brainrot-people schrecken vor nichts zurück. Aber Angst war noch nie ein guter Ratgeber. Also durchhalten, dagegenhalten - irgendwann werden die brainrots von ihrer eigenen Hirnfäule dahingerafft.

  • Was soll denn die Schönmalerei der deutschen Außenpolitik? Bitte einmal einen kurzen Realitäts-Check machen. Deutschlands Außen- und Innenpolitik sind im Moment ein Musterbeispiele für Hybris und Faktenverdrehung. Egal ob im Bereich Klima, Soziales, Flüchtlinge, Wirtschaft oder Korruption. Überall werden Tatsachen verdreht oder schlichtweg gelogen und mit dem Finger auf andere gezeigt.

  • Postfaktische Aussagen sind auch in der deutschen Politik nichts unbekanntes. Die AfD lebt davon, Union und FDP glänzen ebenfalls damit, vor allen in den Bereichen Klimawandel und Migration.

    Das Problem in meinen Augen ist, dass diesen Aussagen in Talkshows und Interviews viel zu selten widersprochen wird und eine Einordnung in den wissenschaftlichen Konsens unterbleibt.



    Vielleicht sollte gelten, dass Gäste, die Unfug und Lügen verbreiten, schlicht nicht wieder eingeladen werden.

    • @Flix:

      Wenn diese Gäste nicht mehr eingeladen werden, dann bleibt jedoch sehr wenig an Kandidat*innen übrig, die noch auftreten könnten. Zudem nehmen dann die Einschaltquoten ab und das geht gar nicht.

  • Adenauer hat einmal treffen gesagt, ein Politiker muss nicht alles sagen, aber lügen darf er nicht.

  • Die Aussage, der Krieg zwischen Kambodscha und Armenien sei beendet, würde ich eher dem Bereich der politischen Senilität zuordnen, weniger dem der bewussten Lüge. Immerhin hat es kürzlich einen, wenn auch nur sehr kurzen, Grenzkrieg zwischen Kambodscha und seinem Nachbarland Thailand tatsächlich gegeben.



    Auf die leichte Schulter sollten solche Behauptungen allerdings nicht genommen werden, zumal wenn sie aus den Mündern solcher „Staatenlenker“ wie Trump, Putin oder Netanyahu kommen. Denn ich weiß nicht, was gefährlicher ist: dreiste Lüge oder bodenlose Dummheit. Letztres würde ich von den drei namentlich erwähnten Staatschefs allerdings nur dem amerikanischen unterstellen wollen.

  • Trump sagt, er habe in sieben Monaten sieben Kriege beendet.



    Mir ist kein einziger Fall bekannt!



    Trump sollte sich einen Gürtel nähen auf drauf schreiben "siebene auf einen Streich". So hat es schon das "Tapfere Schneiderlein" gehandhabt.

  • Lug und Trug siegen (erst einmal ...) dort, wo Macht und Gewalt sie tragen. Denn Menschen fürchten sich davor, in von Machtwillkür und Gewalt geprägten Verhältnissen "etwas zu verlieren", wenn sie sich dagegen exponieren. Verlustängste sind zuerst stärker als Mut. Darauf setzen die Despoten, indem sie die Bürger überrollen (z.B. durch demonstrative Ausgrenzung von Minderheiten und damit Verhältnisse schaffen, in denen Widerstand noch mehr und dann auch organisierten Mut erfordert. Einschüchterung ist das Mittel der Wahl. Bewusst rücksichtslos und offensichtlich zu lügen soll einschüchtern, denn es wird damit auch suggeriert, dass der Akteur irgendwie mächtig sein müsste, wenn und weil er sich "das leisten kann".



    Einen Schritt hat der Gouverneur von Texas getan, als er Trumps Vorgehen gegen Commedians als mafiös gebrandmarkt hat. Doch er ist einer der Mächtigen. Als solcher wird er in den Auseinandersetzungen von Bürgern eingeordnet, nicht als ihresgleichen.